Führerschule der Deutschen Ärzteschaft

Wo Ärzte die Ideologie der Nazis lernten

In Alt Rehse paukten Ärzte im Dritten Reich Nazi-Ideologie. 75 Jahre nach dem Ende der Naziherrschaft soll der Ort zum Gedenken erhalten bleiben. Doch wie?

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Appell und Hitlergruß in Alt Rehse während der Nazizeit.

Appell und Hitlergruß in Alt Rehse während der Nazizeit.

© Volksgesundheitswacht

Penzlin. Wer Ruhe sucht, findet in Alt Rehse gute Bedingungen. Wenige Menschen, kaum Autos und Gewerbe. Ein Geräuschpegel, der hauptsächlich vom Wind herrührt. Sorgfältig gepflegte Fachwerkhäuser, eine weiträumige Parkanlage und an vielen Stellen der Blick auf den Tollensesee.

In diese Idylle zogen sich in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre deutsche Ärzte zurück, um sich das ideologische Rüstzeug für die Medizin des Dritten Reiches zu zimmern und es Kollegen aus ganz Deutschland einzutrichtern. Mehr als zehntausend Ärzte haben sich hier mit der Ideologie vertraut gemacht, die Euthanasie, Menschenversuche und andere von deutschen Ärzten begangene Gräueltaten den Weg bereitet hat. Damals war Alt Rehse bekannt: Die Eröffnung der „Führerschule der Deutschen Ärzteschaft“ wurde reichsweit im Rundfunk übertragen, das Who‘s Who der Nationalsozialisten war anwesend. Auch im Laufe der Jahre blieben Himmler, Heydrich, Hess, Bormann und andere Nazigrößen gern gesehene Gäste im Schulungszentrum und in den umliegenden Fachwerkhäusern, die im Namen der damaligen Gaue gebaut wurden und bis heute die Namen der damaligen Regionen tragen.

Wer stand dahinter?

Realisiert wurde die Führerschule der Deutschen Ärzteschaft vom Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebund (NSDÄB), der Gut und Dorf 1934 aus Mitteln des gleichgeschalteten Hartmannbundes erwarb. Später wurde der Besitz in die Kassenärztliche Vereinigung Deutschlands (KVD) überführt. Mit hohem Aufwand wurde hier durch ärztliche Institutionen ein nationalsozialsozialistisches Konzept umgesetzt, das Ideologie, Elitedenken und Architektur umfasste.

Was damals in Alt Rehse vermittelt wurde, sollte im Bewusstsein bleiben, um auch nur Annäherungen an dieses Gedankengut zu verhindern. Das versucht der Verein Erinnerungs-, Bildungs- und Begegnungsstätte (EBB) Alt Rehse. Ein nüchterner Zweckbau auf dem Gelände birgt eine kleine Tafelausstellung und bietet Raum für Seminare. Rund 3500 Besucher im Jahr wollen etwas über Motive und Leben von Schulgründer Dr. Hans Deuschl erfahren, über die Inhalte damaliger Schulungen und die Empfänglichkeit der Teilnehmer für nationalsozialistisches Gedankengut.

Damit das gelingt, engagieren sich Projektleiter Dr. Rainer Stommer und Mitstreiter wie der Rostocker Allgemeinmediziner Dr. Thomas Maibaum. Der Erfolg unter den Medizinern ist bislang bescheiden. „Es gibt nur wenige Ärzte, die diesen Ort kennen“, sagt Maibaum. Die Erfahrungen des Historikers Stommer zeigen: „Wer sich für den Nationalsozialismus interessiert, der weiß auch von Alt Rehse. Aber viele Menschen wollen sich nicht mit dem Thema auseinandersetzen.“

Die "Führerschule der Deutschen Ärzteschaft": gestern und heute

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Die ehemalige "Führerschule der deutschen Ärzteschaft" im Park Alt Rehse bei Neu...
Die ehemalige "Führerschule der deutschen Ärzteschaft" im Park Alt Rehse bei Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern), aufgenommen am 15.04.2015.

© Bernd Wüstneck / ZB / picture alliance

"Das Geheimnis unserer Erlösung ist die Erinnerung" auf einem Gedenkstein vor de...
"Das Geheimnis unserer Erlösung ist die Erinnerung" auf einem Gedenkstein vor der ehemaligen "Führerschule der deutschen Ärzteschaft" im Park Alt Rehse bei Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern).

© Bernd Wüstneck / ZB / picture alliance

Will Alt Rehse als Lern- und Gedenkort ausbauen: Dr. Rainer Stommer.
Will Alt Rehse als Lern- und Gedenkort ausbauen: Dr. Rainer Stommer.

© Schnack

Appell und Hitlergruß in Alt Rehse während der Nazizeit.
Appell und Hitlergruß in Alt Rehse während der Nazizeit.

© Volksgesundheitswacht

Neustart als Gedankort geplant

Um dies zu ändern, hat Stommer Pläne für einen Ausbau als Lern- und Gedenkort Alt Rehse. Nach seiner Überzeugung ist die Zeit, solche Pläne in die Tat umzusetzen, günstig. Denn viele ärztliche Fachverbände haben inzwischen die eigene NS-Geschichte aufgearbeitet und damit Bereitschaft gezeigt, sich diesem Kapitel zu widmen. Wo, wenn nicht an der Stelle, wo Ärzte selbst über Themen wie Euthanasie gelehrt haben und geschult wurden, wäre ein geeigneter Standort für ein solches Dokumentationszentrum, fragt sich Stommer. Ein entsprechend ausgebautes Angebot vorausgesetzt, könnte Alt Rehse zwischen 10.000 und 15.000 Besucher jährlich erreichen, glaubt er. Dafür aber braucht es regelmäßige, erweiterte Öffnungszeiten, dauerhaft Seminare, ein pädagogisches Konzept, multimediale Angebote, Personal und die entsprechenden Finanzmittel.

Erste Fortschritte in diese Richtung hat es schon gegeben. Das Bundesgesundheitsministerium wertet das Projekt laut Stommer als „wichtige Aufgabe“. Bund und Länder wollen über die Bundesgedenkstättenförderung Geld bereitstellen, wenn aus der Ärzteschaft ebenfalls Mittel kommen. Derzeit verhandelt der Verein mit dem Ziel, dass aus zehn bis zwölf KVen oder Landesärztekammern ein jährlicher Förderbeitrag von jeweils rund 6000 Euro bereitgestellt wird. Ärztekammern wie Mecklenburg-Vorpommern und Westfalen-Lippe haben eine Absichtserklärung für eine Förderung unterschrieben. Die Kammer Berlin und die Bundesärztekammer fördern bereits. Insbesondere das Engagement der Körperschaften vor Ort ist nach Ansicht Maibaums wichtig, denn: „Das Saarland wird Alt Rehse kaum fördern, wenn von den Institutionen vor Ort nichts kommt.“ Der Hausarzt, der über Alt Rehse promoviert hat, unterstützt das Projekt selbst auch finanziell. Die ihm als Vorstandsmitglied der Landesärztekammer zustehende Aufwandsentschädigung in Höhe von 6000 Euro jährlich stiftet er im Namen der Ärztekammer der Begegnungsstätte.

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Für Stommer ist speziell der Standort am südlichen Rand Mecklenburg-Vorpommerns wichtig. Er verweist auf Gruppierungen in der Grenzregion zu Brandenburg, die für rechtes Gedankengut aufgeschlossen sind und die bei vielen Menschen zunehmend auf Interesse stoßen. Alt Rehse ist nach seiner Wahrnehmung so etwas wie eine „respektierte Zone“ in der Region geworden. Rechte Gruppierungen, ist Stommers Erfahrung, „meiden uns“. Mit einer aufgewerteten Lern- und Gedenkstätte könnte dieser Erfolg noch gesteigert werden.

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