Debatte um Grundrechte
Woopen: „Die Politik ist viel zu spät dran“
Die Politiker hätten die Debatte über den Umgang mit Grundrechten viel früher führen müssen, kritisiert die Medizinethikerin Christiane Woopen.
Veröffentlicht:
Ihr fehlt die politische Strategie beim Umgang mit Geimpften, Genesenen und Getesteten: Medizinethikerin Professor Christiane Woopen.
© Kay Nietfeld/picture alliance/dpa
Köln. Die Medizinethikerin Christiane Woopen sieht Versäumnisse der Politik bei der Rückgewinnung von Freiheiten für Genesene, voll Geimpfte und Getestete in der Corona-Pandemie.
„Wenn es jetzt wirklich auf den Grundrechteschutz des einzelnen in dieser Schärfe ankommt, wie es derzeit angesprochen wird, dann hätten wir schon seit über einem Jahr ganz andere Debatten führen müssen“, sagte sie im „ARD-Morgenmagazin“ (Montag). Hier gebe es „schwierige Abwägungen“, so die Vorsitzende des Europäischen Ethikrates.
Die Öffnung von Freiheiten für bestimmte Gruppen bedinge eine „Ungerechtigkeit“, gab Woopen zu bedenken. „Wenn jetzt diese Debatte unter dem Stichwort Neid geführt wird, dann ist das irreführend.“ Es gehe nicht darum, dass der Einzelne aufgefordert sei, nicht neidisch zu sein; fast alle Menschen hierzulande gönnten anderen bestimmte Dinge, so die Medizinethikerin.
Vielmehr liege es in der Verantwortung der Politik, allen Menschen zu ermöglichen, ihre Grundrechte wieder auszuüben.
Es fallen immer welche durch das Raster
So müsse schon jetzt in den Blick genommen werden, dass die inzwischen Geimpften irgendwann neuen Impfschutz brauchten. Das könne sich überlappen mit jenen, die noch nicht vollständig geimpft sind. „Dafür würde ich der Politik anraten, dringend eine Strategie zu entwickeln“, sagte Woopen.
Auch Menschen, die einen negativen PCR-Test vorlegen könnten, müssten für die Zeit seiner Geltung die gleichen Freiheiten erhalten wie Geimpfte oder Genesene. Dabei verwies sie auf Probleme mancher COVID-19-Genesener, die nach mehr als sechs Monaten noch so hohe Antikörper aufweisen, dass ihnen Ärzte von einer Impfung abraten: „Die fallen in ein Loch“, so Woopen.
„Die gelten nicht mehr als die Bevorteilten, haben aber auch keinen Zugang zu einer Impfung, weil sie durch ihre eigenen Antikörper dafür nicht infrage kommen. Da gibt es noch sehr viel Bedarf an Nachjustierung“, sagte die Wissenschaftlerin.
Niedrige Inzidenzen sind einziger Ausweg
Derzeit bestehe noch „eine epidemische Lage nationaler Tragweite“, bei der der Staat in bestimmte Rechte eingreifen könne. Um aus dieser Situation herauszukommen, gebe es ihrer Ansicht nach nur eine Möglichkeit: „Wir müssten die Inzidenzen jetzt wirklich runterkriegen, um dann für alle eine stabile Situation herzustellen“, forderte Woopen. (KNA)