Reform der Organspende

Zwang oder Geschenk

Die Debatte über eine Organspende-Reform wird sich im Dezember verdichten: Bundestagsabgeordnete haben dann die Wahl zwischen zwei Regelungsentwürfen. Bei einer Diskussionsrunde der DAK-Gesundheit wurden indes Zweifel laut, ob die Gesetzesvorlagen adäquate Antworten auf das Problem des Organmangels geben.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Wichtig ist es, Menschen früh für das Thema zu sensibilisieren: DAK-Chef Andreas Storm.

Wichtig ist es, Menschen früh für das Thema zu sensibilisieren: DAK-Chef Andreas Storm.

© DAK-Gesundheit/Reich

Frankfurt/Main. „Leben retten mit Zwang oder als Geschenk?“ Diese Frage stand am Anfang einer Diskussionsveranstaltung zum Thema Organspende, zu der die DAK-Gesundheit ins Haus am Dom in Frankfurt am Main eingeladen hatte.

Im Mittelpunkt standen dabei die im Dezember anstehende Entscheidung des Bundestags über die Zukunft der Organspende in Deutschland sowie die Frage, warum nach einer aktuellen Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zwar 84 Prozent der Bundesbürger einer Organspende grundsätzlich positiv gegenüber stehen, aber nur 36 Prozent einen Organspendeausweis besitzen.

Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit und ehemaliger Gesundheitsminister des Saarlands, führt diese Diskrepanz auf drei Ursachen zurück: eine Verunsicherung durch die Transplantationsskandale, die Angst vieler Menschen, dass der Hirntod womöglich nicht das Ende des Lebens bedeutet, und die gesellschaftliche Tabuisierung der Themen Tod und Sterben.

„Die Aufklärung über die Organspende ist eine gesamtgesellschaftliche Pflicht“, so Storm. „Wir müssen viel mehr und immer wieder über die Organspende reden.“

Besonders wichtig sei es dabei, Menschen schon früh für das Thema zu sensibilisieren. „Organspende ist auch ein Thema für den Schulunterricht.“ Dort könne für eine eigenständige Entscheidung geworben werden.

Ende des Jahres entscheidet das Parlament

Im Dezember will der Bundestag über zwei Entwürfe abstimmen, die eine Neuregelung der Organspende anstreben.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Karl Lauterbach, Gesundheitsexperte der SPD, haben den Entwurf eines „Gesetzes zur Regelung der doppelten Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz“ eingebracht, wonach jeder Bürger ab 18 Jahren zum Organspender würde, sofern er dem nicht ausdrücklich widerspricht.

Dem gegenüber steht der von Grünen- und SPD-Politikerinnen eingebrachte Entwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Entscheidungsfreiheit bei der Organspende“, der mehr Aufklärung und eine ausdrückliche Zustimmung zur Organspende vorsieht. Beide Entwürfe sind interfraktionell, weshalb bei der Abstimmung der Fraktionszwang aufgehoben ist.

Kai Klose (Grüne), Hessischer Minister für Soziales und Integration, ist gegen die Widerspruchsregelung. „Persönlich bin ich der Ansicht, dass man die Widerspruchslösung genauer prüfen muss, bevor man sich dafür entscheidet“, sagte Klose.

Mehr Aufklärung nötig

Da jene ein „erheblicher Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen“ darstelle, brauche es zunächst mehr Aufklärung – auch um das durch die Organspende-Skandale verloren gegangene Vertrauen vieler Menschen in die Medizin zurückzugewinnen.

Professor Andreas Schnitzbauer, stellvertretender Direktor und Leitender Oberarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Universitätsklinikums Frankfurt am Main, stellte klar, dass es sich bei den in den letzten Jahren aufgedeckten Verfehlungen nicht um Organspende-, sondern um „Wartelistenmanipulations-Skandale“ gehandelt habe.

Er bemängelte die öffentliche Diskussion, die suggeriere, dass Menschen, die ins Krankenhaus eingeliefert werden, Angst haben müssten, gegen ihren Willen Organspender zu werden: „Bei uns laufen keine Ärzte über die Stationen und schauen, wem sie ein Organ entnehmen können.“

Tatsächlich komme nur eine verschwindend geringe Zahl der Klinikpatienten als Organspender infrage – darüber müsse man die Menschen aufklären.

901 Patienten starben 2018 auf der Warteliste

Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) haben im Vorjahr bundesweit 955 Menschen nach ihrem Tod ihre Organe gespendet, das entspricht einer Quote von 11,5 Spendern pro eine Million Einwohner.

Immerhin ist 2018 die Zahl der Organspender im Vergleich zum Vorjahr (797 Spender) um knapp 20 Prozent gestiegen (siehe nachfolgende Grafik). Andererseits sind im vergangenen Jahr 901 Bundesbürger, die auf der Warteliste standen, gestorben, weil für sie kein Spenderorgan bereitstand. Bundesweit warten derzeit fast 10 000 Patienten auf ein Organ.

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„Wenn Sie in Spanien Urlaub machen, sind Sie auch Organspender“, machte der Medizinethiker Professor Stephan Sahm, Chefarzt der Medizinischen Klinik I des Ketteler-Krankenhauses in Offenbach, klar und stellte die bisherige Diskussion infrage: Die eigentliche Ursache für den Organmangel in Deutschland sei nicht die mangelnde Spendenbereitschaft, „sondern dass wir weniger Hirntote haben“.

Heutzutage würden die Therapien von den Ärzten viel früher beendet als früher. Das allerdings könne sich durch das am 1. April dieses Jahres in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung der Organspende ändern.

Kritisch sieht Sahm vor allem die neu definierte Rolle der Transplantationsbeauftragten: Anders als früher müssten jene nun darüber entscheiden, ob man die als Organspender infrage kommenden Patienten nicht so lange behandeln könne, bis der Hirntod eintritt.

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