Arzneiverordnung

"Armin" macht Schluss mit Regressen

Ärzte verordnen den Wirkstoff, Apotheker wählen das Präparat: Im Juli startet "Armin" in Sachsen und Thüringen. Ein Vorteil: Bei 250 Wirkstoffen müssen Ärzte keinen Regress fürchten. Das Projekt ist in dieser Form bundesweit einmalig.

Von Robert Büssow Veröffentlicht:
Wirkstoff statt Präparat: In Sachsen und Thüringen soll "Armin" Ärzte bei der Arzneiverordnung vor Regressen bewahren.

Wirkstoff statt Präparat: In Sachsen und Thüringen soll "Armin" Ärzte bei der Arzneiverordnung vor Regressen bewahren.

© pixelfokus / fotolia.com

ERFURT. Für Patienten der AOK Plus in Sachsen und Thüringen entscheidet künftig nicht mehr der Arzt, sondern der Apotheker über die Wahl der Medikamente.

Im Juli startet in beiden Bundesländern die Arzneimittelinitiative "Armin", bei der Ärzte erstmalig in Deutschland nur noch einen Wirkstoff ohne Firmennamen verordnen und der Apotheker anschließend ein Produkt auswählt.

Das früher ABDA-KBV-Modell getaufte Pilotprojekt sollte ursprünglich schon im Herbst 2013 starten, wurde wegen schwieriger Verhandlungen jedoch mehrfach verschoben.

Die Teilnahme ist für alle Beteiligten freiwillig. Die AOK Plus sowie die Kassenärztlichen Vereinigungen und Apothekerverbände in Sachsen und Thüringen haben dafür einen Katalog der 250 wichtigsten Wirkstoffe erarbeitet, wie die "Ärzte Zeitung" vorab erfuhr. Details über die Initiative werden erst am 27. März in Berlin vorgestellt.

"Armin" richtet sich vor allem an chronisch kranke Patienten ab 18 Jahren, die mehr als fünf Medikamente einnehmen. Der Apotheker könne auf diese Weise besser im Auge behalten, welche Arzneien möglicherweise nicht miteinander verträglich sind, und auch Doppelmedikationen vermeiden, sagt Annette Rommel, Vorsitzende der KV Thüringen.

"Die Beratungsfunktion der Apotheker wird gestärkt. Ich finde es gut, wenn eine sektorenübergreifende Zusammenarbeit mit dem Arzt möglich ist. Das ist es doch, was immer gefordert wird."

Keine Preisverantwortung für Ärzte

Ärzte versprechen sich vom zeitlich unbefristeten Modellvorhaben mehr Unabhängigkeit: "Wir haben keinerlei Preisverantwortung mehr. Wir wollen auch nicht Büttel der Pharmaindustrie sein, wir wollen nicht auf diese Leute hören, die uns etwas in die Ohren flüstern", erklärt Rommel.

Auch finanziell lohnt sich die Teilnahme für Ärzte und Apotheker. Es gebe von der AOK Plus eine sehr gute Anschubfinanzierung sowie eine Honorierung pro Patient. Bis zu 30 Patienten darf ein Arzt pro Quartal aufnehmen.

Der individuelle Medikationsplan der Patienten wird nach Informationen der "Ärzte Zeitung" zentral bei der AOK Plus abgespeichert. Dadurch verspricht sich die Kasse Einsparungen.

Zu Details wollte sie sich auf Anfrage nicht äußern. Der größte Anreiz für die Ärzte ist laut Rommel, dass sie bei den festgelegten Wirkstoffen künftig von Regressforderungen verschont bleiben.

Die Wirtschaftlichkeitsprüfungen erfolgen zwar kassenübergreifend und nicht nur für AOK-Patienten, doch die Kasse hat in beiden Ländern einen Marktanteil von 47 Prozent, daher kommen die Ärzte automatisch nicht mehr über die kritische Schwelle für eine Prüfung. Für die Apotheker gelten weiterhin die üblichen Austauschregeln sowie Rabattverträge der AOK Plus.

Kritik von Hausärzten

Der Sächsische Hausärzteverband sieht das Projekt dagegen kritisch. Die Landesvorsitzende Ingrid Dänschel glaubt nicht, dass viele Ärzte mitmachen werden. "Das bringt mehr Bürokratie und man enthebt den Arzt der Therapiefreiheit, während die Haftung aber bei ihm bleibt", sagt Dänschel.

Die Freistellung von Rückzahlungen sei ein Scheinargument. In Sachsen sei 2013 nur ein einziger Arzt wegen Überziehung seines Budgets in Regress genommen worden.

Eine Ausweitung auf andere Kassen ist momentan nicht geplant. "Es ist ein Projekt der AOK. Es gab keine erkennbaren Ambitionen, uns an Bord zu holen", sagt Arnim Findeklee vom Verband der Ersatzkassen in Thüringen.

Der Verband vertritt unter anderem Barmer und Techniker Krankenkasse. Bei der AOK Plus sind 2,7 Millionen Thüringer und Sachsen versichert. Ihr Budget beträgt dieses Jahr 8,5 Milliarden Euro. Etwa 18 Prozent davon werden jährlich für Arzneimittel ausgegeben.

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