Apps auf Rezept

Bei KI-Modulen wird es kritisch

Die Medizintechnikbranche hat noch viele Änderungswünsche an die Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung, die am Mittwoch Gegenstand einer Fachverbändeanhörung im Bundesgesundheitsministerium ist. Auch der AOK-Bundesverband sieht noch Defizite.

Von Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Viel Kritik und etwas Lob: Verbände reagieren auf die Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung.

Viel Kritik und etwas Lob: Verbände reagieren auf die Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung.

© Dron / stock.adobe.com

Berlin. Der Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg) befürchtet mit Blick auf die Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV), dass die Zulassungshürden vor allem für solche Produktlösungen regelhaft zu hoch sein werden, die eine auf Künstlicher Intelligenz (KI) gestützte Komponente beinhalten.

Konkret befürchten die Hersteller, wie sie in einer Stellungnahme anlässlich der Fachverbändeanhörung an diesem Mittwoch im Bundesgesundheitsministerium (BMG) hervorheben, dass solche KI-basierte Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) an hohen Zulassungshürden scheitern werden.

Sie müssen der ab dem 26. Mai gültigen, novellierten europäischen Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation/MDR) genügen, um dann von einer Benannten Stelle zertifiziert werden zu können.

„Der bvitg fordert die Bundesregierung deshalb auf, sich mit Nachdruck für eine entsprechende Anpassung des europäischen Rechtsrahmens einzusetzen, um auch solchen Anwendungen den schnellen Zugang in die Regelversorgung zu ermöglichen“, heißt es in der Stellungnahme, in der der Verband explizit seine Unterstützung für das DiGA-Vorhaben des BMG bekundet.

Zu hohe Hürden für Anbieter?

Kritisch sieht Dr. Martin Leonhard, Vorsitzender der Medizintechnik im Branchenverband Spectaris, den auf die DiGA-Hersteller zukommenden Aufwand zur Erbringung des Nachweises des positiven Versorgungseffektes. Dieser Punkt nimmt breiten Raum ein in der Stellungnahme seines Verbandes.

„Die in der Verordnung formulierten Anforderungen gehen deutlich über das im DVG geforderte Maß hinaus“, betont Leonhard. So bedürfe es vorab eines Nachweises durch eine Pilotstudie, um in das DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgenommen zu werden.

„Pilotstudien können sehr zeitaufwendig und kostenintensiv sein. Das dürfte insbesondere Start-ups häufig davon abschrecken, eine DiGA in die Regelversorgung zu bringen“.

Hier sollte die Politik nachsteuern. Die genannten Anforderungen wirkten oft eher abschreckend als ermutigend, so Leonhard abschließend.

Weitere Synergie-Effekte mit MDR gewünscht

Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) begrüßt in seiner Stellungnahme, dass die Anforderungen an die Sicherheit und Funktionstauglichkeit der DiGA nach dem DiGAV-Referentenentwurf durch die CE-Kennzeichnung abgegolten sind.

„Gleichzeitig sehen wir weitere Möglichkeiten für Synergie-Effekte aus den Kriterien der EU-Medizinprodukte-Verordnung im Rahmen des DiGA-Aufnahmeverfahrens, die sich jedoch in der Rechtsverordnung momentan noch nicht wiederfinden“, so BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll in der Stellungnahme.

Hinsichtlich des Nutzennachweises positiver Versorgungseffekte als weiteres Aufnahmekriterium lässt der Gesetzgeber die Vorgaben offen und verweist auf einen nachfolgenden Leitfaden des BfArM.

„Daraus ergibt sich ein gewisser Freiraum“

Die Tatsache, dass die Anforderungen an die Erhebung der Daten zu positiven Versorgungseffekten offen gehalten werden, befürworte der BVMed. „Daraus ergibt sich ein gewisser Freiraum zur Erarbeitung und Förderung neuer, innovativer Evaluationskonzepte zwischen Herstellern und BfArM, die den Besonderheiten digitaler Anwendungen Rechnung tragen“, heißt es in der Stellungnahme.

Die Vorgaben für die Erstellung eines Evaluationskonzeptes und zur Durchführung einer Nachweisstudie sowie die Umsetzung aller anderen Anforderungen entsprächen indes nicht dem im Digitale-Versorgung-Gesetz DVG angedachten „Fast-Track-Verfahren“ im vollen Umfang, moniert der Branchenverband.

Wie Möll bereits im Interview mit der „Ärzte Zeitung“ monierte, sieht es der Verband kritisch, DiGA auf Medizinprodukte der Risikoklassen I und IIa zu begrenzen. Die Möglichkeiten, die digitale Medizinprodukte der Klassen IIb und III – beispielsweise Systeme zur telekardiologischen Überwachung von Schrittmacherpatienten oder Apps für Patienten mit Gelenkimplantaten – zur Versorgungs- und Prozess-Verbesserung bieten, können so nicht genutzt werden.

Praxistauglichkeit in Gefahr?

Der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung (SVDGV) mahnt in seiner Stellungnahme, die Praxistauglichkeit des DVG hänge im entscheidenden Maße von der zu erlassenden Rechtsverordnung ab.

„Wir wollen gemeinsam mit der Politik und weiteren Verbänden das DVG für Patienten und medizinische Fachkräfte zu einem Erfolg führen“, so SVDGV-Vorstand Dr. Julian Braun. Aber es gebe im Referentenentwurf noch große Baustellen – darunter die Datenverarbeitung durch die DiGA-Anbieter.

„Die Vorschrift des § 5 Abs.2 DiGAV-Entwurf legt fest, dass ein Hersteller personenbezogene Daten nur aufgrund einer Einwilligung der Versicherten nach Art.9 Abs.2 a) DSGVO verarbeiten darf. Damit werden sämtliche anderen Rechtsgrundlagen für eine personenbezogene Datenverarbeitung ausgeschlossen.

Dementsprechend müssten Hersteller für die Datenverarbeitung auch dann eine Einwilligung einholen, wenn ihnen eigentlich ein anderer gesetzlicher Verarbeitungstatbestand als Rechtsgrundlage zur Verfügung steht“, moniert der SVDGV.

Datenschutz genügt AOK nicht

Der AOK-Bundesverband zeigt in seiner Stellungnahme grundsätzliche Zustimmung zu den neuen Apps auf Rezept, übt aber Kritik an den Regelungen zu Datenschutz und Nutzennachweis. „Wir begrüßen die Möglichkeit, dass die gesetzlichen Krankenkassen künftig digitale Gesundheitsanwendungen mit niedrigem Risiko erstatten können“, betont der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch.

Allerdings sieht die AOK erheblichen Änderungsbedarf bei einzelnen Regelungen der Verordnung. Das betrifft vor allem den Nutzen der digitalen Anwendungen, die Patientensicherheit und die Sicherheit der in den Anwendungen gespeicherten Gesundheitsdaten, die vom BfArM überprüft werden soll.

BfArM nur ein Papiertiger?

„Die Verordnung legt zwar Anforderungen zum Datenschutz fest, aber es ist nicht vorgesehen, dass das BfArM die Einhaltung dieser Vorgaben auch überprüft“, kritisiert Litsch. Außerdem seien bei Verstößen gegen die Datenschutz-Anforderungen keine Sanktionen vorgesehen.

Der AOK-Bundesverband fordert, dass das Institut eine Prüfverantwortung für die Einhaltung der Datenschutz-Regelungen erhält. „Dann könnte es unabhängig überprüfen, dass wirklich keine Daten an Dritte abfließen“, so Litsch.

Zudem müsse die Verordnung durch Regelungen ergänzt werden, nach denen alle Möglichkeiten der Daten-Minimierung ausgeschöpft werden: „Es besteht ja in der Regel keine Notwendigkeit, dem Anbieter die Identität des Nutzers offenzulegen. Die Übermittlung von Personendaten an die Hersteller und Plattform-Betreiber sollte nach Möglichkeit vermieden werden.“

Werbefreiheit gelobt

Richtig ist aus Sicht des AOK-Bundesverbandes die Klarstellung in der Verordnung, dass die Apps auf Rezept frei von Werbung sein müssen. „Allerdings ist es nicht verboten, dass in den Anwendungen In-App-Käufe angeboten werden“, kritisiert der Verbandschef.

So gebe es auf dem Markt beispielsweise Apps für Patienten mit Diabetes mellitus, in denen Blutzucker-Teststreifen aus dem Mutterkonzern des App-Herstellers verkauft würden.

„Die Querfinanzierung einer App durch solche Vertriebswege sollte ausgeschlossen sein, wenn die gesetzlichen Kassen die Kosten für die Nutzung durch die Patienten übernehmen“, setzt Litsch eine rote Linie.

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