EU-Medizinprodukteverordnung

Engpässe bei MedTech-Zulassungen absehbar

Bei der novellierten Zulassung von Medizinprodukten sieht die Bundesregierung offenbar alles im grünen Bereich. Die Branche spricht dagegen von Nadelöhren und Chaos – mit möglichen Folgen für die Versorgung.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Die Zulassung einzelner Medizinprodukte in der EU wird mit der EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) auch immer mehr zur Kostenfrage für die Anbieter.

Die Zulassung einzelner Medizinprodukte in der EU wird mit der EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) auch immer mehr zur Kostenfrage für die Anbieter.

© Zadas_Photography / Getty Images / istock

Berlin. Für die Bundesregierung steht fest: Die deutsche Medizintechnikbranche inklusive ihrer mehrheitlich kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) haben genug Zeit gehabt, sich nach der 2017 verabschiedeten novellierten EU-Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation/MDR) auf verschärfte Zulassungsanforderungen an verschiedene Produkte einzustellen. Somit erwarte sie keine Probleme, wenn die MDR nun nach der corona-bedingten Verschiebung um ein Jahr am nächsten Mittwoch, also am 26. Mai, nach vierjähriger Übergangsphase in Kraft tritt.

Auch seien mit EU-weit bis dato insgesamt 20 notifizierten Benannten Stellen (BS), davon sechs in Deutschland, genügend Ansprechpartner für die Zulassung der jeweiligen Medizinprodukte vorhanden, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion ausführt.

Höhere Anforderungen, teurere Verfahren

Die Stimmung in der Branche ist derweil eine ganz andere, wie Marc Michel, Sprecher der Geschäftsführung des Anbieters Peter Brehm und stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed), am Mittwoch im Rahmen eines BVMed-Pressegespräches berichtete. Die Unternehmen sähen sich mit einer Unmenge an zusätzlichen Aufgaben im Zusammenhang mit der EU-Zulassung ihrer Produkte konfrontiert, die sowohl zusätzliche Ressourcen bänden als auch Mehrkosten verursachten.

So müssten nun für jeden EU-Mitgliedstaat, in dem ein Produkt zugelassen werde, sämtliche Unterlagen auch in der Produktkommunikation statt nur in Englisch nun auch in der jeweiligen Landessprache zur Verfügung stehen. „Bei einer geringen Stückzahl lohnt sich der Marktverbleib also nicht mehr“, wies Michel nur auf einen Aspekt hin.

Da die Benannten Stellen für die MDR-Zulassung höheren qualitativen Anforderungen genügen und daher ihr Personal hätten schulen müssen, koste eine Zulassung nun locker teils das Doppelte im Vergleich zu vorher. Von Entspannung sei also gerade bei den KMU nichts zu spüren, so Michel.

Benannte Stellen überlastet

Viele Hersteller – zum Beispiel von chirurgischen Instrumenten oder Software – müssten Neuverträge mit Benannten Stellen abschließen, wies BVMed-Vorstandsvorsitzender Dr. Meinrad Lugan auf eine offene Baustelle hin. Das sei praktisch unmöglich, weil es keine ausreichenden Kapazitäten gebe und vorerst vornehmlich Bestandskunden bedient würden. Das gleiche Problem hätten Start-ups im MedTech-Bereich.

Die Branchenvertreter sehen eine weitere Überlastungswelle auf die Stellen zukommen – nämlich dann, wenn die Übergangsfrist für die Gültigkeit der Altzertifikate („Grace Period“) im Mai 2024 und die Abverkaufsfrist im Mai 2025 auslaufen, die bei der Verschiebung des Geltungsbeginns der MDR nicht berücksichtigt wurden.

Höhere Einstandskosten für Pädiater?

Die rund 20.000 Zertifikate würden so bis zum Ende der Übergangsperiode im Mai 2024 nicht in die MDR überführt werden können, warnt der BVMed. Aktuell seien erst rund 180 MDR-Zertifikate ausgestellt worden. Die zehnfache Menge davon liege den Benannten Stellen als Antrag vor. Es sei abzusehen, dass sich die Lage 2024 dramatisch zuspitzen werde. „Viele Medizinprodukte werden es nicht rechtzeitig in die MDR schaffen. Es drohen Versorgungsengpässe, Innovationsstau und Wettbewerbsverzerrung“, so Lugan.

Auf Nachfrage der „ÄrzteZeitung“, wo die gravierendsten Engpässe aus Sicht der Verbraucher – also vornehmlich der niedergelassenen Ärzte und Kliniken – zu erwarten seien und sich dies auf die Preise durchschlagen werde, antwortete Lugan: „Die Frage kann man erst 2024 beantworten, da man heute noch nicht weiß, welche Anbieter welche Produkte aus dem Markt werden nehmen müssen. Die erhöhten Kosten der regulatorischen Anforderungen werden sicher viele Produkte verteuern, am spürbarsten würde ich mit Preisanstiegen zum Beispiel bei pädiatrischen Produkten rechnen, da hier oft die Stückzahlen sehr klein sind.“

Ruf nach Remote-Audits

Die Zertifizierungsprozesse werden laut BVMed aktuell weiter durch Reise- und Quarantänebeschränkungen massiv verzögert. Audits bei Herstellern fänden nur teilweise statt und könnten nicht abgeschlossen werden. Für Remote Audits sei aber auch nach über einem Jahr Corona-Pandemie keine ausreichende rechtliche Basis vorhanden.

Das Vorgehen der Mitgliedstaaten sei nicht harmonisiert. Während Frankreich, Irland oder die Niederlande pragmatisch vorgingen, seien Deutschland und Italien restriktiv. Das Ergebnis sei eine Wettbewerbsverzerrung im europäischen und internationalen Markt, so die deutschen MedTech-Vertreter.

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