WIdO-Erhebung zu Antibiotika

Fluorchinolon-Verordnungen gehen zurück

Werden Fluorchinolone weiter zu häufig verschrieben? Neue Zahlen zeigen, dass die Verordnungshäufigkeit zumindest sinkt.

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Antibiotika-Verordnungen: Insgesamt wurden 2018 nach WIdO-Zahlen 310 Millionen Antibiotika-Tagesdosen verordnet. Davon entfielen 8,2 Prozent oder 25,6 Millionen Tagesdosen auf Fluorchinolon-Antibiotika.

Antibiotika-Verordnungen: Insgesamt wurden 2018 nach WIdO-Zahlen 310 Millionen Antibiotika-Tagesdosen verordnet. Davon entfielen 8,2 Prozent oder 25,6 Millionen Tagesdosen auf Fluorchinolon-Antibiotika.

© Kadmy / stock.adobe.com

BERLIN. Ärzte haben 2018 in 3,2 Millionen Fällen Präparate der Antibiotikaklasse der Fluorchinolone verordnet. Das ist das Ergebnis einer Berechnung des Wissenschaftlichen Instituts der Krankenkasse AOK (WIdO). Aus den Zahlen leitet das WIdO ab, dass 40.000 dieser Patienten von Sehnenrissen, Schädigungen des Nervensystems sowie der Hauptschlagader betroffen sein könnten.

Insgesamt wurden 2018 nach den WIdO-Zahlen 310 Millionen Antibiotika-Tagesdosen verordnet – davon entfielen 8,2 Prozent oder 25,6 Millionen Tagesdosen auf die Fluorchinolon-Antibiotika, bei denen besonders schwere Nebenwirkungen möglich sind. Das BfArM hatte im April 2019 in einem Rote-Hand-Brief zu Vorsicht bei der Verordnung von Fluorchinolonen gemahnt. Damit sollte erreicht werden, dass die Risiken und Anwendungsbeschränkungen lückenlos beachtet werden.

Das BfArM hatte aber auch betont, Fluorchinolone seien wichtige Optionen gegen schwere und zum Teil lebensbedrohliche Infekte, darunter einige, bei denen andere Antibiotika nicht ausreichend wirksam sind.

Auf Basis von AOK-Daten gibt das WIdO an, dass 3,8 Millionen Patienten im Jahr 2017 und 3,2 Millionen Patienten 2018 mit einem Medikament aus dieser Wirkstoffgruppe behandelt wurden.

Wie oft kommet es zu Fluorchinolon-spezifischen Nebenwirkungen?

Die WIdO-Schätzung von 40.000 Fluorchinolon-spezifischen Nebenwirkungen falle sehr konservativ aus, kommentiert Allgemeinmediziner Stefan Pieper aus Konstanz. Der Experte für Schäden durch Fluorchinolone verweist in einer unabhängigen Einordnung des Reports auf belastbare Untersuchungen aus den USA, die weitaus höhere Zahlen ergeben hätten.

„Umgerechnet auf Deutschland wären es hierzulande fast 400.000 Fälle pro Jahr“, so Pieper. Zudem sei nur ein Teil der möglichen Nebenwirkungen in das Dossier eingegangen.

In den USA werden die Folgen der Nebenwirkungen als „Fluoroquinolone-Associated Disability“ (FQAD, etwa: mit Fluorchinolon zusammenhängende Schädigungen) bezeichnet und sind als Erkrankung anerkannt. Pieper arbeitet derzeit an der Entwicklung von Diagnosekriterien für FQAD und hat den ersten deutschsprachigen Fachartikel zum Thema geschrieben.

„Über diese Arbeit habe ich mindestens 200 Symptome festgestellt, die bei FAQD auftreten können“, fasst er zusammen.

Vier Kategorien an Fluorchinolon-Nebenwirkungen

Dabei lassen sich die Nebenwirkungen laut Pieper in vier Gruppen einteilen. Zum einen griffen Fluorchinolone das Kollagen im Körper an, was zu Sehnenrissen, Netzhautablösungen und Arterienrissen führen könne. Zum zweiten hätten diese Antibiotika eine neurotoxische Wirkung, welche langfristige, teils schwer zu behandelnde Nervenschäden auslösen könnten.

Eine dritte mögliche Nebenwirkung betreffe Neurobotenstoffe, deren Rezeptoren durch Fluorchinolone blockiert werden könnten. Patienten würden dann unruhig, ängstlich oder panisch und könnten gar suizidale Tendenzen entwickeln.

Und schließlich sei ein Chronisches Erschöpfungssyndrom möglich – für Pieper, der eine Vielzahl der Nebenwirkungen in seiner Praxis bereits gesehen hat, ein besonders schweres Schicksal: „Betroffene verlieren ihre Arbeit, erleben sozialen Abstieg und familiäre Zerrüttung und vor allem wird ihnen am wenigsten geglaubt.“

Im WIdO-Report wird kritisch angemerkt, das BfArM habe verspätet auf die bekannten Risiken reagiert. Auf Nachfrage entgegnet die Behörde dazu schriftlich: „Das BfArM beschäftigt sich nicht erst seit der Auslösung des Risikobewertungsverfahrens 2017 mit Risiken im Zusammenhang mit der Anwendung von Fluorchinolonen, sondern war und ist fortlaufend in die Überwachung und Bewertung der Sicherheit fluorchinolonhaltiger Arzneimittel auf europäischer Ebene eingebunden.“

Das Bundesinstitut verweist dazu auf mehrere Rote-Hand-Briefe und Publikationen zum Thema, aber auch auf die Verantwortung von Ärzten und Patienten: „Es ist für die sichere Anwendung eines Arzneimittels entscheidend, dass die Anwender – Ärzte wie Patienten – sich anhand der Produktinformationstexte über Anwendungsrisiken informieren und dass Patienten sich bei Fragen an ihren behandelnden Arzt wenden.“ Zudem seien Fluorchinolone in nahezu allen europäischen Ländern zugelassen, Maßnahmen zur Änderung der Zulassungsbedingungen müssten auf europäischer Ebene abgestimmt werden. (dpa)

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