Frühchen-Versorgung: Macht Übung den Meister?

Im Streit um die Versorgung Frühgeborener liegt die Urteilsbegründung des LSG Berlin-Brandenburg vor. Das Gericht hatte den GBA-Beschluss gekippt, der Mindestmengen behandelter Frühchen für Kliniken gefordert hatte. Nun kommt die Sache vor das Bundessozialgericht.

Martin WortmannVon Martin Wortmann Veröffentlicht:
Die winzige Hand eines Frühchens an dem Finger eines Erwachsenen.

Die winzige Hand eines Frühchens an dem Finger eines Erwachsenen.

© Fredrik von Erichsen / dpa

KASSEL. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) will vor dem Bundessozialgericht (BSG) grundsätzlich klären, welche Begründungsanforderungen für Mindestmengen gelten (Az.: B 3 KR 15/12 R).

Das kündigte der damalige GBA-Vorsitzende Dr. Rainer Hess im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" vor einiger Zeit an.

Im Streit um die Mindestmengen bei Frühchen hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg inzwischen seine Urteilsgründe vorgelegt (Az.: L 7 KA 77/10 KL). Auf 47 Seiten begründen die Richter, warum sie die Quote für nicht tragfähig halten.

Seit 2002 Mindestmengen

Mindestmengen wurden bereits 2002 als Instrument der Qualitätssicherung eingeführt. Seit Juli 2008 besteht ein ausdrücklicher gesetzlicher Auftrag an den GBA, einen Katalog von Leistungen zu erstellen, für die eine Mindestmenge ein sinnvolles Instrument der Qualitätssicherung ist.

Daher beauftragte der GBA das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit einem entsprechenden Bericht und setzte danach Mindestmengen fest: ab April 2009 zunächst 13 für Neugeborene unter 1250 Gramm, ab Januar 2010 dann jeweils 14 für Neugeborene unter 1250 Gramm ("Level 1") und unter 1500 Gramm ("Level 2").

Schließlich setzte der GBA im Juni 2010 für die Neugeborenen unter 1250 Gramm eine Mindestmenge von 30 pro Jahr fest.

Mit den Erfahrungen aus zwei bis drei Belegungen im Monat sollten die Chancen für die "extrem gefährdeten Frühgeborenen" verbessert werden. Die Mindestmenge für schwerere Level-2-Frühchen wurde dagegen wieder gestrichen, um ortsnahe Versorgungsmöglichkeiten zu erhalten.

Gegen die Mindestmengen klagten 16 Kliniken in Potsdam, die die neue Schwelle weitgehend nicht erreicht haben. Nach ihrer Überzeugung reichen die Belege nicht aus, die konkret festgesetzte Mindestmenge sei willkürlich. Gewachsene und gut arbeitende Versorgungseinheiten würden insgesamt, auch für Level-2-Frühchen, zerschlagen.

Demgegenüber verwies der GBA auf das Prinzip "Übung macht den Meister". Eine erhöhte Praxis der Behandler komme den Frühgeborenen auf jeden Fall zugute. Der GBA habe laut Gesetz einen weiten Spielraum, Mindestmengen auch als "Risikovorsorge" festzusetzen.

Kläger erhielten schon im Eilverfahren Recht

Das LSG Potsdam setzte jedoch schon im Eilverfahren Anfang 2011 die Mindestmenge vorerst aus und gab den Kliniken nun auch im Hauptverfahren Recht. Das Gesetz verlange, dass Übung "in besonderem Maße" den Meister macht.

In der Gesetzlichen Krankenversicherung gelte auch generell ein "Wissenschaftsvorbehalt". Eine "patientenrelevante Beziehung zwischen Quantität und Qualität" habe der GBA aber nicht "evidenzbasiert" nachgewiesen, und auch der IQWiG-Bericht lasse entsprechende Schlussfolgerungen "nicht ansatzweise" zu.

Der vom GBA herangezogene "Gedanke der Gefahrenabwehr" sei nicht anwendbar. Auf die Revision des GBA wird das BSG zu entscheiden haben, wie der Gesetzgeber die Formulierung "in besonderem Maße" gemeint hat.

Das LSG hatte dies auf den Evidenzmaßstab bezogen - und hätte so gesehen auch Recht, räumte Hess ein. Nach seiner Überzeugung kann der GBA aber Mindestmengen einführen, wenn es um "besonders schutzwürdige Rechtsgüter" geht.

Hess: Einfacher Evidenzmaßstab muss reichen

"Ich war der Meinung, dass es hier um ein besonders hohes Gut geht", so Hess. Und es gebe Hinweise aus anderen Ländern mit Mindestmengen, "dass dort die Überlebenschancen für Frühgeborene höher sind".

Randomisierte Studien seien nicht möglich, daher müsse ein einfacher Evidenzmaßstab reichen.

Den Wegfall der Mindestmenge über 1250 Gramm rechtfertigte Hess mit dem Argument, die Pränatalzentren für Level 2 seien zuvor "quasi ausgetrocknet". Im Verbund mit der Mindestmenge für Level 1 würde sich aber "eine sinnvolle Struktur ergeben".

Beim BSG bereits anhängig ist die Mindestmenge von 50 pro Krankenhaus für Kniegelenk-Totalendoprothesen, die das LSG Potsdam ebenfalls verworfen hatte.

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