Abgewiesen

Kein Schmerzensgeld für die künstliche Ernährung des Vaters

Das Münchener Landgericht hat die Klage gegen einen Hausarzt, der einen Patienten vermeintlich unnötig lange künstlich ernähren ließ, abgewiesen. Gleichwohl attestierte es einen Behandlungsfehler, da der Patientenwillen nicht ermittelt worden worden sei.

Von Christina Bauer Veröffentlicht:
Heinrich Sening scheiterte am Mittwoch am Münchener Landgericht mit seiner Klage gegen einen Arzt.

Heinrich Sening scheiterte am Mittwoch am Münchener Landgericht mit seiner Klage gegen einen Arzt.

© Sabine Dobel / dpa

MÜNCHEN. 150.000 Euro Schadenersatz und Schmerzensgeld verlangt Heinrich Sening vom Hausarzt seines Vaters, dem er vorwirft, den Schwerkranken zu lange am Leben gehalten zu haben. Statt dem inzwischen verstorbenen Vater zu helfen, habe man ihn unnötig gequält.

Das Landgericht München sah dafür keine eindeutigen Belege und wies die Klage ab.

Streit um Ernährung

Der chronisch kranke und demente Vater war von 2006 an über eine Magensonde ernährt worden. Spätestens ein Jahr vor seinem Tod 2011 sei das nicht mehr fachärztlich angemessen gewesen, befand der Sohn.

Das Gericht hatte jedoch in der mündlichen Verhandlung im November das Versäumnis des Arztes lediglich darin gesehen, dass er nicht den Sohn und vor allem den Betreuer zum Beratungsgespräch über das weitere Vorgehen bei dem Patienten gebeten hatte.

Ab 1997 war für den Vater ein Rechtsanwalt als Betreuer eingesetzt. Er hatte seitdem die Personen- und Gesundheitsfürsorge für ihn inne. Seit 2006 lebte der Patient in einem Pflegeheim.

In den letzten beiden Lebensjahren ging es ihm gesundheitlich oft sehr schlecht. Er litt unter anderem unter Fieber, Pneumonien und Atembeschwerden. Ernährt wurde er über eine PEG-Sonde. Vor allem diese künstliche Ernährung war nun Gegenstand der Klage.

Der Sohn argumentierte, die Sonde sei in dieser Zeit nicht indiziert gewesen. Sie habe das unvermeidliche Sterben des Vaters nur unnötig verlängert. Ihre Verwendung sah er daher als rechtswidrigen körperlichen Eingriff an. Der Arzt habe damit einen Behandlungsfehler begangen.

Nachvollziehbare Argumentation

Das Gericht ließ in der Urteilsbegründung zwar durchblicken, diese Argumentation nachvollziehen zu können. In den betreffenden Jahren habe es nach Einschätzung von Sachverständigen keine Aussicht auf Besserung mehr gegeben. Nach gängigen Leitlinien sei eine künstliche Ernährung damit nicht indiziert gewesen.

Aber: Die Klarheit der Indikation sei laut Gutacher dadurch eingeschränkt gewesen, dass der Patient selbst sich nicht mehr habe äußern können. Außerdem sei nicht belegt worden, dass die Sonde ursächlich für eine Schädigung des Vaters gewesen sei.

Ein wichtiger Teilaspekt zu Ungunsten des Klägers: Die PEG-Sonde war von dem beklagten Hausarzt nicht neu gelegt worden. Der Patient hatte sie schon seit 2006. Der beklagte Hausarzt betreute ihn aber erst seit 2007. 2010 und 2011 ging es also darum, ob die Sonde weiterhin verwendet würde.

Der Arzt war dem Gericht zufolge nicht verpflichtet, die Sonde zu entfernen. Er wäre fachlich dazu auch nicht berechtigt gewesen. Allerdings sei er verpflichtet gewesen, deren Notwendigkeit regelmäßig zu hinterfragen. Insofern hätte er Anfang 2010 mit dem Betreuer des Patienten besprechen müssen, ob die Sonde bleiben oder entfernt werden soll.

Verletzung des BGB

Das hatte der Arzt unterlassen. Das Gericht sah darin eine Verletzung seiner Verpflichtung aus § 1901b BGB ("Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens") und damit einen Behandlungsfehler. Übrigens hatte der Kläger selbst zur Feststellung des Patientenwillens auch nicht beitragen wollen. Er hatte den Vater seit 2008 nicht mehr besucht.

Prinzipiell, so die Richter, sei nicht klar, ob die Behandlung anders verlaufen wäre, wenn es die Erörterung gegeben hätte. Grundsätzlich sei nicht davon auszugehen, dass eine Behandlung ohne weitergehendes Therapieziel zu unterbleiben habe.

Klägeranwalt Wolfgang Putz kündigte bereits an, in Revision zu gehen.

Landgericht München

Az.: 9 O 5246/14

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Kommentare
Gerhard Kraus 19.01.201715:35 Uhr

Der Fall liegt etwas anders

Nach kurzer! Recherche stellt sich raus: Der Sohn - in Amerika lebend - daher die Betreuung vor Ort! - wollte der grausigen Behandlung ein Ende sezten - ohne den Vater aber persönlich noch einmal zu besuchen und musste mühsam auf die Herausgabe der medizinischen und pflegerischen Dokumentation klagen, darüber starb der Vater. Ein wesentlicher Punkt des Rechtsstreites: war die Fortführung der PEG-Sondennahrung indiziert trotz seit 2010 fehlender Indikation und war dem behandelnden Arzt zuzumuten, die Indikation zu hinterfragen und daraus eine Beendigung der parenteralen Ernährung zu bewirken.
Grundsatzfrage: Hat das Belassen der Ernährung und damit der Erhalt des Lebens bei nie geäußertem eigenen Willen den Vorrang vor dem mutmaßlichen Wohl bei Abbruch der Ernährungsbehandlung?

Gerhard Kraus 19.01.201715:01 Uhr

Der Fall liegt etwas anders

Nach kurzer! Recherche stellt sich raus: Der Sohn - in Amerika lebend - daher die Betreuung vor Ort! - wollte der grausigen Behandlung ein Ende sezten - ohne den Vater aber persönlich noch einmal zu besuchen und musste mühsam auf die Herausgabe der medizinischen und pflegerischen Dokumentation klagen, darüber starb der Vater. Ein wesentlicher Punkt des Rechtsstreites: war die Fortführung der PEG-Sondennahrung indiziert trotz seit 2010 fehlender Indikation und war dem behandelnden Arzt zuzumuten, die Indikation zu hinterfragen und daraus eine Beendigung der parenteralen Ernährung zu bewirken.
Grundsatzfrage: Hat das Belassen der Ernährung und damit der Erhalt des Lebens bei nie geäußertem eigenen Willen den Vorrang vor dem mutmaßlichen Wohl bei Abbruch der Ernährungsbehandlung?

Edith Gasskupfer 19.01.201714:42 Uhr

Neues Haftungsrecht,nationaler Fond und veränderte Sicht auf Ärztw wird sehr viel höhere Ansprüche bringen

Der von Bayern vorgeschlagene Fond und internationale rechtliche Annäherung wird die Ansprüche gegen Ärzte massiv steigern.
Wenn neunmalkluge Ärzte der GenerationY mit Nichtbehandlung glauben die Klagewelle umgehen zu können, wird die unterlassene Hilfeleistung für Ärzte abgeändert werden.


Gesamtgesellschaftlich wird dies dazu führen, dass diejenigen Arzt werden die es auch wirklich wollen.

Die Alternative ist ein Anstieg an Selbstjustiz ,wie er sowieso schon zu beobachten ist.

Gerhard Kraus 19.01.201712:38 Uhr

Wieso wird nicht der Sohn und der Betreuer angeklagt?

Ein Sohn, der sich scheinbar aktiv nicht kümmert, ein Betreuer, der sich ebenfalls scheinbar nicht aktiv kümmert - und der Arzt wird angeklagt - und der Anwalt möchte Revision, weil der Arzt nicht schuldig gesprochen wird!
Wo ist der Sinn dieses Verfahrens?

Thomas Georg Schätzler 19.01.201709:04 Uhr

§ 1901b des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) lautet:

§ 1901b - Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens

(1) Der behandelnde Arzt prüft, welche ärztliche Maßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist. Er und der Betreuer erörtern diese Maßnahme unter Berücksichtigung des Patientenwillens als Grundlage für die nach § 1901a zu treffende Entscheidung.

(2) Bei der Feststellung des Patientenwillens nach § 1901a Absatz 1 oder der Behandlungswünsche oder des mutmaßlichen Willens nach § 1901a Absatz 2 soll nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, sofern dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten für Bevollmächtigte entsprechend.

Vorschrift eingefügt durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29.07.2009 (BGBl. I S. 2286), in Kraft getreten am 01.09.2009

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