Prozess gegen Pfleger

Kliniken uneins über Mitverantwortung für Todesfälle

Niels H. steht vor Gericht, weil er als Pfleger in zwei Krankenhäusern mehrere Patienten umgebracht haben soll. Hätten sich die Todesfälle verhindern lassen? Die beteiligten Kliniken machen sich gegenseitig Vorhaltungen.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:

DELMENHORST/OLDENBURG. Immer neue Vorwürfe in Oldenburg: Wegen dreifachen Mordes und zweifachen Mordversuches an Patienten steht der ehemalige Krankenpfleger Niels H. vor dem Oldenburger Landgericht.

Und während die Vorwürfe gegen ihn immer ungeheuerlicher werden, belasten sich das Klinikum Delmenhorst und das Klinikum Oldenburg gegenseitig.

H. hatte in beiden Kliniken gearbeitet. Er steht im Verdacht, möglicherweise in Oldenburg zwölf Patienten getötet zu haben und in Delmenhorst eventuell sogar weit mehr - und zwar hier mit dem Herzmedikament Gilurytmal.

Derzeit werden laut niedersächsischem Justizministerium 178 Fälle geprüft.

Warum es nun nicht aufgefallen ist, dass in Delmenhorst von dem Präparat eine deutlich erhöhte Menge des Normalverbrauches beschafft wurde, ist der Streitpunkt zwischen den Kliniken in Oldenburg und in Delmenhorst.

Medikamente kamen aus Oldenburg

Denn Delmenhorst bezog und bezieht seine Medikamente aus der Klinikapotheke Oldenburg. Nach Angaben des Klinikums versorgt Oldenburg insgesamt 14 Krankenhäuser.

Schon seit 2002 würden die Medikamente der Delmenhorster Intensivstation per PC und Passwort bestellt, hieß es. Allerdings hätten die Passworte nicht den heutigen Sicherheitsanforderungen für die Passwortvergabe entsprochen.

Den Zusammenhang hatte das Klinikum Oldenburg anders dargestellt. Danach seien aus Delmenhorst Medikamente bis 2005 nur in Papierform und durch einen Arzt freigegeben bestellt worden.

Wie dem auch sei - den Klinikmitarbeitern in Delmenhorst hätte der hohe Gilurytmal-Verbrauch nicht auffallen müssen, argumentierte der Rechtsanwalt des Klinikums Delmenhorst, Ernst Joester, auf einer Pressekonferenz der Klinik.

Denn weder sei zur fraglichen Zeit eine Sterbestatistik nach Abteilungen getrennt geführt worden, noch eine Statistik des Medikamentenverbrauchs, sagte Joester.

"Da wurde gleichzeitig für die Intensivstation und die Notfallkoffer der Klinik bestellt." Niemandem sei aufgefallen, dass so viel bestellt worden sei.

"Und niemand ist je darauf gekommen, dass damit getötet wird", so Joester. So blieben die erhöhte Sterberate und der gesteigerte Gilurytmal-Verbrauch während der Dienstzeiten von Niels H. unentdeckt.

Dokumentation nicht verfügbar

Nun hat Delmenhorst das Medikament zusammen mit vielen anderen Präparaten aus der Klinikapotheke des Klinikums Oldenburg bezogen. Hätte man noch die Unterlagen aus Oldenburg, wüsste man auch genaueres über die Bestellmenge, sagte Joester.

Aber Oldenburg habe die Unterlagen bereits vernichtet, obwohl man sie zehn Jahre lang hätte aufheben müssen, so der Rechtsanwalt.

Zudem warf Joester dem Klinikum Oldenburg vor, Niels H. trotz eines "heftigen" Verdachts mit einem guten Zeugnis entlassen zu haben. Mit dem Zeugnis wurde Niels H. dann in Delmenhorst angestellt.

Hier habe man indessen sofort die Polizei eingeschaltet, nachdem H. auf frischer Tat ertappt worden sei, sagte Joester.

Die Leitung des Oldenburger Klinikums reagierte empört auf die Aussagen Joesters.

Man habe das Delmenhorster Haus durchaus auf den gesteigerten Verbrauch an Gilurytmal hingewiesen: "Mit einem fünfseitigen Schreiben vom 23. März 2004 und auch innerhalb der Arzneimittelkommission (AMK) wurden Medikamenten-Listen übermittelt, in denen die Anzahl der Sonderanforderungen an Gilurytmal sichtbar war", teilte das Klinikum Oldenburg mit.

Zudem vertreten die Oldenburger in Sachen Dokumentationspflichten eine andere Auffassung als das Klinikum in Delmenhorst: Die Medikamentenanforderungen dürften bereits nach fünf Jahren vernichtet werden, hieß es.

Keine Erhöhung der Sterberate

"Die von Herrn Rechtsanwalt Joester in der Pressekonferenz von Delmenhorst zitierte "Vertuschung" nach einem "heftigen Verdacht" kann so nicht stehen bleiben", schreibt außerdem das Oldenburger Klinikum in einer Stellungnahme.

"Im Klinikum Oldenburg gab es keine Erhöhung der Sterberate auf der betreffenden Station. Im Gegensatz zu Delmenhorst, wo Herr H. bei Taten zufällig beobachtet wurde, gab es diese konkreten Momente und daraus ableitbaren Beweise nicht."

Für Joester bleibt es dabei, dass das Delmenhorster Klinikum keine Verantwortung an den Tötungen durch Niels H. trage. "Machen Sie den Fehler an Delmenhorst fest, halten sich die anderen Kliniken heraus", so Joester.

Die Kontrolle des Gilurytmal-Verbrauches hätte nichts geändert, die Tötungen seien unvorhersehbar gewesen.

Entschädigung für die Erben?

Unterdessen ermittelt das Klinikum Oldenburg die Erben der zwölf möglicherweise von H. getöteten Patienten, um ihre Angehörigen zu entschädigen.

Delmenhorst wolle indessen ein Gerichtsurteil abwarten, hieß es auf der Pressekonferenz. Rechtsanwalt Joester: "Selbstverständlich müssen Entschädigungen gezahlt werden, wenn eine Mitschuld des Delmenhorster Klinikums festgestellt wird."

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