Hintergrund

Köhlers dritter Weg für die Kodierrichtlinien: Regionalisierung

Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind sich nicht einig - sie bewerten die Kodierrichtlinien unterschiedlich. Nun schlägt KBV-Chef Dr. Andreas Köhler eine dritte Option vor: Jede KV setzt auf ihre eigene regionale Variante.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Keine Einigkeit unter den KVen: Während die einen die AKR weiter testen wollen, möchten andere sie bereits zum Juli einführen.

Keine Einigkeit unter den KVen: Während die einen die AKR weiter testen wollen, möchten andere sie bereits zum Juli einführen.

© Till Schlünz

Die Einführung der Ambulanten Kodierrichtlinien (AKR) zum 1. Juli 2011 ist noch nicht vom Tisch. Neben diesem Termin und der Verschiebung bis zum 1. Januar 2012 steht noch eine dritte Alternative zu Diskussion: Statt einer bundesweiten Lösung könnte es auch regionale Varianten geben.

Diesen Vorschlag hat der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Dr. Andreas Köhler ins Spiel gebracht. Hintergrund für den Verweis auf eine Regionalisierung ist offenbar die Tatsache, dass die Vor- und Nachteile der beiden anderen Vorschläge von den einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen unterschiedlich bewertet werden und eine Einigung schwierig scheint.

Die Kodierrichtlinien waren Thema im beratenden Arbeitskreis "Morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich" der KBV, berichtete der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNo) Dr. Peter Potthoff auf der KVNo-Vertreterversammlung.

Die Krankenkassen hätten deutlich gemacht, dass eine Verschiebung der AKR-Einführung finanzielle Auswirkungen hätte. Wenn die Ärzte im zweiten Halbjahr 2011 ausschließlich nach Alter und Geschlecht kodieren, hätte das Einfluss auf die spätere morbiditätsbedingte Erhöhung der Vergütung, so die Kassen.

Der Effekt würde rund 400 Millionen Euro betragen. Für Nordrhein bedeute das eine Mindervergütung von 40 Millionen Euro. "Das wollen wir nicht ohne Weiteres akzeptieren", sagte Potthoff.

Wenn die KBV die Absenkung um 400 Millionen Euro nicht vom Tisch bekomme, müsse die ursprüngliche Regelung greifen, dass die Kodierrichtlinien zum 1. Juli 2011 eingeführt werden, sagte er.

Dem steht allerdings der Widerstand aus vielen KVen entgegen. Deshalb habe Köhler als dritte Option ins Spiel gebracht, dass jede KV ihren eigenen Weg suchen müsse. "Welche Alternative eintritt, ist noch nicht abzusehen", sagte Potthoff.

In der Diskussion in der KVNo-Vertreterversammlung forderten einige Ärzte den Vorstand auf, sich an die ablehnenden Beschlüsse der VV zu den AKR zu halten.

Eine mögliche künftige Minderung des ärztlichen Honorars dürfe die Grundhaltung gegenüber den Kodierrichtlinien nicht beeinflussen, forderte der Präsident der Freien Ärzteschaft Martin Grauduszus. "Die Ärzteschaft will diese AKR nicht", sagte er.

Sie könne die Argumentation der Krankenkassen nicht nachvollziehen, sagte die Vorsitzende des nordrheinischen Hartmannbundes Angelika Haus. Schließlich würden die Niedergelassenen schon seit Jahren mit ziemlichen Aufwand nach der ungeliebten ICD-10 kodieren.

"Das Argument der Kassen, wir zahlen das Geld nicht, weil die Morbidität nicht bekannt ist, finde ich eine Unverschämtheit", sagte Haus. Auch heute schon könnten die Krankenkassen die Morbidität erfassen, bestätigte der Chef des nordrheinischen Hausärzteverbands Dr. Dirk Mecking. Es mache keinen Sinn, allen Ärzten die AKR überzustülpen. "Die Kassen können ja Panel-Ärzte, die kodieren, bezahlen", schlug er vor.

Es sei zudem nicht garantiert, dass die 40 Millionen Euro für das morbiditätsorientierte Kodieren später tatsächlich in die ärztliche Grundversorgung fließen würden, betonte die Neusser HNO-Ärztin Dr. Christiane Friedländer.

"Die fehlenden 40 Millionen Euro erinnern mich an die Warnung der Atomlobby: Wenn wir die Atomkraftwerke abschalten, geht das Licht aus", sagte sie.

Die KV, die immer über die Unterfinanzierung der ambulanten Versorgung klage, könne eine Zusatzvergütung nicht zur Disposition stellen, betonte KV-Chef Potthoff. "Wenn wir jetzt sagen, wir verzichten auf 40 Millionen Euro, würde das unsere Glaubwürdigkeit beeinträchtigen und unsere Position schwächen", warnte er.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 31.03.201100:14 Uhr

Ambulante Kodierrichtlinien (AKR) zum 1. Juli 2011 - Reloaded

Herr Kollege Popert hat völlig Recht! Aber es ist symptomatisch für die KBV: Der "Dritte Weg" ist nichts anderes als ein "sowohl als auch", ein "Hü und Hott", "Wasch mich, aber mach‘ mich nicht nass" oder ein Fähnlein, das sich nach dem Winde dreht.

Denn erst war die KBV ein glühender Verfechter ''ihrer'' AKR. Dann gab es Proteste, eine Online-Petition im Deutschen Bundestag und Verständnis in Politik, KVen und Öffentlichkeit. Die KBV machte kurz nochmal den Einpeitscher, um sich dann klammheimlich an die Spitze der Anti-AKR-Bewegung zu stellen. Das Führungsduo Köhler/Müller begrüßte plötzlich ein AKR-Moratorium und versprach nachzudenken. Jetzt, nach ihrer Wiederwahl unter etwas dubiosen Umständen kommt der faule Trick mit der Regionalisierung: Der Mist, den die KBV mit den ARK gebaut hat, wird jetzt "sozialisiert". Sollen doch die einzelnen KVen und die Kolleginnen und Kollegen in der täglichen Praxis sehen, wo sie bleiben.

Und dann die Finanzkeule! GKV-Kassen und KBV tun so, als würden wir bisher keine Morbidität mit unserem ICD-10 abbilden. Nur weil, auch für mich manchmal unbegreiflich, die Mehrheit von Haus- und Fachärzten z. B. Diabetes mellitus nicht nach Typ 1 und Typ 2 bzw. Untergruppen differenzieren will oder kann? Vielleicht kommt das daher, Ihr theoretisierenden KBV-"Heimathirsche" und "Imis", dass manche Kollegen nicht mehr wissen, was sie abends nach einem vollgepackten Praxistag noch Alles tun sollen?

Denn ich kann mich erinnern, nächtelang meine Praxis-EDV mit ICD-10 Kürzeln und Verschlüsselungsdetails gefüttert zu haben, dass ich selbst schon kurz davor war, bei meiner KVWL einen "Morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich" für diese gesundheitsschädigende, unbezahlte und unterfordernde Tätigkeit einzuklagen.

In der aktuellen AKR-Diskussion habe ich es übrigens bis zu den Haarspitzen satt, mir von medizin-bildungsfernen KV- und GKV-Bürokraten bzw. Sozialversicherungsfachangestellten sagen zu lassen, welche meiner Dauerdiagnosen behandlungsrelevant seien. Nicht nur bei ganzheitlicher Medizin, sondern auch bei angewandter Schulmedizin, EBM, Risiko- und Rechtsfolgenminimierung sind a l l e anamnestischen, klinischen, psychischen und somatischen Diagnosen relevant bzw. lösen das Versprechen der KBV, nachzudenken, ein:

Praxisrelevanz von i m m e r zu dokumentierenden Dauerdiagnosen(DD)
1. Erektile Dysfunktion: Generell Hinweis auf PAVK. Bei Nitrattherapie und/oder akutem Koronarsyndrom zwingend Frage nach PDF-4-Hemmern.
2. Psoriasis: Massive Verschlimmerung unter Betablockern möglich.
3. Ulcusanamnese/Erosive Gastritis: Probleme unter NSAR, ASS, Cortison, Clopidogrel.
4. Asthma/hyperreaktives Bronchialsystem: keine Betablocker auch nach Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz oder zur Migräneprophylaxe.
5. Zöliakie/Sprue: Risiko für Darm-Adenokarzinome erhöht.
6. Dermatitis herpetiformis: Systemerkrankungsrisiko wie MS erhöht.
7. Thrombose/Thrombophlebitis mit atypischer Lokalisation: V.a. paraneoplastisches Syndrom, erhöhtes Lymphom- (NHL, HL) und Leukämierisiko.
8. Metabolisches Syndrom: Hohes Diabetesrisiko zusammen mit Adipositas, Bewegungsmangel, Rauchen, Hyperlipidämie in die Hypertonie- und KHK-Endstrecke.
9. BRCA-1 und BRCA-2 Genmerkmale: Mamma- und Ovarialkarzinomrisiko massiv erhöht.
10. Osteoporose: effektive Frühdiagnose keine GKV-Leistung (lt. G-BA) Frakturrisiko und sek. orthopäd. Krankheitsrisiko gesteigert.

Die Reihe relevanter, dokumentationspflichtiger Dauerdiagnosen aus meiner jüngsten Praxisarbeit ließe sich beliebig fortsetzten.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Dr. Uwe Wolfgang Popert 30.03.201113:42 Uhr

Honorarplus fraglich

Es ist immer wieder verblüffend, mit welcher Naivität von einem Automatismus "AKR => mehr Diagnosen => mehr Geld für Kassen => mehr Geld für Ärzte" ausgegangen wird.
Praktische Erfahrungen von Pilotpraxen zeigten das Gegenteil: im ganzen Chaos wurden weniger Diagnosen kodiert. Einzelne Praxen haben sogar sämtliche Dauerdiagnosen vergessen.
Das einzige, was die -derzeitig noch gültige- AKR bringen wird ist mehr Arbeit. Ohne irgendeinen Nutzen für Praxen oder Patienten.

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