"Mit H1N1 haben wir vor allem Glück gehabt"

Die Vorbereitung auf Pandemien wird immer noch nicht ernst genug genommen. Es sei nur Glück gewesen, dass die Schweinegrippe relativ milde verlaufen sei, sagt Stanley M. Bergman, Vorstandsvorsitzender des weltgrößten Medizinproduktehändlers Henry Schein, im Interview während des Weltwirtschaftsforums in Davos.

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Ärzte Zeitung: Mr. Bergman, die Vorbereitung auf Pandemien war eines der Themen auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Hat die Neue Grippe dazu geführt, dass die Welt aufgewacht ist?

Stanley M. Bergman: Aus meiner Sicht wird das Problem immer noch nicht ernst genug genommen. Wissen Sie, seit vier Jahren bin ich hier in Davos, und ich arbeite daran, dass wenigstens die Unternehmen sich dem Thema stärker widmen. Immerhin gibt es in der Gesundheitsbranche jetzt eine stärkere Wahrnehmung des Themas. Aber wir müssen uns bewusst sein: Wir haben Glück gehabt, dass H1N1 nicht so schwer verlaufen ist.

Ärzte Zeitung: Haben Sie denn einen Plan, wie Sie die Abläufe im Unternehmen im Fall einer Pandemie sichern könnten?

Bergman: Ja, natürlich. Wir beliefern weltweit circa 600 000 Praxen mit insgesamt mehr als einer Million Ärzten mit Produkten und Dienstleistungen im Healthcare-Bereich. Die brauchen Produkte wie Handschuhe im Pandemiefall mindestens genauso dringend wie sonst. Dafür sind wir als Zulieferer verantwortlich. Wir haben daher einen Plan, wie wir während einer Pandemie mit unseren Zulieferern und mit unseren Kunden kommunizieren; wir wissen, welche Mitarbeiter dann von zu Hause aus arbeiten können; auch der Umgang mit Hygienemaßnahmen und die Isolierung von Personen, die möglicherweise erkrankt sind, sind geklärt, um nur einige Beispiele zu nennen.

Ärzte Zeitung: Und wie sieht es in anderen Unternehmen nach Ihren Erfahrungen aus?

Bergman: Eine aktuelle Studie der Harvard School of Public Health über den Stand der Vorbereitung auf die Schweinegrippe - eine Umfrage unter Entscheidungsträgern in Unternehmen - hat gezeigt, dass nur jedes dritte Unternehmen glaubt, auch im Pandemiefall ihre Geschäfte fortführen zu können. Viele könnten nicht weiter produzieren. In großen Unternehmen mag es mittlerweile solche Pläne geben, aber bei den kleinen und mittleren, dem Rückgrat unserer Wirtschaft, sieht es anders aus.

Ärzte Zeitung: Welche Konsequenzen hätte eine schlechte Vorbereitung denn aus Ihrer Sicht?

Bergman: Da geht es um gewaltige Summen, die auf dem Spiel stehen - und in der Medizinproduktebranche letztlich auch darum, die Produkte lieferfähig zu halten, die im Seuchen- oder Katastrophenfall lebensnotwendig sind. Die Versorgungsketten müssen funktionieren, jedes Glied muss funktionieren. Letztlich ist das wie mit dem Internet: Eigentlich gehen die Geschäfte kaum noch ohne Internet. Aber als Unternehmen brauchen Sie einen Plan, was Sie tun, wenn das Internet einmal ausfällt. Wer das nicht tut, handelt fahrlässig.

Ärzte Zeitung: Sind die Staaten besser vorbereitet als die Unternehmen?

Bergman: Die Staaten in der nördlichen Hemisphäre haben eine Verantwortung, dass dieses Problem stärker wahrgenommen wird und dass die nötigen Maßnahmen ergriffen werden. Denn die Entwicklungsländer waren jetzt auf H1N1 nicht gut vorbereitet. Und wie schnell eine Gesellschaft im Katastrophenfall auch heute noch an ihre Grenzen stößt, das zeigt jetzt das Erdbeben in Haiti - und vor einigen Jahren hat das auch der Hurrikan Kathrina in New Orleans gezeigt. Selbst ein hoch entwickelter Staat wie die USA braucht dann Tage, bis die Hilfe im nötigen Umfang da ist.

Ärzte Zeitung: In letzter Zeit ist viel Kritik laut geworden, die Industrie schüre die Angst vor Pandemien, H1N1 sei bewusst gefährlicher dargestellt worden. Ist die Kritik gerechtfertigt?

Bergman: Nein, ich empfinde die Kritik als abwegig. Natürlich ist die Grenze zwischen "gut vorbereitet sein" und einer Überreaktion schwer zu ziehen. Bei dieser Pandemie gibt es eher zu viel Impfstoff als zu wenig. Aber wäre es umgekehrt, würde das erst recht auf die Regierungen zurückfallen. Dafür sollten die Verantwortlichen nicht kritisiert werden. Die Welt ist sich der Gefahr durch Pandemien einfach noch nicht bewusst, und genau daran müssen wir weiter arbeiten.

Das Interview führte Hauke Gerlof.

Henry Schein

Geschichte: Das Unternehmen wurde 1932 von Henry und Esther Schein als Apotheke in New York gegründet.

Branche: Henry Schein ist der nach eigenen Angaben weltgrößte Lieferant von rund 200 000 Medizin- und Dentalprodukten. Zum Portfolio zählen außerdem Praxis- und Verwaltungssoftware. Hauptabnehmer sind niedergelassene Ärzte und Zahnärzte, Tierkliniken und Labore. Das Unternehmen hat rund 600 000 Kunden in 200 Ländern.

Umsatz/Ertrag 2008: 6,4 Mrd. US-Dollar (4,6 Mrd. Euro, plus 8,3 Prozent gegenüber 2007), Ergebnis: 251 Mio. US-Dollar (181 Mio. Euro, plus 14,4 Prozent)

Mitarbeiter: In 23 Ländern beschäftigt das Unternehmen mehr als 12 500 Mitarbeiter, davon rund 1300 in Deutschland.

Vorstandsvorsitzender (CEO): Stanley M. Bergman ist seit 1989 Vorstandsvorsitzender. Bereits 1980 trat er als Finanzdirektor in das Unternehmen ein.

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