Digitalisierung

Nicht auf den letzten überzeugten Arzt warten

Die Mehrheit der niedergelassenen Ärzte ist digital wenig affin. Aber einige wollen längst mehr als eine elektronische Karteikarte in der Praxis. Diese "Avantgarde" könnte die E-Patientenakte bis 2021 durchaus schon einmal testen.

Von von Bertram Häussler Veröffentlicht:
Die digitale Vernetzung geht für manche Ärzte zu langsam voran. Wie wäre es, diese Ärzte vorangehen zu lassen?

Die digitale Vernetzung geht für manche Ärzte zu langsam voran. Wie wäre es, diese Ärzte vorangehen zu lassen?

© MG / stock.adobe.com

BERLIN. Die Digitalisierung im deutschen Gesundheitssystem wird nur vorankommen, wenn es einen Wettbewerb um die beste Lösung gibt, und wenn digital affine Menschen voran-gehen können und nicht auf den letzten Überzeugten warten müssen.

Selbstverständlich gibt es dabei auch Bereiche, die einer nationalen Regelung bedürfen, damit am Ende alle mit allen zusammenarbeiten können. Eine solche Regelung wurde nun unter dem Druck des Bundesgesundheitsministeriums von "der Selbstverwaltung" in einem "Letter of Intent" (ein wirklich schräger Begriff für etwas, was die Protagonisten schon längst hätten erledigen müssen) vage skizziert, damit die Politik die Grundlage für eine Reform der abgestorbenen Paragrafen des SGB V hat, die den digitalen Verkehr in der GKV behandeln. Der Minister möchte damit eine letzte Verschiebung des Starts auf das Jahr 2021 gewähren.

Genauso wie wir skeptisch auf die nunmehr achte Version der Eröffnung des Berliner Flughafens im Jahr 2020 warten, haben wir Grund zur Skepsis. Es besteht die Gefahr, dass das, was im Jahr 2021 im Gesundheitssystem gestartet werden soll, nicht als dessen "Digitalisierung" durchgehen wird, wenn man nur diesem Letter folgen würde.

Der Letter mutet wieder viel mehr wie eine "one size fits all"-Lösung an als ein Wettbewerb der Ideen, der in diesem Jahr wie ein "kurzer Sommer der Anarchie" von einigen Krankenkassen und Unternehmen entfacht worden war.

Nur wenige Ärzte sind überzeugt

Doch wie könnte eine Transformation in ein digitales Gesundheitssystem in Deutschland gelingen – bevorzugt mit denen, die längst darauf warten? Auf eine "flächendeckende" Lösung, die in Deutschland meist für die einzig mögliche gehalten wird, soll hier explizit verzichtet werden.

Ohne die Ärzte geht nichts. Nicht in der Gegenwart und nicht in der Zukunft. Daher fügt es sich besonders gut, dass gerade das "Praxisbarometer Digitalisierung" der KBV veröffentlicht worden ist. Es gibt Einblicke in Gegenwart und Zukunftserwartungen deutscher Kassenärzte im Hinblick auf die Digitalisierung. Was zeigt sich?

Wenn man davon absieht, dass die meisten Ärzte ein Praxisverwaltungssystem haben und damit elektronisch dokumentieren, dringt vom digitalen Informationsfluss kaum etwas nach außen: Etwa 90 Prozent der Ärzte in Einzelpraxen kommunizieren mit anderen Praxen fast immer noch auf Basis von Papier. Von denen, die digital kommunizieren, benutzt immerhin noch die Hälfte das Allerweltsmedium "E-Mail".

Mit dem Krankenhaus ist die digitale Kommunikation noch schwächer entwickelt. Mit den Patienten kommunizieren knapp zehn Prozent der Ärzte "mehrheitlich" oder "hälftig" online. Vom Patienten aus Apps bereitgestellte Daten finden die Hausärzte mit knapp zehn Prozent am häufigsten "sehr hilfreich".

Jede zweite Praxis mit Webseite

Nur die Hälfte aller Praxen hat eine eigene Internetseite, über die sie mit ihren Patienten kommunizieren könnten.Nach ihren Interessen an der digitalen Welt befragt, liegen zentrale Instrumente wie Online-Sprechstunde und elektronische Patientenakte bei zehn bis 15 Prozent ("sehr hoch" oder "eher hoch").

Die ernüchternde Einsicht aus dieser Befragung: Die meisten niedergelassenen Ärzte sind noch wenig überzeugt von der digitalen Welt. Die ermunternde Einsicht: Ungefähr zehn Prozent können dafür begeistert werden oder sind es bereits. Und auf diese zehn Prozent kann und sollte eine Initiative für ein fortschrittliches Projekt aufbauen.

Eine größere oder ein Konsortium kleinerer Krankenkassen müsste den fünf bis zehn Prozent der Ärzte einen Vertrag bieten, die einen Schwerpunkt ihrer Arbeit jener Gruppe von Patienten widmen wollen, die das Gesundheitssystem ebenfalls als "early adopter" vorwiegend digital nutzen wollen.

Diesen Ärzten kann Einiges geboten werden, wenn sie sich dieser Patientengruppe widmen: Sprechzeiten, die sich dem Wunsch ihrer Patienten anpassen, ein Arbeitsort, der nicht die Praxis sein muss, also auch zu Hause oder unterwegs sein kann. Kontakte über Chats, Maildienste oder ähnliches, wenn die Patienten dies wünschen. Ansonsten können sie auch ganz konventionell zu den Standardzeiten in die Praxis kommen.

Startschuss schon 2019

Unterstützt wird dieses kleine digitale Gesundheitssystem durch eine E-Akte, ob sie nun Patienten- oder Gesundheitsakte heißt, oder nach Paragraf 67, 68 oder nach 291a SGB V begründet ist. Die Absprache mit dem Ministerium lässt jeder Kasse einen Spielraum bis zur großen Eröffnung in 2021. Bis dahin vergeht noch viel Zeit, die sich nutzen lässt. Eine weitere Unterstützung wird ein Assistenz-Service bieten, auf den sowohl teilnehmende Ärzte als auch Patienten zugreifen können.

Was ist das für ein Vertrag? Es könnte ein Vertrag der "besonderen Versorgung" nach Paragraf 140a SGB V sein, für den in einer ersten Phase zunächst einmal unter Allgemeinärzten geworben werden sollte, um den Einstieg nicht gleich mit komplexeren Regelungen zwischen Haus- und Fachärzten zu belasten. In diesem Vertrag werden die Grundlagen für das "Betriebssystem" dieses digitalen Starterpakets gelegt.

Natürlich muss es hierzu auch angepasste neue Vergütungsregelungen geben, die allerdings nicht von der Annahme ausgehen, dass alles "digitale" eine zusätzliche Erschwernis bedeutet, die obenauf zu vergüten sei. Im digitalen Zeitalter sollte man niemanden "entschädigen" müssen für etwas, was letztlich attraktiv ist. Patienten können nach Paragraf 53 SGB V (Wahltarife) beitreten und bekommen dafür ebenfalls einen besonderen Tarif angeboten, der nicht mit Rabatten locken soll.

Wenn eine oder mehrere Kassen ein solches Angebot machen, wäre mit fünf bis zehn Prozent der Hausärzte zu rechnen, also mit bis zu 5000 Ärztinnen und Ärzten bundesweit. Genug für die digital affinen Versicherten dieser Kassen, in dem Angebot eine Alternative zu sehen.

Ein Jahr für die Vorbereitung könnte bereits reichen. Die Zutaten sind vorhanden. Ärzte und Versicherte auch. Nichts wäre hilfreicher für den Start der "flächendeckenden" Lösung, als wenn es ein Vorbild schon gäbe. 2019 könnte der Startknopf gedrückt werden.

Und so steht es im Gesetz

  • Paragraf 140a SGB V, Besondere Versorgung: (1) Die Krankenkassen können Verträge mit (...) Leistungserbringern über eine besondere Versorgung der Versicherten abschließen. Sie ermöglichen eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende oder eine interdisziplinär fachübergreifende Versorgung (integrierte Versorgung). (...)
Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Ambulantisierung

90 zusätzliche OPS-Codes für Hybrid-DRG vereinbart

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Interview

Diakonie-Präsident Schuch: Ohne Pflege zu Hause kollabiert das System

Lesetipps
Der Patient wird auf eine C287Y-Mutation im HFE-Gen untersucht. Das Ergebnis, eine homozygote Mutation, bestätigt die Verdachtsdiagnose: Der Patient leidet an einer Hämochromatose.

© hh5800 / Getty Images / iStock

Häufige Erbkrankheit übersehen

Bei dieser „rheumatoiden Arthritis“ mussten DMARD versagen