Fall Niels H.

Nun auch Klinikärzte vor dem Kadi

Totschlag durch Unterlassung lautet die Anklage unter anderem gegen Pfleger und Ärzte, die auf Station mit dem mordenden Pfleger gearbeitet haben.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Der Prozess gegen Niels H. (ganz rechts) wurde von einem massiven Medienaufgebot begleitet. Jetzt sind auch in diesem Kontext Ärzte angeklagt.

Der Prozess gegen Niels H. (ganz rechts) wurde von einem massiven Medienaufgebot begleitet. Jetzt sind auch in diesem Kontext Ärzte angeklagt.

© Carmen Jaspersen / dpa

OLDENBURG. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat im Zusammenhang mit den Mordfällen des Ex-Pflegers Niels H. in den Jahren 2002 bis 2005 auch damalige Pfleger und Ärzte des Klinikums Delmenhorst angeklagt – wegen Totschlags durch Unterlassung.

Das teilten Staatsanwaltschaft Oldenburg und die Sonderkommission "Kardio" der Oldenburger Polizei am Freitag mit. Die Verantwortlichen sollen die Taten billigend in Kauf genommen haben.

Anklage gegen zwei Oberärzte

"Angeklagt wurden der damalige Stationsleiter für den Bereich Pflege der Intensivstation (59) sowie seine beiden damaligen Stellvertreterinnen (56, 60). Außerdem ein damals auf der Intensivstation tätiger Pfleger (47) sowie zwei Oberärzte (58, 67), aus deren damaligen Abteilungen Patienten bei Bedarf auf die Intensivstation verlegt wurden", heißt es in der Mitteilung.

Zur Frage, ob die Angeklagten noch immer im Klinikum arbeiten, wollte Staatsanwalt Martin Rüpell keinen Kommentar abgeben. "Das sagen wir nicht", so Rüpell zur "Ärzte Zeitung".

Niels H. soll am 22. Juni 2005 von einer Kollegin auf frischer Tat ertappt dabei worden sein, wie er einem Patienten nicht indiziert Ajmalin verabreicht habe. Der Patient sei am folgenden Tag gestorben. Man veranlasste zwar laut Staatsanwaltschaft sofort eine Blutuntersuchung des Patienten und konnte die nicht indizierte Verabreichung von Ajmalin nachweisen.

Aber die beiden Oberärzte und die Stationsleitung seien nicht tätig geworden, obwohl sie informiert worden seien, so die Staatsanwaltschaft.

Weder sei Niels H. auf die entdeckte Tat angesprochen, noch sei er aus dem Dienstbetrieb entlassen worden, um weitere Taten zu verhindern. Vielmehr habe er sogar bis zu seinem Urlaub am 24. Juni weiterarbeiten können. Die Staatsanwaltschaft verdächtigt ihn, in seiner letzten Schicht vor dem Urlaub eine weitere Patientin mit Sotalol getötet zu haben.

Den Verdacht gegen Niels H. sollen die Angeschuldigten aber schon "im Mai bzw. im Juni 2005" geschöpft haben, hieß es. Und zwar so deutlich, dass "sie weitere Taten ernsthaft für möglich hielten und daher zum Einschreiten verpflichtet gewesen wären."

So seien Anfang Mai leere Ajmalin-Ampullen gefunden worden. "Im Anschluss daran soll der Verdacht der Täterschaft des Niels H. zunächst zwischen dem 47-jährigen (damals Pfleger) und der 60-jährigen Angeschuldigten (damals stellvertretende Stationsleiterin) und später auch mit dem 59-jährigen damaligen Stationsleiter ausdrücklich erörtert worden sein", so Staatsanwaltschaft und SOKO Kardio.

Weil nicht eingeschritten wurde, habe Niels H. unter dem Verdacht seiner Kollegen und Vorgesetzten laut Anklage im Mai und Juni 2005 drei Menschen töten können und habe es bei zwei weiteren versucht.

"Die Anklage geht davon aus, dass diese Taten des Niels H. im Falle des gebotenen Einschreitens durch die Angeschuldigten hätten verhindert werden können", so die Staatsanwaltschaft.

Insgesamt geht die Staatsanwaltschaft inzwischen von 37 nachweisbaren Tötungsdelikten durch Niels H. allein im Klinikum Delmenhorst aus. Und zwar von 29 Ajmalinvergiftungen, die bei exhumierten Verstorbenen über toxikologische Untersuchungen belegt werden konnten, von einer Versuchstat, die von Niels H. eingeräumt worden sei, und einer ebenfalls eingeräumten vollendeten Tat mit Solatolol.

Ermittlungen bis Mitte 2017

Über diese Taten hinaus wird H. verdächtigt, auch am Klinikum Oldenburg Patienten getötet zu haben. Bevor H. ans Klinikum Delmenhorst ging, arbeitete er auf der Anästhesie und der Kardio-Intensivstation des Oldenburger Hauses. Derzeit bestehe in sechs Fällen "dringender Tatverdacht", so die Staatsanwaltschaft.

Nach der Prüfung von über 300 Patientenakten, hat die Staatsanwaltschaft mehr als 100 Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts von Tötungen eingeleitet. Auch in Oldenburg wurde Exhumierungen angeordnet. Experten werten die Krankenunterlagen aus.

Bis Mitte 2017 sollen die Ermittlungen dauern. Da die Ermittlungen gegen die Verantwortlichen aus dieser Klinik "in direktem Zusammenhang zu diesen Ermittlungen stehen", so die Staatsanwaltschaft, "dauern diese ebenfalls noch an".

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