Studie deckt auf
Ohne Not in die Notaufnahme - aus Faulheit
Mit Männerschnupfen in die Notaufnahme? Keine Seltenheit. Nun zeigen Forscher die Motive der Patienten, die sich wegen Bagatellen lieber an eine Klinik als an ihren Hausarzt wenden: Unwissenheit, Angst und Bequemlichkeit.
Veröffentlicht:MÜNCHEN. Das Personal der Notfallambulanzen an deutschen Kliniken sieht sich in steigendem Maß mit Patienten konfrontiert, die in der Nothilfe eigentlich nichts verloren haben. Welche Motive Patienten dazu bewegen, statt zu einem niedergelassenen Arzt in eine Klinikambulanz zu gehen, haben Martina Schmiedhofer und Kollegen von der Abteilung für Notfallmedizin der Charité in Berlin in einer Studie herauszufinden versucht.
Sie befragten 86 Patienten mit wenig akuten Erkrankungen in drei Ambulanzen (zwei in Berlin, eine in Sachsen-Anhalt). 64 Interviews konnten ausgewertet werden. Wenn das Ergebnis auch keine quantitativen Aussagen ermöglichte, so gab es doch qualitative Erkenntnisse zu den Gründen, in die Ambulanz zu gehen.
"Doctor to go"
Drei Wege zur Ambulanz kristallisierten sich heraus. Den ersten beschritten Patienten, die direkt und ohne vorherigen Versuch, einen Termin bei einem niedergelassenen Arzt zu bekommen, eine Klinikambulanz aufsuchten. Dabei waren vier Gruppen unterscheidbar:
Gruppe 1 bediente sich der Ambulanzärzte als eine Art "Doctor to go". Sie empfanden es als bequem, jederzeit und ohne lästige Terminvereinbarung aufkreuzen zu könnenund verarztet zu werden. Sie betrachteten das als den komfortableren Weg, obwohl sie stundenlange Wartezeiten in Kauf nehmen mussten. Meist handelte es sich um jüngere, gesündere und vielbeschäftigte Personen, die keinen Hausarzt hatten und dies auch nicht für nötig hielten.
Gruppe 2 hatte nach kleineren Verletzungen oder Verstauchungen bei sich selbst den Bedarf für eine Röntgenaufnahme diagnostiziert und suchte die Ambulanz auf. Sie argumentierten, der Hausarzt – dem sie im Übrigen stark verbunden seien – verfüge über kein Röntgengerät, eine Überweisung dauere zu lange.
Gruppe 3 bestand aus Patienten, die der Glaube in die Nothilfe geführt hatte, hier sei der medizinische Standard höher als draußen. Diese Patienten waren meist älter, kränker und hatten einen Migrationshintergrund. Zwar wurden sie von niedergelassenen Ärzten betreut. Doch manche waren damit unzufrieden, andere wiederum schätzten das versammelt verfügbare Spezialistentum in der Klinik. Ihnen ging es aber nicht nur um Bequemlichkeit, sie hatten auch Angst um ihre Gesundheit.
Gruppe 4 schließlich führte hauptsächlich die Angst in die Klinikambulanz. Die Patienten fürchteten um ihren Gesundheitszustand. Viele hatten eine Ärzteodyssee hinter sich, ohne dass sich ihre Beschwerden gebessert hatten. Manche Patienten schienen in einem diagnostischen Zirkel gefangen. In der Stadt gehörten zu dieser Gruppe viele Migranten.
Nicht alle sind nur bequem
Den zweiten Weg in die Klinikambulanz gingen Patienten, die mehr oder weniger intensiv versucht hatten, einen Termin in einer Praxis zu bekommen, aber erfolglos geblieben waren. Und auf einem dritten Weg kamen Patienten, die angaben, ein niedergelassener Arzt habe sie hierher verwiesen, entweder weil es Zeitprobleme gegeben habe oder weil ihr Beschwerdebild komplex sei.
Die Motivation von Patienten, eine Klinikambulanz und keine Praxis aufzusuchen, stellt sich mit Blick auf die Studienergebnisse als zweigeteilt dar. Zum einen gibt es das Motiv der Bequemlichkeit – ein häufig geäußerter Vorwurf gegen diese Ambulanzpatienten mit Bagatellerkrankungen, der auch schon zu Forderungen geführt hat, von solchen Patienten eine Gebühr zu erheben.
Zum anderen aber ist die Angst um die Gesundheit ein Motiv, das die Patienten zusammen mit beschränkt verfügbarer Zeit und dem Bedürfnis nach multidisziplinärer medizinischer Versorgung in die Kliniken führt.
"Wir schlussfolgern", schreiben Schmiedhofer und Kollegen, "dass die Notfallambulanzen eine Schlüsselfunktion in der ambulanten Versorgung innehaben." Dies gelte es anzuerkennen, um die Ressourcen angemessen zu verteilen.