KI für den Praxisalltag

Um Terminwünsche kümmert sich der smarte Praxisassistent

Zukunft schon heute: Ein KI-basierter Telefonassistent nimmt Termin- und Rezeptwünsche entgegen, wenn das Praxisteam gerade keine Zeit hat. Zwei Praxen berichten über ihre Erfahrungen mit dem smarten Assistenten von einem Berliner Start-up.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Illustration eines Praxis-Telefonassistenten: Die Anliegen der Patienten werden vom smarten Telefonassistenten in strukturierte, kurze Infos zusammengefasst – samt Rufnummer.

Illustration eines Praxis-Telefonassistenten: Die Anliegen der Patienten werden vom smarten Telefonassistenten in strukturierte, kurze Infos zusammengefasst – samt Rufnummer.

© Alexander Limbach / stock.adobe.com

BERLIN. Wie wird Künstliche Intelligenz (KI) die Arbeits- und vor allem die Praxiswelt verändern? Während sich viele Mythen um den Cyber-Doc der Zukunft ranken, zeigt ein Berliner Start-up, dass KI vor allem eines sein kann: ein zusätzlicher Praxis-Helfer. Der smarte Telefonassistent von Aaron.ai entlastet die Mitarbeiter bei telefonischen Patientenanfragen und leistet dabei mehr als ein gewöhnlicher Anrufbeantworter.

Das Poliklinische Zentrum Berlin setzt den smarten Assistenten in der Kinderabteilung in seinem MVZ am Kottbusser Tor bereits seit Sommer vergangenen Jahres ein. „Wir haben vor rund eineinhalb Jahren die Terminvergabe eingeführt, damit sich das Patientenaufkommen über den Tag hinweg besser verteilt“, berichtet Pädiater und Praxisinhaber Dr. Turhan Keles.

Der Telefonassistent sei ein Teil dieses Konzeptes. Dabei gehe es der Praxis nicht darum, Personal einzusparen, sondern darum, die Mitarbeiter zu entlasten und einen Service für die Patienten zu bieten.

Über 100 Patienten pro Tag

Die Kinderabteilung versorgt pro Tag über 100 Patienten. Die Schlange am Empfang an diesem Donnerstagmorgen lässt nur erahnen, was die vier Ärzte, vier Medizinischen Fachangestellten (MFA) und drei Auszubildenden der Praxis tagtäglich leisten. „Durch den Telefonassistenten verschieben wir einen Teil der Kommunikation in die Mittagszeit“, erläutert Praxismanagerin Ayse Yavuz.

Der Telefonassistent nimmt für die MFA die Anrufe entgegen. Dabei wird gezielt das Anliegen des Patienten erfragt. „Der Patient weiß, ich muss genau diese Information weitergeben und auch nur die“, sagt Yavuz. Den Anrufbeantworter, der vorher geschaltet war, wenn die Leitungen überliefen, hat die Praxis komplett abgeschaltet. „Weil die Patienten zu viel erzählen“, so Yavuz.

Anliegen wird strukturiert abgefragt und verarbeitet

Erfasst werden von dem smarten Assistenten etwa Terminanfragen oder Wiederholungsrezepte. Er erfrage dabei zum Beispiel, um welches Medikament es sich handele oder welche Beschwerden das Kind habe. Bei dringenden Anliegen wird direkt zum Praxisteam durchgestellt. Ansonsten werden die Telefonate alle halbe Stunde von den MFA nachgearbeitet.

Sie erhalten eine Übersicht, auf der die Telefonnummer und – als strukturierte Information – das Anliegen des Patienten angegeben wird. So lassen sich bei Wiederholungsrezepten Patienten auch schnell einmal per SMS benachrichtigen, wenn das Rezept abholbereit ist. Auch das geht direkt über den Telefonassistenten.

Die Nachbearbeitung dauert laut Yavuz im Schnitt zwei Minuten pro Anruf. Mit dem alten Anrufbeantworter hätte es mindestens fünf Minuten, zum Teil sogar länger gedauert. Da die Praxis viele türkisch-sprachige Patienten betreut, wird gerade eine zweisprachige Version des Telefonassistenten getestet. Dabei arbeitet das Start-up eng mit dem Praxisteam zusammen, wie Aaron.ai-Geschäftsführer Richard von Schaewen berichtet.

Das System wurde zwar über einen Dolmetscher trainiert, aber so manche sprachliche Feinheit tritt eben erst im Praxistest auf. Patienten, die in der Praxis anrufen, werden nun auf Deutsch und Türkisch begrüßt und können dann wählen, in welcher Sprache sie den Dialog weiterführen wollen. Künftig sollen laut von Schaewen weitere Sprachen hinzukommen.

Schnittstellen zur Praxis-IT angedacht

Bei den Patienten des MVZ am Kottbusser Tor kommt der Service gut an. „Wir haben schon viele Komplimente bekommen, weil immer jemand ans Telefon geht und wir die Patienten anschließend zurückrufen“, so Yavuz. 500 bis 700 Telefonate pro Woche nimmt allein der Telefonassistent für die Praxis an.

Terminwünsche müssen allerdings noch von Hand in den elektronischen Terminkalender der Praxis eingegeben werden. Künftig soll es auch hier eine direkte Verknüpfung geben. Für Aaron.ai hat dies laut von Schaewen einen hohen Stellenwert, sodass bereits einige Verknüpfungen bestehen, allerdings würden es die Arztsoftware-Hersteller neuen Anwendungen nicht immer leicht machen, bemängelt er.

Auch die zahnmedizinische Großpraxis KU64 am Berliner Kurfürstendamm würde sich hier mehr Bewegung im Markt wünschen. „Unser Traum ist es, dass wir den Assistenten in Zukunft direkt an die Patientenakte anbinden können“, sagt Marcel Baer, der den IT-Bereich der Praxis leitet, in der über 100 Mitarbeiter – darunter 28 Zahnärzte – tätig sind und die ein eigenes Dentallabor im Haus hat.

Dabei ist die Großpraxis kommunikationstechnisch bereits gut aufgestellt: Sie betreibt ein eigenes Call-Center, in dem die Anrufe der Praxis entgegen genommen, E-Mails bearbeitet, aber etwa auch Röntgenbilder für Patienten gebrannt werden. Die vier Call-Center-Mitarbeiter kümmern sich täglich um 300 bis 400 Anrufer.

Doppelanrufe werden vermieden

Der smarte Telefonassistent von Aaron.ai nimmt alle Anrufe entgegen, die sonst verpasst würden. „Früher mussten wir hier müßig eine Liste durchgehen und es kam häufig zu Doppelanrufen“, so Baer. Nach 40 Sekunden springt nun automatisch der Telefonassistent ein.

Über das „Dashboard“ des Assistenten erhalten die Mitarbeiter wie im MVZ am Kottbusser Tor strukturierte Infos zu den Anrufern: Name, Geburtsdatum, Telefonnummer und eine kurze Info zum Anliegen.

„Wenn eine Einwilligung des Patienten vorliegt, können wir uns Gespräche auch noch einmal anhören“, erläutert Baer. Der Assistent fragt dies beim Patienten ab, nur dann werden die Gespräche aufgezeichnet. „Damit stellen wir sicher, dass die Arztpraxis allen aktuellen Datenschutzanforderungen genügt“, sagt von Schaewen.

Der größte Teil der Anrufe betrifft in der zahnärztlichen Praxis tatsächlich Beratungsgespräche. Hier kann nun ein Rückruf erfolgen, wenn Zeit in der Praxis ist.

Baer hat für die Zukunft aber noch mehr Wünsche: Die Praxis strebe eine Lösung an, in der sie den Telefonassistenten vorfiltern lassen kann. „Will ein Patient nur eine allgemeine Info zu einer Behandlung, würde der Assistent dies aufnehmen und wir könnten dann abends zurückrufen, Terminanfragen würden hingegen direkt durchgestellt.“

Ebenso wie dringende Fälle. Mit dem Telefonassistenten spare sich die Praxis aber auch kostspielige Telefonansagen für Ferien- und Weihnachtszeiten. „Lassen Sie Ihren Anrufbeantworter von einem professionellen Sprecher besprechen kostet das 2000 bis 3000 Euro“, erklärt Baer. Und die Gespräche müssten in jedem Fall nachgehört werden.

Patienten mit im Boot

Die Patienten würden den Telefonassistenten gut annehmen. Die Praxis schickt prinzipiell jedem Patienten nach der Behandlung einen Feedbackbogen. Baer:„Wir bekommen pro Monat 400 Feedbackbögen zurück, es waren bisher nur zwei Patienten dabei, die sich über den Telefonassistenten beschwert haben.“

Der Schulungsaufwand bei den Mitarbeitern für den Umgang mit dem Telefonassistenten und seinem Dashboard ist laut Baer gering. Maximal eine Stunde sei notwendig, sagt er, bei IT-affinen Mitarbeitern noch weniger. Hilfreich sei hier auch die intuitive Nutzeroberfläche.

Neben der Anbindung an die verschiedenen Arztsoftware-Systeme hat das Berliner Start-up Aaron.ai ,dessen Ideenschmiede übrigens in dem Haus liegt, in dem schon Konrad Zuse an den ersten Computern bastelte, noch ein Großprojekt geplant: Es will mit den ärztlichen Bereitschaftsdiensten zusammenarbeiten. Damit würde die Notfallerkennung ein weiteres Kernelement des KI-gestützen Telefonassistenten werden.

Der Telefonassistent

Weitere Infos unter: https://aaron.ai/index.html

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