EBM-Reform

Wie schafft es die ärztliche Arbeitszeit ins Honorar?

Geht es nach KBV-Chef Dr. Andreas Gassen, dann wird die adäquate Vergütung ärztlicher Arbeitszeit in die EBM-Reform einfließen. Dafür gibt es zwei Wege.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
Rechengröße ärztliche Arbeitszeit: Bislang wird bei Honorarverhandlungen einfach als Vergleichswert auf das Gehalt eines Oberarztes zurückgegriffen. Die tatsächlich erbrachte Leistung der Praxen wird damit nicht abgebildet.

Rechengröße ärztliche Arbeitszeit: Bislang wird bei Honorarverhandlungen einfach als Vergleichswert auf das Gehalt eines Oberarztes zurückgegriffen. Die tatsächlich erbrachte Leistung der Praxen wird damit nicht abgebildet.

© Schlierner / fotolia.com

BERLIN. "Wir müssen die ärztliche Zuwendung abbilden." Das war die klare Botschaft von KBV-Chef Dr. Andreas Gassen am Mittwoch in Berlin. Der Anlass: eine Tagung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) zum Thema "ärztliche Arbeitszeit".

Genau letztere soll der Schlüssel zur besseren Bewertung der ärztlichen Zuwendung innerhalb der Vergütung sein und daher in die aktuelle EBM-Reform einfließen.

Gleich mehrere Experten aus der Gesundheitsökonomie machten deutlich, dass es höchste Zeit dafür ist, sich innerhalb des Gebührenwerkes Gedanken um den realen unternehmerischen Arbeitslohn niedergelassener Ärzte zu machen.

Denn bisherige Referenzgröße bei den Verhandlungen zum EBM ist ein kalkulatorischer Arztlohn von rund 105.000 Euro - das entspricht dem tariflichen Oberarztgehalt von 2007.

"Damit liegen wir am unteren Rand der Einkommensspannen vergleichbarer Tätigkeiten", so Professor Günter Neubauer vom Institut für Gesundheitsökonomik (ifg) in München.

Unteres Ende bei 159.000 Euro?

Neubauer hat sich das durchschnittliche Jahresbruttoeinkommen eines angestellten Oberarztes (inkl. variabler Bestandteile und Zusatzeinkommen) vorgenommen, das bei rund 128.000 Euro liegt, das Bruttoeinkommen vergleichbarer Freiberufler (z.B. Steuerberater, Juristen, Lotsen), das sich um die 147.000 Euro bewegt sowie das der Honorarärzte, die auf rund 203.000 Euro kommen.

Nehme man hiervon den ungewichteten Mittelwert, dann müsste der kalkulatorische Arztlohn am unteren Ende bei mindestens 159.000 Euro pro Jahr rangieren, rechnete Neubauer vor. Als oberes Ende hat er rund 175.000 Euro pro Jahr errechnet.

Doppelter Ansatz

Über zwei Wege könnte die ärztliche Arbeitszeit Einzug ins Vergütungssystem erlangen.

Der Orientierungswert könnte um eine Rechenkomponente „ärztliche Arbeitszeit“ ergänzt werden, denn da die Punkte der EBM-Ziffern langfristig festgelegt werden, lassen sich so jährlich Veränderungen abbilden.

Einzelne Leistungsziffern müssten auf den nötigen Einsatz ärztlicher Arbeitszeit geprüft und eventuell dementsprechend aufgewertet werden.

Wobei zu beachten ist: Der kalkulatorische Arztlohn ist nicht das Nettoeinkommen der Niedergelassenen, sondern lediglich eine Rechengröße für die Honorarverhandlungen.

Denn was Ärzten tatsächlich als Nettoeinkommen übrig bleibt, ergibt sich immer aus dem Jahresüberschuss der Praxis abzüglich der Beiträge für Altersvorsorge, Kranken- und Pflegeversicherung und der persönlichen Einkommensteuer.

Wesentlich drastischer stellte Zi-Geschäftsführer Dr. Dominik von Stillfried die Situation der Praxen auf der Tagung dar (wir berichteten kurz): Die Verbraucherpreise seien seit 2008 um rund zehn Prozent gestiegen, die Nominallöhne um rund 13,8 Prozent. Ganz anders die Situation beim Orientierungswert, über den in den - derzeit jährlichen - Verhandlungen mit den Kassen Vergütungssteigerungen abgebildet werden.

Preisverfall ärztlicher Leistung

Dieser habe sich - hier ist der Vergleichswert allerdings das Jahr 2010 - nur um 3,6 Prozent erhöht. Wobei es dadurch, dass der Gesetzgeber mit dem GKV-Finanzierungsgesetz vom 22. Dezember 2010 den Orientierungswert für die Jahre 2011 und 2012 festgesetzt hatte, zwischenzeitlich gar keine Bewegung bei dieser Rechengröße gab.

Stillfried: "Wir haben hier ganz klar einen Indikator dafür, dass wir einen Preisverfall vertragsärztlicher Leistungen haben." Und dieser wirke sich auf die Verzinsung des in die Praxis eingesetzten Kapitals aus.

Denn auch das sollte bei einem Freiberufler stattfinden: Die Investition, die er in seine Praxis tätigt - gerade die Einstiegsinvestition - muss sich über die Jahre wieder gegenfinanzieren. Die Ökonomen rechnen hier in der Regel mit einem kalkulatorischen Zinssatz, der sich an vergleichbaren Investitionen auf dem Finanzmarkt orientiert.

Doch wie genau soll die ärztliche Arbeitszeit bewertet werden? Wer diese Frage stellt, kommt unweigerlich in die ökonomische Diskussion der Produktivität. Und die ist erst einmal nichts anderes als das Verhältnis eines Produktionsfaktors zum Produktionsergebnis - also etwa im Klinikbereich der eingesetzten Arbeitsstunden des Personals zu den entlassenen Patienten.

Aber: Im Gesundheitswesen müsse man die Multifaktorproduktivität ansetzen, erläuterte Professor Alexander Karmann vom Gesundheitsökonomischen Zentrum an der Technischen Universität Dresden. Diese bezieht nämlich sämtliche verwendeten Inputs und Outputs ein.

Dabei komme es im Gesundheitswesen - noch ein Spezifikum - teilweise zu einem Outputwachstum, das nicht durch wachsenden Input erklärt werden könne. Das klingt kompliziert, doch Karmann löste das Mysterium schnell auf: "Zum Teil finanziert der technische Fortschritt die Produktivität mit."

Trotzdem kann Karmann eine Formel liefern. Für ihn ergibt sich der Output aus Arbeitskraft plus eingesetztem Kapital plus etwaige Vorleistungen plus die Multifaktorproduktivität. Wer die Formel umkehrt, kommt so auf die Produktivität. In der Praxis bleibt dann aber die Frage: Was zähle ich als Output?

Leistungsspezifischer Ansatz nötig

Stillfried warnte davor, den Heilungsprozess als Outputgröße heranzuziehen. "Damit kommen wir in ein großes Durcheinander." Zumal es Aufgabe der Versorgerpraxen ist, chronisch kranke Patienten zu betreuen. Stillfried schwebt vor, dass man leistungsspezifisch fragt: Was soll erreicht werden?

Und sich dann tatsächlich anschaut, wie viele Patienten man - in dem vorgegebenen Zeitraum - behandeln kann. Dann habe man ein relativ einfaches Maß.

Was Karmann zusammen mit zwei Kollegen errechnet hat (M. Scheider et al., "Produktivität in der Gesundheitswirtschaft", 2014, Springer Gabler Verlag) ist, dass die Produktivität mit plus 1,1 Prozent im Gesundheitswesen (Durchschnittswert von 2002 bis 2010) höher als in der Gesamtwirtschaft (plus 0,3 Prozent) lag.

Der Output im Gesundheitswesen wuchs sogar um 3,0 Prozent, der der Gesamtwirtschaft nur um plus 1,8 Prozent.

Überzeugende Produktivität

"Die Gesundheitswirtschaft beeinflusst die Gesamtwirtschaft positiv und ist Wachstumstreiber und Stabilisationsfaktor", so Karmann. Insbesondere die Arbeitsproduktivität sei im Gesundheitswesen mit einem Wachstum von plus 0,6 Prozent im Vergleich zur Gesamtwirtschaft (plus 0,1 Prozent) "relativ hoch".

Betrachte man nur den Dienstleistungsbereich im Gesundheitswesen (hierunter fallen aber stationärer und ambulanter Bereich, sowie Verwaltungsleistungen etc.), sei die Arbeitsproduktivität sogar um 0,7 Prozent gestiegen. Karmann: "Das ist eine Messlatte, mit der man Verhandlungen beginnen kann."

Die Produktivität alleine macht laut Karmann aber noch keine "gerechte Lohnsteigerung". Diese sei erst erreicht, wenn sie größer/gleich der Inflationsrate plus der Steigerung der Produktivität liege. "Das Mehr an Patienten, das Sie pro Stunde in der Praxis haben, muss abgebildet werden", so der Ökonom.

Trotzdem befinden wir uns in der vertragsärztlichen Versorgung nach wie vor in einem engen Gebührenkorsett. Bisher würden im EBM zwar der technische Leistungsanteil und ein ärztlicher Leistungsanteil unterschieden, berichtete Stillfried.

Der Kostenanteil der Praxen finde sich derzeit aber überwiegend in den technischen Leistungen wieder. Während die Überschüsse in der Regel im ärztlichen Leistungsanteil generiert würden. Dabei sei der ärztliche Leistungsanteil streng arbeitszeitgebunden.Auch Tariferhöhung bei MFA noch nicht im EBM abgebildet.

Das zweite Problem laut Stillfried: Von den Kostenblöcken, die Ärzten als Freiberufler entstehen, entfallen nahezu 50 Prozent auf die Personalkosten, wie die Daten des Zi-Praxispanels 2012 belegen. "Damit sind sie wiederum arbeitszeitgebunden", so Stillfried.

 Eine Komponente, die bislang ebenfalls in der Vergütung nicht ausreichend berücksichtigt werde. Stillfried plädiert daher dafür, dass eine ausreichende Bewertung ärztlicher Arbeitszeit sowie der Arbeitszeitkomponente Personal in die Kostenrechnung im EBM einfließt.

Immerhin habe es im vergangenen September und diesen April durch den MFA-Tarifvertrag jeweils eine Gehaltssteigerung bei den Medizinischen Fachangestellten gegeben, die noch nicht Einzug in den EBM gefunden habe.

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