Kapitalanlage

Wirtschaft und SPD blasen zum Angriff auf die Schwarze Null

Ökonomen fordern, dass die Bundesregierung wieder neue Schulden macht, um die Infrastruktur auf Vordermann zu bringen. Von einer solchen Kehrtwende in der Fiskalpolitik dürften vor allem Bau-Aktien und High-Tech-Ausrüster profitieren.

Von Richard Haimann Veröffentlicht:
Marode Straßen und Brücken – Sinnbild bundesweiten Investitionsbedarfs.

Marode Straßen und Brücken – Sinnbild bundesweiten Investitionsbedarfs.

© Karl-Heinz Sprembe / picture alliance

Neu-Isenburg. Es wäre nicht weniger als eine komplette Neuordnung der deutschen Finanzpolitik: Die neue SPD-Spitze aus Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans will die „Schwarze Null“ abschaffen – und führende Ökonomen klatschen Applaus. Die Bundesrepublik dürfe nicht „dem Abschwung hinterher sparen und damit negative Tendenzen in der Wirtschaft verstärken“, sagt etwa Claus Michelsen, Leiter Konjunkturpolitik beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

Seit 2014 hat die Bundesregierung Jahr für Jahr keine neuen Schulden mehr gemacht. Beliefen sich die Verbindlichkeiten 2012 noch auf 81,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, der Gesamtsumme aller produzierten Güter und erbrachten Dienstleistungen im Land, waren es 2018 nur noch 61,9 Prozent. Das hat Deutschland zwar den Ruf eingebracht, seinen Haushalt besonders solide zu führen.

Dafür sind immer mehr Autobahnen, Bundesstraßen und Schienenstränge marode. Auch andere Teile der Infrastruktur liegen darnieder. Die Internet-Datenübertragungsraten liegen weit unter dem internationalen Durchschnitt. Beim Mobilfunk beträgt die Flächenabdeckung nur 65,5 Prozent – Schlusslicht in Europa. „Selbst in Albanien ist das Netz besser“, so das Aachener Infrastrukturberatungsunternehmen P3 in einer Studie.

Firmen bauen Stellen ab

Hinzu kommt, dass Deutschlands exportorientierte Wirtschaft immer stärker unter den von US-Präsident Trump geführten Handelskriegen gegen China und die EU leidet. Im zweiten Quartal dieses Jahres schrumpfte das BIP um 0,2 Prozent, im dritten Quartal legte es lediglich minimal um 0,1 Prozent zu. Immer mehr Unternehmen beginnen, Stellen abzubauen: Audi hat angekündigt, fast 10.000 Arbeitsplätze im Land in den kommenden Jahren streichen zu wollen, bei Bosch sind es mehr als 2000, bei Siemens 2700. Selbst Meissen, Europas älteste Porzellanmanufaktur, will mit 200 Stellen die Belegschaft um ein Drittel kappen.

„Ein Festhalten an der Schwarzen Null wäre schädlich“, haben darum die fünf führenden Konjunkturinstitute im Land in ihrer diesjährigen Herbstdiagnose zur Lage der Wirtschaft geschrieben. „Das Festhalten an der Schwarzen Null darf kein Dogma sein“, sagt auch Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI). Vielmehr sollte die Bundesregierung mit milliardenschweren Investitionen in die Verbesserung der Infrastruktur das Land fit für die Herausforderungen der Zukunft machen.

Auch die Aktienkurse deutscher Konzerne könnten steigen, wenn der Staat stärker investieren würde. Dies würde die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen verbessern und ihnen so helfen, Umsätze und Gewinne zu steigern, argumentieren Ökonomen. Die Schwarze Null gefährde „den Wohlstand in der Zukunft“, warnte unlängst DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Werde die Infrastruktur nicht verbessert, würden „Unternehmen morgen weniger produktiv und weniger wettbewerbsfähig in den globalen Märkten sein“.

Sollte die Bundesregierung nach neuen Koalitionsverhandlungen ihre Infrastrukturausgaben anheben, dürfte das vor allem die Aktienkurse von Unternehmen aus dem Bau- und Ausrüstersektor in die Höhe treiben. Am ersten Handelstag nach der Wahl der neuen SPD-Spitze stieg die Aktie von Siemens, Spezialist für Digitalisierung und Verkehrssysteme, in den ersten zwei Handelsstunden um zwei Prozent, die des Baumaterialproduzenten HeidelbergCement um 2,3 Prozent. Und das Papier des Essener Baukonzerns Hochtief legte um knapp ein Prozent zu.

Schulden lohnen sich für den Staat

„Die Schwarze Null ist nicht mehr heilig“, versichert auch Michael Reuss, geschäftsführender Gesellschafter der Münchner Vermögensverwaltung Huber, Reuss & Kollegen. Denn mit neuen Schulden könnte Deutschland sogar Verbindlichkeiten abbauen.

Möglich wäre das, weil die Europäische Zentralbank die Leitzinsen bei Null hält und Monat für Monat für 20 Milliarden Euro Staatsanleihen aufkauft. Das sorgt dafür, dass Bundesanleihen negative Zinsen aufweisen.

„Leiht sich der Staat heute über eine Bundesanleihe mit 30 Jahren Laufzeit 100 Euro, muss er 2049 nur 93 Euro zurückbezahlen“, rechnet Reuss vor. Mit einer höheren Verschuldung könnte Deutschland „derzeit Geld verdienen“.

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