"Der Hörsturz ist ein therapeutischer Eilfall!"

SALZBURG. Die Diagnose des Hörsturzes wird in erster Linie durch den Ausschluss einer symptomatischen Hörstörung bestimmt. Wichtigste Hilfsmittel sind Stimmgabel und Tonaudiogramm. Über die Frage der besten Therapie wird noch gerungen. Als Grundkonsens gilt jedoch: Der Hörsturz ist ein Eilfall.

Von Klaus Albegger Veröffentlicht:

Unter Hörsturz versteht man eine ohne erkennbare Ursache plötzlich auftretende, in der Regel einseitige Schallempfindungs-Schwerhörigkeit kochleärer Genese von unterschiedlichem Schweregrad bis zur Ertaubung. Neben der Innenohr-Schwerhörigkeit können Ohrgeräusche (bis zu 70 Prozent), Schwindel und Übelkeit (etwa 30 Prozent) begleitend vorhanden sein. Weitere Kennzeichen sind Druckgefühl und andere lokale Missempfindungen (etwa 50 Prozent), Verzerrungseffekte sowie Verlust des Richtungshörens.

Die Häufigkeit des Hörsturzes wird mit 20 bis 50 Neuerkrankungen auf etwa 100 000 Einwohner pro Jahr angegeben. Bei fünf bis zehn Prozent kommt es zu rezidivierenden Hörstürzen, beidseitige Hörstürze kommen bei etwa vier Prozent vor.

Gerade in der letzten Zeit ist das Thema Hörsturz erneut in den Mittelpunkt des Interesses geraten, vornehmlich aus zwei Gründen: Einerseits entstand der Eindruck, dass die Häufigkeit dieses Krankheitsbildes zunimmt und andererseits, weil die Therapie bei Hörsturz nach wie vor umstritten ist.

Über richtige Zeit und richtige Therapie wird diskutiert

In der Tat gibt es kaum ein Krankheitsbild im HNO-Gebiet, bei dem so unterschiedliche Auffassungen und Standpunkte über den richtigen Behandlungszeitpunkt sowie die richtige Behandlungsweise diskutiert werden.

Der Grund liegt darin, dass der Hörsturz als plötzliche idiopathische Funktionsstörung des Innenohres weder ätiologisch noch pathophysiologisch vollständig geklärt ist. Obwohl als therapeutischer Eilfall akzeptiert, steht weiterhin die Frage nach einer adäquaten medikamentösen Therapie und des rechtzeitigen Behandlungsbeginns im Kontrast zur zweifellos nicht ganz unberechtigten Auffassung, der akute Hörsturz bedürfte überhaupt keiner Therapie, da er sich spontan normalisieren würde.

Die Diagnose Hörsturz ist eine Ausschlussdiagnose

Die Diagnose "Hörsturz" wird letztlich durch den Ausschluss einer symptomatischen Hörstörung gestellt. Oft wird der Hörsturz mit einer Schallleitungs-Schwerhörigkeit beziehungsweise Mittelohrschwerhörigkeit (Tubenbelüftungsstörung, Zerumenpropf) oder einer Altersschwerhörigkeit verwechselt. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen einer Schallleitungs- und einer Schallempfindungs-Schwerhörigkeit, da sich diese in Therapie und Prognose wesentlich unterscheiden. Die wichtigsten diagnostischen Mittel sind die Otoskopie oder Ohrmikroskopie, die Stimmgabelprüfung und das Tonaudiogramm.

Der Hörsturz kann als Begleitsymptom bei vielen Krankheiten auftreten. Auch müssen medikamentös-toxische Ursachen und Drogeneinfluss ausgeschlossen werden. Für die Früherkennung von Akustikus-Neurinomen, die bei drei bis fünf Prozent plötzliche Hörverluste verursachen, ist die Kernspintomografie das Mittel der Wahl. Für die nicht-invasive Gefäßdiagnostik hat sich die farbkodierte Duplex-Sonografie durchgesetzt. Allgemeine Risikofaktoren außer Stress sind Nikotinabusus, Hypertonie, Hypotonie, Diabetes, Adipositas und hohe Fibrinogenspiegel.

Ziel der Therapie ist die möglichst rasche Wiederherstellung des Hörvermögens. Obwohl zahllose Therapieempfehlungen existieren, gibt es hierzu nur wenig Placebo-kontrollierte Studien. Es ist geltende Lehrmeinung, dass der Hörsturz als therapeutischer Eilfall zu bezeichnen ist, und dass im Allgemeinen die beste Aussicht auf eine (vollständige) Erholung des Hörvermögens besteht, wenn eine Therapie möglichst ohne Verzögerungen begonnen wird. Da die Ausschlussdiagnostik Zeit beansprucht, sollten Therapie-Einleitung und diagnostische Abklärung im Idealfall parallel erfolgen. Die Behandlungsstrategie orientiert sich möglichst an der Ursache des Hörsturzes.

Standardtherapie sind Hämodilution und Kortikoide

Fazit: Eine Hörstörung stellt für den Patienten eine beträchtliche Beeinträchtigung dar, die in unserer kommunikationsbetonten Zeit zu einer erheblichen Behinderung führt. Da keine erkennbaren Kriterien für eine Spontanerholung existieren, sollte in der Regel möglichst bald eine Therapie eingeleitet werden. Als Standardtherapie hat sich die Hämodilutionstherapie in Kombination mit rheologisch wirksamen Pharmaka sowie Glukokortikoiden durchgesetzt.

Bei informierten Patienten und geringfügigen Hörverlusten ohne Beeinträchtigung des sozialen Gehörs kann einige Tage eine spontane Remission abgewartet werden. Bei ausgeprägtem Hörverlust, vorgeschädigten Ohren sowie bei zusätzlichen vestibulären Symptomen (Schwindel) und/oder Ohrgeräuschen ist eine abwartende Wartung nicht indiziert. Wie Gerichtsverfahren nach fehlender Remission zeigen, sollte gerade im Hinblick auf die therapeutischen Unsicherheiten das diagnostische und therapeutische Vorgehen mit den Patienten nicht nur ausführlich besprochen, sondern auch sorgfältig dokumentiert werden.

Der Artikel erschien zuerst in der österreichischen "Ärzte Woche" am 11. Januar 2007



Der Hörsturz als Symptom bei vielen Krankheiten

Hörsturz kann ein Begleitsymptom bei vielen Erkrankungen sein. Dazu gehören zum Beispiel:

  • virale Infektionen, unter anderem Mumps, Masern, Röteln, Herpes Zoster, Zytomegalie oder HIV,
  • bakterielle Infektionen wie Lues, Borrelien, Toxoplasmose
  • Multiple Sklerose
  • Immunvaskulitis
  • Tumorerkrankungen, etwa ein Akustikusneurinom
  • Perilymphfistel (etwa bei einer Ruptur des runden Fensters, Barotrauma)
  • akutes Schalltrauma oder akustischer Unfall
  • Funktionsstörungen der Halswirbelsäule
  • Hörsturz kann auch eine Begleiterscheinung bei Mittelohrentzündungen sein
  • nach Liquorpunktion als sogenanntes LiquorverlustSyndrom
  • bei jeder Form der Meningitis
  • Innenohrmissbildungen beziehungsweise bei genetisch bedingten Syndromen wie Usher- oder Pendred-Syndrom
  • hämatologische Erkrankungen (zum Beispiel Leukämie, Sichelzellanämie)
  • Hyperfibrinogenämie
  • Exsikkose
  • Herzkreislauferkrankungen, insbesondere Hypotonie


Therapie-Optionen bei Hörsturz

Bei der Hörsturz-Therapie gelten nach Angaben von Professor Klaus Albegger Grundprinzipien:

  • Rheologische Therapie (zum Beispiel Hämodilution, Verbesserung der Fluidität, Senkung der Plasmaviskosität)
  • Antiödematöse und antitoxische Therapie durch Glukokortikosteroide (diese Therapie ist als einzige durch einen Evidenzgrad I abgesichert, wie Albegger schreibt)
  • Ionotrope Therapie (Beeinflussung der Ionenkanäle)
  • Reduktion des Endolymphvolumens (Osmotherapie, Therapie mit Glycerol, vor allem bei Hydrops oder Tieftonhörsturze)
  • Therapie mit Antioxidanzien
  • Thrombozyten-Aggregationshemmung
  • Fibrinogen-Absenkung durch Apherese
  • auch die hyperbare Oxygenierung (HBO-Therapie) kommt als Option infrage
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