HINTERGRUND

Frühe Therapie mit einem Sitzhockgips bringt dysplastische Hüftgelenke bei Babys in Form

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:

Die Compliance der Eltern ist bei der Behandlung von Säuglingen mit Hüftdysplasie mit entscheidend für den Therapieerfolg. Besonders die Retentionsbehandlung im Sitzhockgips oder mit Bandagen wird von den Eltern oft als zu belastend für das Kind empfunden und die Frage taucht auf: "Doktor, wie lange muß das denn noch sein?"

Die Orthopäden von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen beantworten diese Frage mit einer einfachen Rechnung: Alter des Kindes bei Therapiebeginn mal drei ergibt Alter bei Therapieende. Ist das Kind bei Therapiebeginn also drei Monate alt, sollte insgesamt bis zum neunten Lebensmonat behandelt werden.

Wichtig für den Therapieerfolg sind auch die frühe Diagnose und der frühe Behandlungsbeginn, zumal die Säuglinge in den ersten drei Lebensmonaten sehr schnell wachsen. Deshalb ist in Deutschland seit 1996 ein generelles hüftsonographisches Screening Pflicht, spätestens mit der U3 (vierte bis sechste Lebenswoche).

Klinische Zeichen bei Hüftdysplasie sind, zumindest wenn keine vollständige Hüftluxation vorliegt, unsicher und oft erst spät erkennbar. Eine bundesweite Studie der Aachener Orthopäden hat ergeben, daß das Sonographie-Screening die Inzidenz chirurgischer Maßnahmen bei Hüftdysplasien verringert, berichten Dr. Andreas Kochs und seine Mitarbeiter (Monatsschr Kinderheilkd (8, 2003, 804). Außerdem: Je jünger die Kinder bei Therapiebeginn, desto größer die Chance auf komplette Heilung.

Lockere Hüftgelenke ohne wesentliche Abspreizbehinderung werden vorsichtig manuell reponiert und mit Hilfe einer Retentionsorthese, etwa der Pavlik-Bandage oder einem Sitzhockgips, stabilisiert. Entscheidender Vorteil des Gipses sei, daß er von den Eltern nicht abgenommen werden könne, so Kochs. Zwar haben Eltern oft Bedenken wegen angeblich unzureichender Pflegemöglichkeiten, diese seien aber unbegründet.

Wird die Diagnose verspätet gestellt, kann bereits eine kontrakte Hüftgelenkssituation vorliegen. Dann muß die Hüfte zunächst mit einer Extensionsbehandlung und Krankengymnastik auf die Reposition vorbereitet werden. Denn die forcierte Reposition würde das (stets vorhandene) Risiko für eine Hüftkopfnekrose deutlich erhöhen. Teilweise erfolgt die Reposition bereits unter Extension spontan.

Die nach Reposition und Retention stabile, aber noch nicht ausgereifte Hüfte muß nachreifen. Dazu kommen die Tübinger Schiene und Spreizhosen in Betracht. Für Säuglinge empfehlen die Aachener Orthopäden die weiche Idealspreizhose, bei größeren Kindern die Aktivspreizhose mit Vorhaltekeilen.

Die Keile verhindern eine übermäßige Abduktion, die die Gefahr der Hüftkopfnekrose erhöht. Wichtig ist die richtige Anlage der Orthesen, ansonsten bewirkt man genau das Gegenteil des Therapieziels, nämlich eine Befundverschlechterung. Die Therapie sollte abgeschlossen sein, bevor die Kinder stehen, denn dann ist mit Schienen keine Verbesserung der Gelenksituation zu erwarten.

Ist das Kind 15 Monate alt, sollten die Gelenke radiologisch kontrolliert werden, um die physiologische Reifung des Hüftgelenks nachzuweisen und zugleich eine Hüftkopfnekrose auszuschließen. Bestehen noch Restdysplasien, sind weitere Kontrolluntersuchungen bis in die Pubertät hinein erforderlich.

Eine geringen Hüftdysplasie könne sich noch bis zum 18. Lebensjahr normalisieren, so Kochs. Nach Wachstumsabschluß sind operative Maßnahmen allerdings unumgänglich.



STICHWORT

Hüftdysplasie

Bei der angeborenen Hüftdysplasie oder Hüftluxation hat der Hüftkopf ganz oder teilweise die Hüftpfanne (Acetabulum) verlassen, wodurch der Pfannenerker sich nicht richtig entwickelt. Zwei bis vier von Hundert Neugeborenen haben eine Hüftdysplasie, Luxationen finden sich bei 0,2 Prozent. Die linke Hüfte ist öfter betroffen als die rechte, in 40 Prozent besteht die Hüftdysplasie beidseits. Auslöser sind etwa intrauteriner Platzmangel, zum Beispiel bei einer Fehllage oder bei Mehrlingsschwangerschaft, was zu erhöhtem Druck auf den Pfannenerker und einer Dezentrierung des Hüftkopfes führt. Ist der Östrogenspiegel der Mutter erhöht, lockert sich auch das Bindegewebe des Kindes. Dies kann zu einer vollständigen Luxation führen. (ner)

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