INTERVIEW

Hyposensibilisierung senkt das Risiko für Asthma

Bei Patienten mit Allergien ist die spezifische Immuntherapie, also die Hyposensibilisierung außer der Allergenkarenz die einzige kausale Therapie. Besonders bei der Pollen-bedingten allergischen Rhinokonjunktivitis mindert sie die Symptome und den Bedarf an symptomatisch wirkenden Arzneimitteln dauerhaft. Aber eine solche Behandlung kann noch mehr, wie Professor Gerhard Schultze-Werninghaus, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie, im Gespräch mit Ingrid Kreutz von der "Ärzte Zeitung" gesagt hat.

Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Bei welchen Patienten mit Pollenallergie kommt die spezifische Immuntherapie (SIT) in Frage?

Schultze-Werninghaus: Eine SIT sollte angeboten werden, wenn die symptomatische Therapie mit Antihistaminika oder lokal wirksamen Kortikosteroiden von Jahr zu Jahr intensiviert werden muß. Zu einer SIT sollte spätestens dann geraten werden, wenn immer mehr orale Kortikoide benötigt werden oder erste bronchiale Symptome als Zeichen eines beginnenden Pollen-Asthmas beobachtet werden. Die SIT wirkt sowohl bei der Pollen-bedingten allergischen Rhinitis als auch bei leichtgradigem Pollen-Asthma.

Ärzte Zeitung: Was bedeutet das konkret für die Patienten?

Schultze-Werninghaus: Mit der subkutanen Immuntherapie läßt sich bei Patienten mit Pollen-Asthma die Medikation zur symptomatischen Behandlung signifikant reduzieren im Vergleich zu Patienten, die Placebo erhalten. Außerdem werden die Symptome und die bronchiale Hyperreagibilität signifikant gemindert. Das belegen Metaanalysen der verfügbaren Studien. Für die allergische Rhinitis gilt das analog.

Ärzte Zeitung: Die SIT kann doch auch vor einem Etagenwechsel, also vor Asthma schützen...

Schultze-Werninghaus: Hierzu gibt es eine randomisierte, offene  Studie, die ergeben hat, daß von den Kindern mit dreijähriger SIT im Vergleich zu nicht behandelten Kindern, die man als offene Vergleichsgruppe mitgeführt hat, während dieser Therapie deutlich weniger neu an Asthma erkrankten. Die Kinder der SIT-Gruppe hatten im Vergleich zu den Kindern in der Vergleichsgruppe nur halb so viele Asthma-Erkrankungen entwickelt, wie es aufgrund bisheriger Daten zu erwarten gewesen wäre.

Sollte sich dieser Effekt in weiteren Studien bestätigen, wäre das ein Argument für einen früheren Therapiebeginn als bisher. Noch etwas spricht für eine frühe SIT: Nach neuen Studien werden bei Kindern, die gegen ein bestimmtes Allergen hyposensibilisiert worden sind, weniger Neusensibilisierungen beobachtet als bei Kindern, die Placebo erhalten haben, das heißt, es kommen weniger Allergien hinzu.

Ärzte Zeitung: Bei der SIT sind normalerweise viele subkutane Injektionen pro Jahr erforderlich. Es gibt aber mittlerweile Erfahrungen mit Kurzzeittherapien. Wie effektiv sind solche Schemata?

Schultze-Werninghaus: Die deutschen Fachgesellschaften sind sich alle einig darin, daß die dreijährige subkutane Immuntherapie mit wäßrigen Allergenen oder Allergoiden nach wie vor die Standardtherapie ist. Hierbei beginnt man mit einer etwa achtwöchigen Aufsättigungsphase und macht mit einer Erhaltungstherapie in vier- bis sechswöchigen Abständen, das heißt mit neun bis zwölf Injektionen pro Jahr, weiter.

Die Dosierung richtet sich nach dem jeweiligen Präparat. Für diese Art der Behandlung ist eine mindestens sechsjährige Wirksamkeit nach Absetzen der Therapie zu erwarten, zumindest was die Pollenallergie betrifft. Das ist für die Kurzzeittherapie mit etwa vier Injektionen pro Jahr noch nicht ausreichend belegt, auch nicht für die Cluster-Therapie, das heißt für die Immuntherapie mit verkürzter Aufsättigungsphase.

Ärzte Zeitung: Welchen Stellenwert hat die sublinguale Immuntherapie?

Schultze-Werninghaus: Diese Therapie hat auf den ersten Blick möglicherweise Vorteile im Vergleich zur subkutanen Therapie. So ist sie für die Patienten bequemer, und es gibt Hinweise, daß eine solche Behandlung weniger systemische Reaktionen auslöst. Aber bisher haben wir nicht genügend valide Studiendaten, um sagen zu können, daß die subkutane und die sublinguale Immuntherapie (SLIT) gleichwertig sind.

Wenn man eine SLIT macht, sollte man jedoch relativ hoch dosieren. In Studien gab es hiermit positive, aber leider keine einheitlichen Ergebnisse, was die Reduktion der Symptome und des Medikamentenverbrauchs betrifft. Patienten, die regelmäßig zur Injektion kommen können, empfehle ich derzeit die subkutane Hyposensibilisierung. Wenn Patienten aber sehr viel reisen, biete ich die SLIT an.

Ärzte Zeitung: Zu welcher Jahreszeit sollte man die SIT bei Patienten mit Pollenallergie beginnen?

Schultze-Werninghaus: Beginnen sollte man damit außerhalb der Blütezeit, um eine gleichzeitige natürliche Allergenbelastung und dadurch mögliche Nebenwirkungen zu vermeiden. Bei Birkenpollen-Allergie etwa sollte im September oder Oktober gestartet werden. Bei Patienten mit Allergie gegen Gräserpollen, die nicht gleichzeitig gegen Birkenpollen allergisch sind, sollte spätestens im Januar oder Februar mit der Hyposensibilisierung begonnen werden. Wenn ein Patient allergisch gegen Gräser- und Birkenpollen ist, sollte man erst das intensivere Allergen bekämpfen, und das sind meist die Birkenpollen.

Ärzte Zeitung: Gibt es Patienten, denen eine SIT nicht zu empfehlen ist?

Schultze-Werninghaus: Etwa bei Asthma-Patienten mit dauerhaft eingeschränkter Lungenfunktion, also mit einem FEV1-Wert unter 70 Prozent des Sollwertes, sollte man auf eine SIT verzichten. Hier ist verstärkt mit systemischen Nebenwirkungen zu rechnen. Vorsichtig sein sollte man auch bei Patienten, die Allergen-Injektionen von Anfang an, also auch bei niedrigen Dosen, nicht gut vertragen, das heißt starke lokale oder systemische Reaktionen haben.

Problematisch ist eine SIT auch bei Erkrankungen des Immunsystems, etwa rheumatischen Erkrankungen, sowie bei Diabetikern, Schwangeren und bei Patienten mit Immunschwäche wie HIV-Infektion und AIDS.

Ärzte Zeitung: Können Patienten jeden Alters eine SIT erhalten?

Schultze-Werninghaus: Man kann bei Kindern ab etwa dem fünften Lebensjahr eine SIT machen, praktisch dann, wenn sie in der Lage sind, einen Prick-Test auszuhalten. Man kann auch ältere Patienten mit saisonaler allergischer Rhinitis hyposensibilisieren.

Die Behandlung wirkt bei diesen Patienten nicht schlechter und hat auch nicht mehr unerwünschte Wirkungen. Entscheidend ist vielmehr, ob bereits Zeichen einer Chronifizierung da sind. Wer etwa das ganze Jahr über asthmatische Beschwerden hat, kann nicht erwarten, daß eine Hyposensibilisierung gegen Pollen oder andere Allergene hilft.

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