Hintergrund

Diabetes-Therapie bald in der Niere?

Eine neue Wirkstoffklasse könnte bald die Therapie-Optionen für Diabetiker erweitern: die SGLT-2-Hemmer. Sie sorgen dafür, dass überschüssiger Blutzucker einfach über die Nieren ausgeschieden wird. Manche Experten warnen aber vor einer Karamellisierung der Harnwege.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Bei der SGLT-2-Hemmung wird die Glukoseschwelle der Nieren herabgesetzt: Über den Urin wird mehr Zucker ausgeschieden.

Bei der SGLT-2-Hemmung wird die Glukoseschwelle der Nieren herabgesetzt: Über den Urin wird mehr Zucker ausgeschieden.

© EmeCeDesigns / shutterstock.com

Etwa 180 Liter Primärharn täglich bildet ein durchschnittlicher Erwachsener in seinen Nieren. Darin enthalten sind 180 g Glukose. Etwa 90 Prozent dieser Glukose wird in den Nieren durch den Sodium-Glucose Transporter-2 (SGLT-2) rückresorbiert.

Hier setzt ein neues Therapieprinzip für Diabetiker an: SGLT-2-Hemmer verringern die Rückresorption und in Folge wird mehr Glukose über den Harn ausgeschieden. Hierdurch sinkt der Blutzuckerspiegel und zudem verlieren die Behandelten an Gewicht.

Mehrere SGLT-2-Hemmer sind zurzeit in der klinischen Prüfung. Am weitesten fortgeschritten ist dabei Dapagliflozin (vorgesehener Handelsname Forxiga). Das Arzneimittel wird von AstraZeneca und Bristol-Myers Squibb gemeinsam entwickelt.

Der zuständige Beratungsausschuss der EMA (European Medicines Agency) hatte in der vergangenen Woche empfohlen, Dapagliflozin in Europa zuzulassen.

Die EMA-Experten haben dabei anders entschieden als ihre US-Kollegen von der FDA, die im Januar die Marktzulassung von Dapagliflozin wegen Sicherheits-Bedenken - zumindest vorläufig - abgelehnt hatten.

Ursprungssubstanz aus Apfelbaumrinde

Der Therapieansatz, bei Diabetikern die Zuckerausscheidung über die Nieren zu fördern, ist nicht neu. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Phlorizin - ein Naturprodukt aus der Rinde von Apfelbäumen - dazu geprüft.

Die Substanz hemmt jedoch außer SGLT-2 auch den Transporter SGLT-1 in Niere und Darm und führt zu Diarrhö. Zudem war der Wirkstoff durch eine extrem kurze Halbwertszeit nicht praktikabel zu verwenden.

Durch eine Veränderung des Phlorizin-Moleküls hemmt die Substanz Dapagliflozin spezifisch SGLT-2 und hat nach oraler Gabe eine Halbwertszeit von 17 Stunden.

In einer Studie mit 546 Patienten wurde die Wirksamkeit der Substanz in Kombination mit Metformin (1500 mg am Tag oder mehr) geprüft.

Dabei senkte Dapagliflozin den HbA1c binnen 24 Wochen je nach Dosis im Mittel um zusätzlich 0,7 bis 0,8 Prozentpunkte (Lancet 2010; 375: 2223).

Ähnliche Effekte auf den HbA1c wurden mit einer Add-on-Therapie mit dem Sulfonylharnstoff Glimeperid erzielt (Diab Obes Metab 2011; 13: 928).

Die Therapie mit Dapagliflozin hatte in Studien zudem einen leichten antihypertensiven Effekt. Auch verlieren die Patienten unter der Behandlung an Gewicht.

In einer Studie mit Typ-2-Diabetikern führte Dapagliflozin in zwölf Behandlungswochen zur einer moderaten Glukosurie von 52 bis 85 g Uringlukose am Tag, was einem täglichen Energieverlust von 200 bis 300 kcal entspricht. Infolgedessen nahmen die Patienten denn auch in den drei Monaten Behandlung 1,3 bis 2 kg ab.

Krebsrisiko soll geklärt werden

An unerwünschten Wirkungen gab es unter der Therapie mit der Substanz vermehrte Harnwegsinfektionen. Außerdem müssen die Patienten vermehrt Urin ausscheiden, was etwa einen zusätzlichen "shot" täglich ausmacht.

Das Therapieprinzip hängt von der Nierenfunktion ab, die Wirksamkeit bei Niereninsuffizienz ist daher verringert. Bei Patienten mit moderater bis schwerer Niereninsuffizienz wird das Arzneimittel daher nicht empfohlen.

Die EMA betont in ihrer Mitteilung zum Zulassungsverfahren, dass in Studien insgesamt die Krebsrate bei Patienten unter Dapagliflozin im Vergleich zu Kontrollen nicht erhöht war.

Sicherheitsbedenken gibt es wegen einer etwas erhöhten Rate an Blasenkrebs (0,16 vs 0,03 Prozent bei Kontrollen) und Brustkrebs (0,4 vs 0,22 Prozent). Die Vorteile des Präparats würden aber die Nachteile aufwiegen, so die EMA.

Sie will das mögliche Risiko engmaschig kontrollieren. Der Hersteller wurde aufgefordert, das Krebsrisiko in einer epidemiologischen Studie zu klären.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Karamellisierung der Harnwege?

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