Daten von 50.000 Patienten analysiert

Mit Antidepressiva weniger Todesfälle bei Diabetikern

Das erhöhte Sterberisiko von Diabetikern mit Depressionen lässt sich mit Psychopharmaka deutlich senken, berichten Ärzte aus Taiwan. Sie appellieren an Diabetologen, Zuckerkranke regelmäßig auf Depressionen zu screenen.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Liegt eine Depression vor? Die Früherkennung ist entscheidend für die Prognose.

Liegt eine Depression vor? Die Früherkennung ist entscheidend für die Prognose.

© JPC-PROD / Fotolia

PUZI. Die Sterberate von Diabetikern mit Depressionen lässt sich durch eine Therapie mit Antidepressiva um mehr als ein Drittel senken, berichten Forscher um Professor Vincent Chin-Hung Chen von der Chang Gung University in der Stadt Puzi in Taiwan (J Clin Endocrinol & Metabolism 2019; online 2. Juli).

Das Team hat Registerdaten aus der „National Health Insurance Research Database in Taiwan“ analysiert. Ausgewertet wurden dabei die Daten von 53.412 Diabetikern, bei denen ab dem Jahr 2000 zusätzlich eine Depression diagnostiziert worden war. Bis zum Jahr 2013 wurde dabei geschaut, ob sich die Sterberaten bei Diabetikern mit oder ohne Antidepressiva-Therapie unterschieden.

Unterschiedliche Wirksamkeit

Ergebnis: Im Vergleich war eine medikamentöse Therapie gegen Depressionen mit einer um 35 Prozent verringerten Mortalität verbunden (Hazard Ratio, HR=0,65). Die Reduktion der assoziierten Sterberate hing von der verwendeten Substanz ab:

  • Therapien mit selektiven Serotonin Wiederaufnahmehemmern (SSRI) waren mit einer um 37 Prozent verringerten Mortalität verbunden (HR=0,63),
  • bei Therapien mit Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI) waren es 42 Prozent (HR=0,58) und
  • bei Therapien mit tri- oder tetrazyklischen Antidepressiva waren es 27 Prozent (HR=0,73).

Die Forscher erinnern daran, dass Menschen mit Diabetes im Vergleich zu Menschen ohne die Stoffwechselkrankheit ein verdoppeltes Risiko für Depressionen haben. „Die neuen Studienergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, Diabetiker regelmäßig auf Depressionen zu screenen und gegebenenfalls auch dagegen zu behandeln“, betont Erstautor Chen in einer Mitteilung der US-Endocrine Society zu der Studie.

WHO-5-Fragebogen zum Screening

In Deutschland wird Ärzten empfohlen, mindestens einmal im Jahr das seelische Befinden eines Diabetikers abzuklären. Dazu eignet sich der im Gesundheitspass Diabetes abgedruckte WHO-5-Fragebogen. Meistens findet sich dabei eine depressive Verstimmung. Betroffene können dann besonders von einer Diabetes-Schulung profitieren. Sachlicher Umgang mit der Krankheit baut Ängste ab.

Für Diabetiker mit manifesten Depressionen gibt es weiterhin zu wenig Therapieangebote. Diabetologen sollten daher nicht warten, sondern Betroffene unbedingt auch gegen die psychische Krankheit behandeln, hat der Psychiater Professor Dieter F. Braus von den Helios Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken in Wiesbaden im Februar beim DiabetesUpdate in Mainz betont.

„Als Internist ist man sowohl im Hinblick auf Wirksamkeit und Verträglichkeit sowie auch bezüglich der Pharmakokinetik gut beraten, wenn man über Erfahrung mit vier Substanzen verfügt“, sagte der Psychiater. Das heißt:

  • für jüngere Patienten ohne Co-Medikation ist Escitalopram (10–20 mg) empfehlenswert,
  • für ältere Patienten Sertralin (75–150 mg) oder auch der Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) Duloxetin (30–120 mg). Duloxetin ist auch zugelassen gegen neuropathische Schmerzen.
  • Als Reservesubstanz empfiehlt Braus Agomelatin (üblicherweise 25 mg zur Nacht). Die Substanz zeichnet sich dadurch aus, dass es zu keiner Sexualfunktionsstörung führt.

Wichtig ist bei Polypharmazie mit Psychopharmaka, auf mögliche Interaktionen mit anderen Medikamenten zu achten, betont Braus.

Außer Pharmako- und Psychotherapie sind zudem verlässliche Sozialkontakte, das Wiederherstellen sozialer Rhythmen, Bewegung im aeroben Stoffwechsel (viermal pro Woche!), Entspannung sowie ausreichend Schlaf bedeutsam.

Verhaltenstherapie DIAMOS

  • Eine Kurzzeit-Intervention zur Prävention von Depressionen bei Diabetikern hat das Forschungsinstitut der Diabetes-Akademie Bad Mergentheim (FIDAM) entwickelt.
  • Fünf Sitzungen à 90 Minuten: Patienten lernen mit Diabetes assoziierte Probleme zu identifizieren, Lösungsstrategien zu erarbeiten, negative Einstellungen zu verändern und Ressourcen zu aktivieren.

Liste von „Fachpsychologen Diabetes DDG“ mit spezieller diabetologischer Weiterbildung: www.diabetes-psychologie.de

Lesen Sie dazu auch den Hintergrund: Nicht warten, sofort handeln!

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