Reanimation

Adrenalin-Streit wiederbelebt

Adrenalin gehört zur klassischen Ausrüstung im Notfallkoffer. Doch schon lange ist strittig, wie nützlich die Substanz für die Reanimation nach einem Herzstillstand wirklich ist. Nun hat der Streit neue Nahrung erhalten.

Dr. Robert BublakVon Dr. Robert Bublak Veröffentlicht:
Reanimation: Adrenalin ist dabei womöglich nicht der ideale Vasopressor.

Reanimation: Adrenalin ist dabei womöglich nicht der ideale Vasopressor.

© Photographee.eu / fotolia.com

NEU-ISENBURG. Manchmal helfen auch Leitlinien nur begrenzt weiter. Ein Beispiel dafür sind die Leitlinien zur Reanimation des European Resuscitation Council (ERC).

Dort ist zwar einerseits festgelegt, bei der Behandlung eines Herzstillstands durch Kammerflimmern oder ventrikuläre Tachykardie sei nach dem dritten Defibrillationsversuch 1 mg Adrenalin zu verabreichen - und fortan alle drei bis fünf Minuten.

Andererseits heißt es aber auch: "Trotz der umfassenden Verwendung von Adrenalin während der CPR und einiger CPR-Studien, die Vasopressin einbezogen, existiert keine placebokontrollierte Studie, die belegen kann, dass der routinemäßige Gebrauch eines Vasopressors in irgendeinem Stadium des menschlichen Kreislaufstillstands das Patientenüberleben mit guter neurologischer Erholung bei der Klinikentlassung steigert."

Es sind längst nicht alle Fragen zum Adrenalineinsatz in der kardiopulmonalen Reanimation (CPR) beantwortet.

Sicher, die Rückkehr der Spontanzirkulation wird durch Adrenalin gefördert, das Kurzzeitüberleben verbessert; aber was bewirkt die verschlechterte Mikrozirkulation in der Postreanimationsphase? Wie hoch ist die optimale Dosis? Und sind wiederholte Adrenalininjektionen überhaupt sinnvoll?

Neue Untersuchungen zum Sinn von Adrenalinspritzen bei der Wiederbelebung nach Herzstillstand ergeben kein einheitliches Bild. In einer japanischen Beobachtungsstudie verbesserte die Adrenalingabe die Chance reanimierter Patienten, das Krankenhaus lebend zu verlassen (BMJ 2013; 347: f6829).

Die Chance auf neurologisch intaktes Überleben erhöhte sich hingegen kaum. Und US-amerikanische Forscher fanden heraus, dass die Prognose der Patienten umso besser war, je früher sie Adrenalin erhalten hatten (BMJ 2014; 348: g3028). Ein gutes neurologisches Ergebnis erreichten dennoch nur höchstens sieben Prozent.

Längerfristige Wirkungen untersucht

Kürzlich nun warteten französische Notfallmediziner mit folgender Erkenntnis auf: Wiederbelebte Patienten, die mithilfe von Adrenalin reanimiert werden, haben geringere Aussichten, mit allenfalls mäßigen neurologischen Defiziten entlassen zu werden (J Am Coll Cardio 2014; 64: 2360).

In eine Beobachtungsstudie zu den längerfristigen Wirkungen von Adrenalin nach einer Reanimation waren die Daten von 1556 Patienten eingeflossen, die nach einem Herzstillstand wieder einen Spontankreislauf entwickelt hatten, 73 Prozent davon mithilfe von Adrenalin.

 31 Prozent aller Patienten überlebten bis zur Klinikentlassung, 29 Prozent ohne wesentliche neurologische Einschränkung. Doch während nur 17 Prozent der Patienten nach Adrenalingabe mit einem guten neurologischen Ergebnis davonkamen, waren es in der Gruppe ohne Adrenalin 63 Prozent.

Die Studie der Franzosen hat gewiss Schwächen. So verfügten die Adrenalin-Patienten generell über eine schlechtere Prognose - sie waren älter, hatten seltener einen schockbaren Rhythmus und mussten länger reanimiert werden.

Diese Schieflage versuchten Dumas und ihr Team durch eine Propensitätsanalyse auszugleichen. Dabei wurde der Einfluss von Faktoren berücksichtigt, die es wahrscheinlicher machten, dass ein Patient Adrenalin bekam.

Doch wollen die Wissenschaftler nicht ausschließen, dass ihnen manche Störfaktoren entgangen sind. Die Vermutung, dass der Adrenalineinsatz nur ein Surrogat für die Schwere des Notfalls war, lässt sich daher nicht völlig unterdrücken.

Plädoyer für Erforschung neuer Therapieschemata

Doch trotz aller Einschränkungen nähren die Studienresultate den Verdacht, dass Adrenalin womöglich nicht den idealen Vasopressor in der Reanimationssituation darstellt.

Dumas und Kollegen räumen selbstverständlich ein, dass Adrenalin die Rückkehr der Spontanzirkulation erleichtert; und ohne wieder anspringenden Kreislauf gibt es nicht nur kein neurologisch akzeptables, sondern überhaupt kein Überleben.

Sie fordern auch gar nicht, Adrenalin aus dem Notfallkoffer zu werfen. Aber sie plädieren dafür, andere Behandlungsschemata zu erforschen, etwa die Kombination von Adrenalin mit Vasopressin oder Betablockern.

Bis Ergebnisse dazu vorliegen, kann es noch dauern. Einstweilen bleibt bei aller Ungewissheit nur, sich an der ERC-Leitlinie zu orientieren.

Auch deren Autoren verhehlen ihre Skepsis nicht, wenn sie in puncto Adrenalingabe abschließend raten: "Unterbrechen Sie die CPR nicht für die Injektion von Medikamenten."

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Sonderbericht

SCD-Schutz in früher HF-Phase

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: ZOLL CMS GmbH, Köln
Das könnte Sie auch interessieren
Grippeschutz in der Praxis – Jetzt reinhören!

© DG FotoStock / shutterstock

Update

Neue Podcast-Folgen

Grippeschutz in der Praxis – Jetzt reinhören!

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Herz mit aufgemalter Spritze neben Arm

© Ratana21 / shutterstock

Studie im Fokus

Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Prävention durch Influenzaimpfung?

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Junge Frau spricht mit einer Freundin im Bus

© skynesher | E+ | Geytty Images

Update

Impflücken bei Chronikern

Chronisch krank? Grippeimpfung kann Leben retten

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Kommentare
Sonderberichte zum Thema
SCD-PROTECT-Studie-- Frühe Phase nach Diagnose einer Herzinsuffizienz – deutlich höheres Risiko für den plötzlichen Herztod als in der chronischen Phase.

© Zoll CMS

SCD-Schutz in früher HF-Phase

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: ZOLL CMS GmbH, Köln
Abb. 1: Risikoreduktion durch Bempedoinsäure gegenüber Placebo in der CLEAR-Outcomes-Studie für den primären 4-Komponenten-Endpunkt (A) und den sekundären 3-Komponenten-Endpunkt (B) stratifiziert nach Diabetes-Status

© Springer Medizin Verlag

Diabetes mellitus

Bempedoinsäure: Benefit für Hochrisiko-Kollektive

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Daiichi Sankyo Deutschland GmbH, München
Kardiologie und Hausärzteschaft im Dialog

© Springer Medizin Verlag

Kardiologie und Hausärzteschaft im Dialog

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Puren Pharma GmbH & Co. KG, München
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

„ÄrzteTag“-Podcast

Wie erkenne ich Schmerzen bei Menschen mit Demenz, Professorin Miriam Kunz?

Systematisches Review und Metaanalyse

Antidepressiva absetzen: Welche Strategie ist am wirksamsten?

Lesetipps
Übersichtsarbeit: Wie wirken Hochdosis-, rekombinante und mRNA-Vakzinen verglichen mit dem Standardimpfstoff?

© Sasa Visual / stock.adobe.com

Übersichtsarbeit zu Grippeimpfstoffen

Influenza-Vakzinen im Vergleich: Nutzen und Risiken

Serotoninkristalle, die ein Muster ergeben.

© Michael W. Davidson / Science Photo Library

Für wen passt was?

Therapie mit Antidepressiva: Auf die Nebenwirkungen kommt es an