Suche nach dem Glück

Frauen leben länger, Männer glücklicher

Frauen haben in allen europäischen Ländern eine deutlich höhere Lebenserwartung als Männer, die zusätzlichen Jahre bescheren ihnen jedoch selten Freude.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Gute Nachrichten: In Deutschland dürfen Männer mit 50 Jahren noch auf 20 glückliche Jahre hoffen, so eine Studie.

Gute Nachrichten: In Deutschland dürfen Männer mit 50 Jahren noch auf 20 glückliche Jahre hoffen, so eine Studie.

© Thomas Mucha / stock.adobe.com

BARCELONA. Mancher Mann mag es als ungerecht empfinden, dass Männer deutlich früher als Frauen zu Grabe getragen werden. Ein kleiner Trost: Offenbar bleibt ihnen dadurch im Alter viel Leid erspart. Ein plötzlicher Herzinfarkt oder Fahrten mit Tempo 200 auf der Autobahn mögen zwar die Lebenserwartung deutlich verkürzen, sorgen aber auch dafür, dass Männer öfter glücklich aus dem Leben scheiden als Frauen. Das lässt sich jedenfalls aus einer europaweiten Untersuchung ableiten. Diese hat nicht nur die Lebenserwartung heutiger 50-Jähriger unter die Lupe genommen, sondern auch, wie viele der verbleibenden Jahre in Glück und Zufriedenheit verbracht werden.

Die gute Nachricht: In Deutschland dürfen Männer mit 50 Jahren noch auf 20 glückliche Jahre hoffen, Frauen auf 22. Von den vier zusätzlichen Lebensjahren, die Frauen in Deutschland im Vergleich zu Männern erwartet, ist damit jedes zweite ein gutes. In den meisten anderen Ländern werden Frauen hingegen weniger glücklich mit ihrem längeren Leben.

Zu diesem Schluss kommt ein Team um Aïda Solé-Auró von der Universität in Barcelona nach einer Analyse des "Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe", kurz SHARE, publiziert im European Journal of Public Health (doi.org/10.1093/eurpub/cky070). Die Umfrage fand zwischen den Jahren 2010 und 2011 statt. Daran beteiligten sich knapp 57.000 Menschen über 49 Jahre aus 16 europäischen Ländern. Der Beitrag der einzelnen Länder variierte jedoch sehr stark. So nahmen knapp 6800 Estländer teil, aber nur 1600 Personen aus Deutschland. Derartige Unterschiede machen Ländervergleiche nicht ganz einfach, vor allem die Resultate zu Deutschland sind daher mit Vorbehalten zu betrachten.

Das Glück wohnt in der Schweiz und Dänemark

In SHARE wurden die Teilnehmer unter anderem gefragt, wie zufrieden sie derzeit mit ihrem Leben sind. Sie konnte ihre Zufriedenheit mit einem Zahlenwert zwischen 0 und 10 beziffern. Teilnehmer mit Werten zwischen 8 und 10 Punkten definierten Solé-Auró und Mitarbeiter als glücklich. Sie gingen davon aus, dass Glück und Zufriedenheit weitgehend synonym verstanden wurden.

Die glücklichsten Männer im Alter zwischen 50 und 54 Jahren leben demnach in der Schweiz. Dort gelten 86 % nach der Definition der Forscher um Solé-Auró als glücklich, in Estland war die Glücksprävalenz mit 35 % an geringsten. Die glücklichsten Frauen in diesem Alter leben in Dänemark, am unglücklichsten sind sie in Estland (Glücksprävalenz 87 versus 37 %).

Schauten sich die Forscher die Teilnehmer über 80 Jahren an, so war die Glücksprävalenz unter Frauen wie Männern in der Schweiz am höchsten (jeweils 77 und 80 %), am wenigsten glücklich fühlten sich Frauen in Portugal (42 %) sowie Männer in Estland (47 %). Insgesamt gaben sich Männer bei der Befragung in fast allen Ländern etwas zufriedener als Frauen.

Anhand nationaler Sterbestatistiken berechneten die Forscher die Lebenserwartung für 50-Jährige in den jeweiligen Ländern. Diese war für Frauen und Männer in Ungarn am geringsten (30 und 24 Jahre). Dagegen dürfen 50-jährige Frauen in Frankreich und Spanien noch auf knapp 36, Männer in der Schweiz auf 32 Lebensjahre hoffen. Deutschland liegt mit einer Restlebenserwartung von 34 Jahren bei Frauen und etwa 29 Jahren bei Männern im Mittelfeld. Den größten Unterschied zwischen den Geschlechtern gab es in Estland (7,6 Jahre), den geringsten in Schweden (3,4 Jahre).

Über den Anteil der glücklichen SHARE-Teilnehmer in den jeweiligen Altersstufen berechneten die Forscher die noch zu erwartenden glücklichen Lebensjahre bei den 50-Jährigen. Deren Zahl ist sowohl für Frauen als auch Männer in der Schweiz am höchsten (29 und 27 Jahre), die wenigsten glücklichen Jahre stehen Frauen in Portugal und Männern in Estland bevor (12 und 9 Jahre). In der Schweiz erwarten einen 50-jährigen Mann also rund dreimal mehr glückliche Jahre als in Estland.

Besonders traurig sieht es für Frauen in Portugal aus: Obwohl sie fünf Jahre länger leben als die Männer dort, bleibt ihnen ein Jahr weniger im Glück. Frauen scheinen in Portugal also deutlich unglücklicher zu sein als Männer.

Nur Däninnen genießen jedes zusätzliche Jahr

Doch auch in den meisten anderen europäischen Ländern sind die zusätzlichen Lebensjahre für Frauen oft kein Grund zur Freude. Rein rechnerisch ist ihnen das Glück in weniger als der Hälfte dieser Jahre hold, vor allem in Südeuropa lässt es sich kaum mehr blicken. In Schweden, der Schweiz, den Niederlanden und Deutschland sind Glück und Unglück in den zusätzlichen Lebensjahren annähernd gleich verteilt, nur in Dänemark scheinen Frauen praktisch jedes der Jahre zu genießen, die sie länger leben als ihre männlichen Mitbürger, nur dort bedeuten drei Lebensjahre mehr für Frauen auch drei glückliche Jahre mehr.

Interessant ist zudem eine Aufschlüsselung der zu erwartenden glücklichen Jahre nach Lebensalter. So scheinen Frauen in Portugal besonders im Alter zwischen 50 und 70 Jahren wesentlich unglücklicher als Männer zu sein, anschließend gleicht sich die Glücksprävalenz mehr und mehr an. Umgekehrt geht es Frauen in Deutschland: Sie fühlen sich im mittleren Lebensalter offenbar glücklicher als Männer, im hohen Alter jedoch unglücklicher. In den Niederlanden, der Schweiz, Schweden, Estland und Dänemark gibt es jenseits der 75 Jahre hingegen kaum noch Geschlechtsunterschiede bei der Glücksprävalenz.

Die Analyse legt einige bemerkenswerte Schlussfolgerungen nahe: Frauen haben europaweit nicht nur eine höhere Lebenserwartung als Männer, ihnen bleiben absolut betrachtet auch mehr glückliche Lebensjahre. Relativ betrachtet verbringen Frauen die zusätzlichen Jahre jedoch öfter im Unglück als im Glück, vor allem in Ländern Süd- und Osteuropas.

Woran das liegt, lässt sich nicht so einfach erklären. Absolut betrachtet scheint die Zahl der noch zu erwartenden glücklichen Lebensjahre vor allem in den Ländern mit hohem Wohlstand und einem funktionierenden Gesundheitssystem groß zu sein. Entsprechend haben die Schweiz und skandinavische Länder hier die Nase vorne.

Für die Geschlechterunterschiede finden die Forscher jedoch keine plausible Erklärung. Vielleicht tragen in Portugal vor allem Frauen die Last der Wirtschaftskrise. Weshalb sind dann aber ältere Französinnen oder Italienerinnen so unglücklich, obwohl sie länger leben als die Schweizerinnen und Däninnen?

Frankreich ist auch das einzige europäische Land, in dem ältere Frauen ihren Gesundheitszustand schlechter einstufen, als es Männer tun. Auch hier lautet die Frage, weshalb? Schließlich leben Französinnen im Schnitt sechs Jahre länger als Franzosen.

Wahrscheinlich lassen sich solche Fragen mit einer simplen 10-Punkte-Skala für die Zufriedenheit nicht beantworten. Hier müssten Forscher wohl etwas komplexere Methoden anwenden.

Das Wichtigste in Kürze

Frage: Frauen leben länger als Männer, sind sie dabei auch glücklicher?

Antwort: Die meisten der zusätzlichen Lebensjahre werden von Frauen als nicht besonders glücklich empfunden.

Bedeutung: Männer sterben früher und glücklicher.

Einschränkung: Die Resultate beruhen auf einer einzigen Frage, die Glücksdefinition ist sehr ungenau, die Wirtschaftskrise in Südeuropa könnte die Resultate beeinflusst haben.

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