Ungewöhnlicher Sex-Vorfall

Nach dem Orgasmus bewusstlos geworden

Eine junge Frau verliert mehrfach nach dem Geschlechtsverkehr das Bewusstsein. Die Ärzte rätseln zunächst, finden dann aber die Erklärung in den Genen.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Bei der Frau, die nach dem Orgasmus häufiger das Bewusstsein verlor, stellten die Ärzte eine Torsade-de-pointes-Tachykardie fest. Ursache ist eine Genmutation, die ein Long-QT-Syndrom bedingt.

Bei der Frau, die nach dem Orgasmus häufiger das Bewusstsein verlor, stellten die Ärzte eine Torsade-de-pointes-Tachykardie fest. Ursache ist eine Genmutation, die ein Long-QT-Syndrom bedingt.

© luckybusiness / stock.adobe.com (Symbolbild)

DORDRECHT. Ungewöhnlicher Vorfall nach dem Sex: Eine 24-Jährige wurde kurz nach dem Orgasmus kurzatmig, zitterte am ganzen Körper und verlor schließlich das Bewusstsein. Ihr Partner stellte einen fehlenden Puls fest und begann sofort mit der Mund-zu-Mund-Beatmung.

Nach kurzer Zeit wachte die Frau wieder auf und wurde mit dem Krankenwagen in die Albert-Schweizer-Klinik in Dordrecht gebracht, berichten Internisten und Kardiologen um Dr. Henk-Jan Boiten aus dem niederländischen Krankenhaus (European Heart Journal – Case Reports, online 9. Mai 2018).

Dort erläuterte die Patientin den Ärzten, dass ihr so etwas nicht zum ersten Mal passiert sei. Schon öfter sei sie nach einem Orgasmus kurzzeitig ohnmächtig geworden.

QTc-Intervall von 507 ms

Die Anamnese ergab keine weiteren Auffälligkeiten. So nahm die Patientin keine Medikamente ein, die Rhythmusstörungen verursachen können, auch habe bislang in der Familie niemand einen plötzlichen Herztod erlitten. In den Krankenakten war lediglich eine depressive Episode der Frau vermerkt.

Als aufschlussreich erwies sich das 12-Kanal-EKG: Es zeigte eine breite T-Welle mit einem verlängerten QTc-Intervall von 507 ms. Im Belastungs-EKG wurde zudem eine leistungsabhängige PQ-Verlängerung deutlich. Die Blutwerte für Natrium, Kalium und Kalzium lagen hingegen im Normbereich.

Das Team um Boiten ging von einem angeborenen Long-QT-Syndrom (LQT) aus und unterzog auch die Familie der Frau einer EKG-Untersuchung. Beim Vater wurden sie fündig: Dieser zeigte ebenfalls eine abnorme QT-Verlängerung, war bisher aber klinisch unauffällig.

Während des Krankenhausaufenthalts wurde die Frau erneut kurzatmig, klagte über Benommenheit und war sekundenweise nicht ansprechbar. Die Ärzte registrierten dabei im EKG eine Torsade-de-pointes-Tachykardie und injizierten ihr Magnesium, worauf der Sinusrhythmus wieder zurückkehrte.

Sie implantierten der Frau schließlich einen Zwei-Kammer-Schrittmacher-Defibrillator (DDD-ICD) und setzten eine Metroprololtherapie an. In den folgenden acht Monaten bleib die Patientin von Synkopen verschont.

Adrenerge Hormone als Trigger?

Die Ärzte veranlassten auch einen Gentest; dieser offenbarte eine Mutation im KCNH2-Gen auf Chromosom 7q36. Das Gen trägt eine Untereinheit zu einem Kaliumkanal bei, der zur Phase-3-Repolarisation in den Kardiomyozyten der Ventrikel benötigt wird.

Es ist also letztlich für die Aufrechterhaltung eines normalen Herzrhythmus nötig. Die festgestellte Mutation führt zu einer Veränderung des Leserasters und einem vorzeitigen Stopp der Transkription.

Nach Angaben von Boiten und Mitarbeitern ist dies der erste dokumentierte Fall, indem ein LQT-Syndrom durch eine orgasmusinduzierte Torsade-de-pointes-Tachykardie auffällig geworden ist.

Die Mutation im KCNH2-Gen sei aber auch schon bei anderen Personen mit Torsade-Tachykardie festgestellt worden.

Die Ärzte vermuten, dass hohe Konzentrationen adrenerger Hormone nach dem Orgasmus als Torsade-de-pointes-Trigger fungieren könnten.

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