Einwanderung

Tuberkulose - nur ein Migranten-Problem?

Mit Röntgen und Gentechnik rücken Experten heute der Tuberkulose zu Leibe. Doch die Infektionskrankheit bleibt ein Problem. Eine Gefahr ist vor allem die Migration.

Denis NößlerVon Denis Nößler Veröffentlicht:
Tuberkulose-Patienten in Kiew.

Tuberkulose-Patienten in Kiew.

© ITAR-TASS / imago

BERLIN. Einwanderung bleibt das Einfallstor für Tuberkulose (Tb) schlechthin. Das zeigen Untersuchungen aus den Asylzentren der Bundesländern. Seit 2001 hat allein das Gesundheitsamt Trier 58 Tb-Fälle aus den Asyl-Einrichtungen gefischt (Gesundheitswesen 2013; 75 - P15).

Jedes Jahr kommen in dem Aufnahmezentrum von Rheinland-Pfalz rund 1800 Asylsuchende an. Das Gesundheitsamt Trier spricht von einer mittleren Inzidenz von 277 je 100.000 Einwohner.

Das spricht Bände, denn sie liegt deutlich höher als in der deutschen Bevölkerung mit knapp 6 Neuerkrankungen je 100.000. Die meisten Tb-Patienten im Aufnahmezentrum von Trier waren männlich.

Immerhin 62 Prozent der Patienten, 36 an der Zahl, galten als infektiös und mussten isoliert werden. Fünf von ihnen hatten Resistenz bildende Erreger (drei Fälle MDR und zwei Fälle XDR).

Sie kamen alle aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Das Gebiet gilt als Hochrisikoregion für Tuberkulose. Für die Kollegen aus Trier gilt deshalb die Devise: Patienten aus Hochrisikoländern sollten grundsätzlich engmaschig gescreent werden.

Allerdings treten zeitgleich Kollegen aus dem Nachbarland Baden-Württemberg den Beweis an, dass Immigranten nicht per se Tuberkulose-Importeure sind. Denn in der Aufnahmestelle in Karlsruhe gab es seit 2002 deutlich weniger Tuberkulose-Fälle, als das Gesundheitsamt laut WHO-Daten eigentlich hätte erwarten müssen.

21 Tb-Fälle verzeichnet das Gesundheitsamt bis 2011, also 2,1 Fälle pro Jahr (Gesundheitswesen 2013; 75 - P22). Die Baden-Württemberger - und hier zeigt sich die statistische Krux - rechnen allerdings mit Prävalenzen, sie gehen also gemeinhin von Erkrankten und nicht von Neuerkrankungen aus.

Der Effekt gesunder Migranten

Die Prävalenz liegt laut den Karlsruher Ärzten bei 72 je 100.000 Einwohnern, was aber immer noch elffach höher ist als im Bundesdurchschnitt. Allerdings hatten die Baden-Württemberger den WHO-Prävalenzen zufolge mehr Tb-Patienten erwarten müssen, immerhin fast 40 Infizierte.

Aber es kam anders. Die Kollegen aus dem Gesundheitsamt Karlsruhe vermuten deswegen einen "Healthy-Migrant-Effekt".

Sie gehen davon aus, dass viele Migranten vor allem dann auswandern, wenn sie sich gesund fühlen - und es womöglich sogar sind. Vor allem aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien kamen jedoch mehr Tb-Patienten als erwartet.

Die Karlsruher vermuten, dass die Migration aus diesen Ländern kostengünstiger sein könnte, um "im ganzen Familienverband zu kommen oder kränker auf die Flucht zu gehen". Eine weitere Ursache für die Auswanderung könnte die Hoffnung auf eine bessere medizinische Versorgung sein.

Über die Herkunftsländer lassen sich die unterschiedlichen Tb-Zahlen von Trier und Karlsruhe allerdings kaum erklären, denn sie sind weitgehend gleich. Nach Trier kommen vor allem Flüchtlinge aus Ländern wie Afghanistan, Iran, Irak und Syrien. Ähnlich in Karlsruhe: Dort stammen die meisten Asylbewerber aus dem Irak, dem ehemaligen Jugoslawien, der Türkei, Pakistan und dem Iran.

Die Türkei zählt ebenso wie andere Staaten im Nahen Osten, mit Ausnahme des Irak, nicht zu den Hochprävalenzländern. Vor allem die Subsahara-Länder in Afrika gelten als Krisenherde, wohl auch wegen der vergleichsweise schlechten Gesundheitssysteme.

Für Länder wie etwa Sierra Leone, Swaziland oder Djibouti verzeichnet die WHO abnorme Prävalenzen von 1372, 854 beziehungsweise 840 Fällen je 100.000 Einwohner. Auch das Südostasien und Länder wie Indien sind Problemregionen.

Für Europa relevant sind allerdings die Länder der ehemaligen Sowjetunion. Für Russland verzeichnet die WHO eine Prävalenz von 124. Das größte Problem dort sind die steigenden Zahlen von MDR- und XDR-Tuberkulosen. Jede fünfte Tb-Neuerkrankung wird dort mittlerweile von multiresistenten Erregern verursacht.

Nur selten kommt es zu Epidemien

Eingeschleppte Tb-Infektionen können schlimmstenfalls sogar zu einer Epidemie führen. Vor allem Haushaltskontakte sind geeignet, eine Tuberkulose weiterzutragen, zeigt eine Analyse des Gesundheitsamts Hannover (Gesundheitswesen 2013; 75 - P20).

Dort waren seit dem Jahr 2007 42 Prozent aller positiv gescreenten Kontaktpersonen eines Tuberkulose-Patienten Kontaktpersonen aus dem Haushalt des Infizierten. Für das Screening kam der Interferon-gamma Release Assay zum Einsatz.

Eine weitere Analyse aus Hannover zeigt außerdem, dass jedes fünfte Tb-Erkrankung eine "frische" Infektion ist, also nicht eingeschleppt. Die Kollegen aus dem Gesundheitsamt vermuten sogar, dass der Anteil noch höher liegt.

Denn verglichen wurden die Erreger der Erkrankten mittels eines genetischen Fingerprints, allerdings lag nicht von allen Patienten in der Region ein Fingerprint vor (Gesundheitswesen 2013; 75 - P19).

Von immerhin 592 infizierten Patienten konnten sie einen genetischen Vergleich vornehmen. Davon verteilten sich allein 178 Patienten, ein gutes Drittel, auf 57 verschiedene Cluster.

Im Schnitt war ein Cluster also nur drei Personen groß. Die Amtsärzte vermuten deshalb, dass die meisten Infektionspfade frühzeitig unterbrochen werden und nicht zu großen Epidemien führen.

Ein globales Problem: Die weltweite Tuberkulose-Prävalenz

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Ergänzung herkömmlicher Modelle

Kalziumscore verbessert Vorhersage stenotischer Koronarien

Lesetipps
Der papierene Organspendeausweis soll bald der Vergangenheit angehören. Denn noch im März geht das Online-Organspende-Register an den Start.

© Alexander Raths / Stock.adobe.com

Online-Organspende-Register startet

Wie Kollegen die Organspende-Beratung in den Praxisalltag integrieren