Wie chronische Entzündungen Krebs den Weg ebnen

HEIDELBERG (bd). Etwa jede fünfte Krebserkrankung entsteht auf dem Boden einer chronischen Entzündung, schätzt Professor Curtis C. Harris vom US-National Cancer Institute in Bethesda. Eine chronische Entzündung könne primär durch Erbanlagen oder durch exogene Auslöser, etwa Viren, Parasiten, Bakterien oder exogene Schadstoffe, entstehen.

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Bei einem Symposium aus Anlaß des 65. Geburtstages des Krebstoxikologen Professor Helmut Bartsch am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, das die entzündungsbedingten Krebserkrankungen zum Thema hatte, stellte Harris das Spektrum der entzündungsbedingten Krebsarten vor: So gehen entzündliche Darmerkrankungen wie M. Crohn und Colitis Ulcerosa mit einem erhöhten Entartungsrisiko einher. Entzündungen durch Viren wie Hepatitis-B- und -C-Viren, durch Bakterien wie Helicobacter pylori oder durch Parasiten wie Leberegel sind ebenfalls mit Krebs assoziiert.

Sodbrennen erhöht das Risiko für Speiseröhrenkrebs um das 50- bis 100 fache, Asbestexposition das Lungenkrebsrisiko um mehr als das Zehnfache und Übergewicht das Krebsrisiko um das Sechsfache. Möglicherweise sind chronische Entzündungen an weit mehr Krebsarten beteiligt, als heute bekannt ist, vermuten die Krebsforscher.

Durch die schwelenden Entzündungen im Körper wird eine Kaskade von Reaktionen in Gang gesetzt. So werden zum Beispiel Peptide aus Nervenzellen, Zytokine oder Rezeptormoleküle aktiviert, welche die mikrobiellen Erreger erkennen und bewirken, daß das Immunsystem Mastzellen und Leukozyten an den Schadensort dirigiert.

Wie Harris erläuterte, komme es dann zu einer verstärkten Aufnahme von Sauerstoff, die letztlich dazu führe, daß verstärkt Radikale aus den Leukozyten freigesetzt und Makrophagen aktiviert werden.

Diese Überproduktion von freien Radikalen wird als oxidativer Streß bezeichnet. Die angriffslustigen Radikale attackieren die DNA im Zellkern. Darüber hinaus beeinflussen sie das Zellwachstum und die Tumorausbreitung, indem sie Signalübertragungswege aktivieren.

Potentielle Krebsgene werden dadurch ebenfalls aktiviert. Somit ist die Anfälligkeit für Krebs nach Angaben von Harris "eine krankhafte Folge von bestimmten Entzündungen und dem damit verbundenen anhaltenden Streß durch freie Radikale sowie den resultierenden DNA-Schäden."

Ein Paradebeispiel für die Krebsentstehung auf der Basis einer chronischen Entzündung ist der Leberkrebs, wie Professor Helmut K. Seitz aus Heidelberg berichtete. Chronische Entzündungen durch Virusinfektionen oder chronischen Alkoholabusus führen zu oxidativem Streß. Durch die Überproduktion der aktiven Sauerstoffmoleküle kommt es zur Lipidperoxidation.

Freie Radikale greifen dabei die Doppelbindungen an den mehrfach ungesättigten Fettsäuren der Zellmembranen an. Es entstehen wiederum reaktive Stoffwechselprodukte, die dann mit der DNA im Zellkern reagieren und die erbgutverändernden Addukte bilden. Addukte sind Mutationen in der Doppelhelix, die etwa verhindern, daß die DNA korrekt abgelesen wird.

Eine wichtige Erkenntnis der vergangenen Jahre ist Seitz zufolge, daß auch die nicht-alkoholische Steatohepatitis ein Risiko für Leberkrebs ist. Gefährdet für diese Form von Leberentzündung oder für Zirrhose sind übergewichtige Typ-2-Diabetiker mit metabolischen Syndrom.

Seitz: "Es ist zu viel Fett in der Leber. Dies macht die Leber sehr empfindlich gegen oxidativen Streß. Die Sauerstoffradikale greifen die Leberzellen an und machen sie kaputt. Es kommt zur krankhaften Bindegewebsvermehrung und Krebs."

Da die Zahl der übergewichtigen Menschen in den westlichen Ländern dramatisch zunimmt, glaubt Seitz, daß die Leberkrebsrate entsprechend zunehmen wird. Dieser Mechanismus der Krebsentstehung - bedingt durch Übergewicht und metabolisches Syndrom - könnte auch anderen soliden Tumoren zugrunde liegen, mutmaßen die Forscher.

Das gilt zum Beispiel für die Bauchspeicheldrüse. Das sehr kleine Organ hat eine zeitweise sehr hohe Stoffwechselaktivität während und nach dem Essen. Das macht sie empfindlich für Zellschäden, wie der Mannheimer Gastroenterologe Professor Matthias Löhr sagte.

Wie gut eine Zelle Schäden reparieren kann, hängt von der genetischen Ausstattung ab. Diese Kapazität sei dann schneller erschöpft, wenn Noxen und schädliche Einflüsse die Überhand gewinnen. Ein solches "Hexengebräu" seien Alkohol, Rauchen und schlechte Ernährung, so Löhr.

Nicht jeder Mensch, der diesem Entzündungsgeschehen und dem oxidativen Streß ausgesetzt ist, hat das gleiche Krebsrisiko. Jene mit guter genetischer Reparaturkapazität können die Schäden wieder reparieren.

So wird nach Methoden gesucht, Risikopersonen herauszufiltern, bei denen die Entzündung in Krebs ausarten kann. Hierfür wurden an der Abteilung Toxikologie und Risikofaktoren des DKFZ unter Leitung von Professor Helmut Bartsch vielversprechende DNA-Marker entwickelt.

Lesen Sie dazu auch: Test zum Nachweis von geschädigter DNA

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