Oft bleibt der Schrei nach Hilfe stumm

Für viele Patienten, die unter psychischen Beschwerden leiden, ist der Hausarzt der erste und zum Teil der einzige Ansprechpartner. Da viele Patienten ihre Probleme nicht von selbst ansprechen, bleiben psychische Erkrankungen oft unentdeckt.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Viele Patienten trauen sich nicht, mit ihrem Hausarzt über psychische Probleme zu sprechen.

Viele Patienten trauen sich nicht, mit ihrem Hausarzt über psychische Probleme zu sprechen.

© Foto: olly@www.fotolia.de

KÖLN. Das zeigt der aktuelle Gesundheitsmonitor der Bertelsmann Stiftung. Dafür hatte das Meinungsforschungsinstitut tns Healthcare im Herbst 2008 eine repräsentative Stichprobe von rund 1500 Bürgern im Alter von 18 bis 79 Jahren befragt.

Von den Befragten gaben 21,2 Prozent an, dass sie in den vergangenen zwölf Monaten wegen psychischer Probleme beim Arzt oder Psychotherapeuten waren. Von allen Befragten waren aus diesem Grund 18,4 Prozent beim Hausarzt, 5,1 Prozent beim Psychiater, 3,4 Prozent beim Psychotherapeuten und 0,5 Prozent in einer psychiatrischen Institutsambulanz. Ausschließlich den Hausarzt hatten 14 Prozent kontaktiert. (wir berichteten).

Eine deutliche Mehrheit fühlt sich gut versorgt

"Die deutliche Mehrheit der Patienten beurteilt die Versorgung bei psychischen Beschwerden positiv - und dies unabhängig vom Versorgungsbereich", heißt es in der Analyse der Befragung durch Timo Harfst von der Bundespsychotherapeutenkammer und Dr. Gerd Marstedt von der Universität Bremen. Danach fühlen sich 86 Prozent der Patienten in der hausärztlichen Versorgung ausreichend behandelt und beraten, in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung waren es 75 beziehungsweise 72 Prozent.

Depressive Störung und Angststörung liegen vorn

Bei 23 Prozent der Patienten diagnostizierten Arzt oder Psychotherapeut eine psychische Störung. Die häufigsten Diagnosen waren dabei depressive Störungen (13 Prozent) und Angststörungen (sieben Prozent). Dabei zeigen sich allerdings große Unterschiede zwischen den Versorgungsbereichen. Beim Hausarzt gab es nur in acht Prozent der Fälle eine Diagnose, beim Psychiater oder Psychotherapeuten waren es 53 Prozent.

Die Ergebnisse zeigten, dass Hausärzte mögliche psychische Krankheitsursachen immer im Blick haben und offensiv ansprechen müssen, sagt Timo Harfst. "Viele Patienten brauchen die Brücke, die der Arzt ihnen baut", betont er. Gerade Patienten, die psychische Probleme verschweigen, bewerteten die Kompetenz und das Kommunikationsverhalten der Hausärzte deutlich schlechter als Patienten, die entweder keine psychische Beeinträchtigung oder sie von sich aus thematisiert hatten.

Aktives Nachfragen erhöht Sicherheit der Anamnese

Das aktive Nachfragen nach psychischen Beschwerden und die systematische Diagnostik psychischer Störungen in der Hausarztpraxis sehen Harfst und Marstedt als wichtige Ansatzpunkte für eine bessere Identifikation psychischer Erkrankungen und eine Optimierung der Behandlung. "Die Implementierung von Versorgungsleitlinien zur Diagnostik und Therapie psychischer Störungen in der hausärztlichen Versorgung, insbesondere der zentralen Indikationen Depressionen und Angststörungen, verbunden mit spezifischen Fortbildungskonzepten und geeigneten Qualitätsmanagement-Instrumenten zählen zu den Erfolg versprechenden Maßnahmeoptionen", schreiben sie.

Ärzte sollten immer auch an die Psyche denken

Das Meinungsforschungsinstitut tns Healthcare hat im Herbst 2008 eine repräsentative Stichprobe von rund 1500 Bürgern zwischen 18 und 79 Jahren befragt. Von ihnen gaben 21,2 Prozent an, dass sie in den vergangenen zwölf Monaten wegen psychischer Probleme beim Arzt oder Psychotherapeuten waren. Von den Patienten, die beim Hausarzt waren, hatte aber nur die Hälfte die psychische Beeinträchtigung als Beratungsanlass genannt. Genau diese Gruppe bewertete die Kompetenz und das Kommunikationsverhalten der Hausärzte deutlich schlechter als Patienten, die entweder keine psychische Beeinträchtigung oder sie von sich aus thematisiert hatten. Laut Studie ist es jedoch wichtig, dass Ärzte von sich aus auf das Thema Psyche zu sprechen kommen.

Mehr zum Thema

Springer Verlag

Ratgeber für Menschen mit Polyneuropathie

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Wo lang im Gesundheitswesen? Der SVR Gesundheit und Pflege empfiehlt mehr Richtungspfeile für alle Akteure.

© StefanieBaum / stock.adobe.com

Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege

Gesundheitsweise empfehlen Primärversorgung für alle – und Quotierung der Weiterbildung

„Wenn die Politik Wissenschaftlern sagen würde, wir wollen dieses oder jenes Ergebnis, ist das Propaganda.“ Klaus Überla – hier im Treppenhaus seines Instituts – über Einmischungen aus der Politik.

© Patty Varasano für die Ärzte Zeitung

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

Dr. Iris Dötsch Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologin und Ernährungsmedizinerin hat die Hauptstadtdiabetologinnen, eines neues Netzwerk für Frauen in der Diabetologie, gegründet.

© snyGGG / stock.adobe.com

Hauptstadtdiabetologinnen

Ein Netzwerk für Diabetologinnen