Nach der Sprechstunde kommt das Methadon in den sicheren Safe

BREMEN. Bernd Bublitz, Hausarzt aus Bremen, verbirgt einen grauen, abgestoßenen Safe im Wandschrank seiner Praxis. Nicht weil er so viel einnimmt, sondern weil er so viel ausgibt.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:

Jeden Tag verabreicht er zusammen mit seinen beiden Praxis-Kollegen 150 Ex-Junkies in winzigen Dosen den Stoff, der aus dem Elend helfen soll: Methadon. Und jeden Abend schließt er die großen Flaschen weg - samt der begehrten Rezepte. "Denn bei uns wurde schon drei Mal eingebrochen", erklärt Bublitz.

Ehemaligen Junkies wird der Beschaffungsdruck genommen

Wer von den rund 4500 Heroinsüchtigen in Bremen raus will aus dem Kreislauf von Beschaffungskriminalität, Sucht und Krankheit, kann sich Methadon verschreiben lassen. Die Sucht sei in diesem Fällen gewiß nicht vorbei, meint Bublitz. Aber statt ständig auf der Suche nach Geld für den nächsten Schuß zu sein, "befreit Methadon die Junkies vor allem vom Beschaffungsdruck, und sie können wieder am sozialen Leben teilnehmen, Familien gründen und arbeiten gehen." Für Bublitz bedeutet Substitution den "Ausstieg aus der körperlichen Drogen-Sucht".

Für Drogenpatienten gibt es ein eigenes Wartezimmer

Kein einfacher Praxisalltag für die drei Hausärzte in der Bremer Neustadt. Sie haben zwei Wartezimmer eingerichtet, eines für den alltäglichen Hausarztbetrieb und eines für die Methadon-Patienten. "Früher haben wir beide Gruppen gleichzeitig behandelt," so Bublitz, "aber das hat sich nicht bewährt." Das schwierige Klientel der Substitutionspatienten verstörte die Anderen. Seitdem kommen die Ex-Junkies nur morgens und mittags für je 45 Minuten.

"Natürlich sind auch Patienten weggeblieben", räumt Bublitz ein, "aber dafür sind andere gekommen, meistens junge, die es gut finden, was wir hier tun."

Etwa 60 Bremer Mediziner arbeiten an dem Methadon-Programm mit - fast nur Hausärzte; und es sind 1200 Ex-Heroinsüchtige der Stadt, die sich für den Schluck aus dem Pappbecher entschieden haben statt für die Droge aus den oft schmutzigen Nadeln. "Aber wir sind keine Dealer in Weiß", sagt Bublitz: "Wir wollen, daß Patienten es schaffen, ganz aus der Sucht auszusteigen."

Manche nehmen dann mit der Zeit immer weniger Methadon ein, "die streben eine Entziehungskur an," erklärt Bublitz, "andere kommen schon seit 15 Jahren täglich in die Praxis und werden auch weiter kommen."

Nicht jeder erträgt die Begegnungen mit den Leuten von der Straße. Mit dem jungen Mann zum Beispiel, der schwer hustend zehn Minuten im Wartezimmer sitzt und laut flucht. "Er hat Lungenentzündung", sagt Bublitz: "Er konnte die Zuzahlung für das Präparat bisher nicht leisten, das ich ihm aufgeschrieben hatte." Bis er das Geld zusammenschnorren konnte, sei wertvolle Zeit vergangen. Keuchend zieht er ab und grüßt kumpelhaft zu den Arzthelferinnen hinüber.

Ärzte wurden zur Ersatzfamilie

Eine spezielle Ausbildung haben die Arzthelferinnen nicht. "Mit der Zeit bekommt man da eine gewisse Menschenkenntnis," sagt Sabine Bartel. Die unterschiedlichsten Menschen seien unter den Methadon-Patienten, vom Schulabbrecher bis zu Akademiker, meint Bublitz: "Alle leiden unter der Isolation der Suchtkranken."

Sie verlieren schnell die Alltagstauglichkeit. Darum müssen sich die drei Ärzte auch um den Kontakt ihrer Patienten zu den Jugend- und Sozialämtern kümmern, zu den Sozialarbeitern und gegebenenfalls zu den Bewährungshelfern. "Für viele sind wir so eine Art Ersatzfamilie geworden," meint Bublitz: "Das ist schön, aber es kostet unglaublich viel Zeit."

Sein Engagement kostete ihn einen Sehnenabriß am Finger

So etwas wie Sozialromantik liegt ihm allerdings fern. Mehr als einmal mußte er rabiate Patienten gewaltsam vor die Tür setzen, mit unangenehmen Folgen. Bublitz hebt die Hand, streckt die Finger und zeigt den Preis seines Engagements für die Suchtpatienten: Das oberste Glied seines kleinen Fingers nickt leicht nach vorn. Der Arzt lächelt: "Das ist ein Sehnenabriß."

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