Chemie-Nobelpreis

"Neue Medizin auf anderem Level entwerfen"

Der Chemie-Nobelpreis geht in diesem Jahr an die Entwickler der Kryo-Elektronenmikroskopie.

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Kryo-elektronenmikroskopische Aufnahmen helfen bei der Aufklärung der atomaren Struktur komplexer Proteinstrukturen: a) ein Proteinkomplex, der an der Steuerung der Inneren Uhr beteiligt ist. b) ein Sensor-Molekül, das Teil unseres Hörsinns ist. c) das Zika-Virus.

Kryo-elektronenmikroskopische Aufnahmen helfen bei der Aufklärung der atomaren Struktur komplexer Proteinstrukturen: a) ein Proteinkomplex, der an der Steuerung der Inneren Uhr beteiligt ist. b) ein Sensor-Molekül, das Teil unseres Hörsinns ist. c) das Zika-Virus.

© Johan Jarnestad/The Royal Swedish Academy of Sciences/dpa

STOCKHOLM. Der Nobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr an den Schweizer Jacques Dubochet (75), den Deutsch-Amerikaner Joachim Frank (77) und den Briten Richard Henderson (72). Sie entwickelten die Kryo-Elektronenmikroskopie zur hochauflösenden Strukturbestimmung von Biomolekülen in Lösungen, wie die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften am Mittwoch in Stockholm mitteilte. "Sie vereinfacht und verbessert das Sichtbarmachen von Biomolekülen. Diese Methode hat die Biochemie in eine neue Ära gebracht", hieß es zur Begründung.

Die neuartige Mikroskop-Technologie der wird nach Einschätzung der Jury die Entwicklung von Medikamenten revolutionieren. "Wir werden neue Medizin auf einem komplett anderen Level entwerfen können", sagte Nobeljuror Peter Somfai der Deutschen Presse-Agentur. "Jetzt können wir die Enzyme, die Moleküle des Lebens, in Aktion sehen.

Mit Kryo-Elektronenmikroskopie sei vor kurzem ein exzellentes Bild des Zika-Virus gelungen. "Jetzt haben wir eine neue Sicht darauf, wie man ihn angreifen kann", sagte der Spezialist für organische Chemie an der Universität Lund. Das gleiche gelte für Bakterien. "Wir haben nun eine komplett neue Möglichkeit, Medikamente gegen resistente Bakterien zu entwickeln."

Die Methodik hätten Frank, Dubochet und Henderson bereits in den 80er und 90er Jahren entwickelt. Damals sei die Auflösung aber noch zu gering gewesen. "Jetzt explodiert diese Technologie", sagte Somfai. Jede Universität und viele pharmazeutische Unternehmen wollten sie haben. Bald werde sie wahrscheinlich zum Standard in der Medikamenten-Forschung.

Die drei Preisträger kennen einander gut, wie Nobeljuror Somfai sagte. Sie hätten sich bei den Anrufen gefreut, den Preis miteinander zu teilen. "Sie schienen wie eine fröhliche, nette Familie von Chemikern."

Die Kryo-Elektronenmikroskopie ist eine Weiterentwicklung der Elektronenmikroskopie, die bereits Anfang der 1930er Jahre geschaffen wurde. Ernst Ruska bekam dafür 1986 den Nobelpreis für Physik. Es war nun möglich, Objekte mit sehr viel höherer Auflösung als bisher zu untersuchen. Lange Zeit glaubte man, dass Elektronenmikroskope sich nur für unbelebte Materie eigne, weil der starke Elektronenstrahl biologisches Material zerstört. Dass dies ein Irrtum ist, bewiesen die drei diesjährigen Preisträger.

1990 gelang es Richard Henderson, mit einem Elektronenmikroskop in atomarer Auflösung ein dreidimensionales Bild eines Proteins zu erstellen. "Dieser Durchbruch war der Beweis für das Potenzial der Technik", so die Nobeljury in ihrer Begründung. Joachim Frank, der in Deutschland geboren wurde und hier promovierte, machte die Technologie grundsätzlich anwendbar. Er tüftelte zwischen 1975 und 1986 an einer Methode der Bildverarbeitung, mit der die bis dato unscharfen zweidimensionalen Bilder analysiert und zu einem scharfen dreidimensionalen Bild vereinigt werden können.

Jacques Dubochet löste schließlich das Problem, dass Biomoleküle im Vakuum, das bei der Elektronenmikroskopie nötig ist, austrocknen und zusammenfallen. Es gelang ihm Anfang der 1980er Jahre, Wasser so schnell herunterzukühlen, dass es um eine biologische Probe fest wird. Dadurch behalten die Biomoleküle ihre natürliche Form auch im Vakuum. Seine Experimente führte er unter anderem am deutschen Forschungsinstitut EMBL in Heidelberg durch.

Vor der Entwicklung der Kryo-EM war es unter anderem mit der Röntgenkristallographie möglich, Biomoleküle wie Proteine auf atomarer Ebene darzustellen. Das Verfahren eignet sich aber nur für einen kleinen Teil der Moleküle. (dpa)

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