"Bei Öffnung der Bauchhöhle floß eine reichliche Menge Exsudates ab"

Von Ronald D. Gerste Veröffentlicht:

Es begann mit kolikartigen Oberbauchschmerzen: Vor 80 Jahren erkrankte Reichspräsident Friedrich Ebert, ein Mann mit mehreren Gallenkoliken in der Anamnese, an einer akuten, doch wahrscheinlich verschleppten Appendizitis: Das Drama, das sich in jenen Februartagen des Jahres 1925 abspielte, war ein düsteres Menetekel für die Weimarer Republik. Und für den berühmtesten Chirurgen Deutschland war es kein Ruhmesblatt, daß das Staatsoberhaupt bei der Operation starb.

Friedrich Ebert ist im Februar 1925 ein buchstäblich zu Tode erschöpfter Mann. Seit Monaten zehren Verleumdungsprozesse an ihm, setzen ihm politische Gegner und Feinde der jungen Demokratie (an diesen hatte die Weimarer Republik keinen Mangel) heftig zu. Noch kurz vor Weihnachten 1924 hat ein Gericht in Magdeburg es als rechtens erklärt, wenn man den Sozialdemokraten, der seit der Gründung der Republik 1919 an der Staatsspitze steht, wegen Beteiligung am Januarstreik 1918 als Landesverräter bezeichnet.

Am 18. Februar 1925 ist der Präsident Ehrengast bei der Tagung des Zentralkomitees für Krebsforschung. Die anwesenden Ärzte, unter ihnen Nobelpreisträger Otto Warburg, sind entsetzt über das Erscheinungsbild des Präsidenten; seine Krankheit hat ihn schwer gezeichnet.

Am Montag, dem 23. Februar, beginnt die letzte Krise des Friedrich Ebert. Sein Hausarzt Dr. Freudenthal sucht ihn morgens auf und erfährt, daß der Präsident seit der Nacht an Schmerzen in der Lebergegend gelitten habe. "Die Untersuchung ergab", so berichtet Freudenthal, eine "feuchte, gering belegte Zunge, Puls kräftig, 70 in der Minute, geringe Druckempfindlichkeit in der Gegend der Gallenblase, im übrigen Leib weich, überall eindrückbar, keine Muskelanspannung, keine weitere Druckempfindlichkeit."

Am Abend werden die Schmerzen schlimmer. Jetzt bemerkt Freudenthal auch eine Druckschmerzhaftigkeit und Muskelanspannung in der Blinddarmregion. Friedrich Ebert wird ins Westsanatorium der Charité gebracht, wo er um 23.40 Uhr eintrifft und sofort in den Operationssaal gebracht wird. Dort wartet einer der berühmtesten deutschen Chirurgen auf den hohen Patienten: Professor August Bier.

Bier ist eine Koryphäe, hat Lehrstühle für Chirurgie in Bonn, Greifswald und Kiel inne gehabt, bevor er 1907 als Nachfolger des legendären Ernst von Bergmann nach Berlin berufen wird. 1898 vollführt er jene Pioniertat, die ihm die Eintragung in die Annalen der Medizingeschichte sichert: die Einführung der Lumbalanästhesie.

Eines allerdings ist er nicht: ein Demokrat. Vielmehr trauert er der 1918 untergegangenen Hohenzollernmonarchie nach. Auch sein Nimbus als Arzt ist angekratzt. Erst wenige Monate zuvor hat er den Schwerindustriellen Hugo Stinnes cholezystektomiert. Doch Stinnes stirbt an gastralen Komplikationen, Biers Notfalleingriff angesichts des Todes hilft dem Wirtschaftskapitän nicht. Als wäre die professionelle Niederlage für den Chirurgen Bier nicht schon schlimm genug, hat er es auch noch mit einer empörten Öffentlichkeit zu tun, als bekannt wird, daß sich Bier erlaubt, bei der frischgebackenen Witwe Cläre Stinnes ein Honorar von 150 000 Reichsmark zu liquidieren und diese Summe von der Trauernden auch erhält.

Bier, daran darf kein Zweifel aufkommen, gibt alles, um Ebert zu retten; politische Differenzen spielen für den Chirurgen keine Rolle angesichts des seiner Hilfe bedürfenden Patienten. Fünf Tage lang verläßt er das Westsanatorium nicht, um für seinen Patienten da zu sein. Die Operation ist nicht einfach, wie er in seinem Bericht anmerkt: "Bei Eröffnung der Bauchhöhle floß eine reichliche Menge eitrig-getrübten, geruchslosen Exsudates ab und quollen sehr geblähte und stark gerötete Dünndarmschlingen vor. Blinddarm und Wurmfortsatz stellten sich zunächst nicht ein; der Wurmfortsatz wurde erheblich oberhalb des Schnittes als steifes, frei in die Bauchhöhle hineinragendes Gebilde gefühlt."

Der Patient verbringt die erste Nacht ruhig, am anderen Tag liegt der Puls bei 100, die Temperatur bei 36,8 Grad. Doch in der Nacht auf den 28. kommt es zur Krise. Bier muß erkennen, daß Ebert eine Darmlähmung erleidet. Bier unternimmt noch einen letzten Versuch und macht einen Schnitt "in die vorliegende Dünndarmschlinge, um den Darm nach Möglichkeit von seinem Inhalt zu entlasten." Des Chirurgen Bemühungen sind vergebens. Am Abend des 28. Februar, kurz nach 22 Uhr, stirbt der Reichspräsident.

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