Kassenärztliche Bundesvereinigung
KBV-Chef Gassen sieht Vertragsärzte im Visier der Sparpolitik der Koalition
Die Arztpraxen zusätzlich zu belasten, sei kontraproduktiv für die geplante Patientensteuerung und schnellere Terminvergabe, hieß es bei der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Auch die Pläne für eine Notfallreform und die Digitalisierung der Praxen werden kritisch begleitet.
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Patientensteuerung über Kassentarife statt Praxisgebühr: Darüber will GKV-Vorstandsvorsitzender Andreas Gassen (hier ein Archivbild) mit der Regierungskoalition ins Gespräch kommen.
© Metodi Popow / picture alliance
Berlin. Nachdem ein erstes vor allem an die Krankenhäuser adressiertes Sparpaket vorerst gescheitert ist, fürchten die Vertragsärzte ins Visier der Sparpolitik zu geraten. Für die Ziele der Koalition, die Versorgung künftig besser zu steuern und für schnellere Terminvergabe zu sorgen, sei dies kontraproduktiv, sagte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Dr. Andreas Gassen am Freitag bei der Vertreterversammlung. Auch eine „Praxisgebühr reloaded“ lehne die Vertragsärzteschaft ab. Besser sei es, die Versicherten über spezielle Kassentarife zu steuern. Darüber wolle die Vertragsärzteschaft mit der Politik ins Gespräch kommen.
Nachdem ein erstes Sparpaket von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) für die Krankenhäuser im Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag gelandet ist, sieht Gassen nun die Vertragsärzte und Pharmaindustrie im Visier. Vor allem die SPD-Fraktion setze sich aktuell dafür ein, Leistungen aus dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) einzukassieren. Dabei stünden für die Fachärzte rund 400 Millionen Euro im Jahr auf dem Spiel.
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Als in der Sphäre des Wahnhaften angesiedelt, bezeichnete Gassen aktuelle Sparvorschläge des GKV-Spitzenverbandes. Statt dafür zu sorgen, dass Fachärzte ihre Arbeit vollständig bezahlt bekämen, forderten die Kassenvertreter, die Entbudgetierung der Haus- und Kinderärzte zurückzunehmen.
Nachdem die aktuelle Große Koalition sich die Einführung eine effektivere Steuerung von Patienten auf die Fahne geschrieben habe, müsste die „logische Folge eine Entbudgetierung aller entsprechenden Leistungen“ sein, forderte Gassen.
Der KBV-Chef räumte ein, dass Beitragserhöhungen in der KBV nicht ins Unendliche wachsen dürften. Es müsse aber gesamtgesellschaftlich darüber diskutiert werden, ob alle aktuellen Leistungen der GKV dort auch richtig platziert seien. Gassen spielte auf die versicherungsfremden Leistungen an, zum Beispiel die Übernahmen der Gesundheitsversorgung für Bürgergeldbeziehende oder auch die beitragsfreie Familienversicherung für Ehepartner.
KBV-Vize Dr. Andreas Hofmeister kritisierte die geplante Reform der Notfallversorgung. Es müsse ein verpflichtendes und bundesweit einheitliches Ersteinschätzungsverfahren für all diejenigen geben, die keine Hausarztpraxis fänden und sich daher einer der beiden Notrufnummern bedienten. Dafür sollten, wie geplant, die Notfallnummern 116117 und die 112 stärker vernetzt werden. Als „hanebüchen“ bezeichnete Hofmeister Vorgaben, dass jede Leitstelle einzeln den Kassenärztlichen Vereinigungen dazu Vorgaben machen können solle.
Hofmeister warnte zudem vor weiteren Versorgungsangeboten und -ebenen in der Notfallversorgung. Mehr Integrierte Notfallzentren zu errichten und ein „fahrender Dienst“ der KVen rund um die Uhr werde den „Menschen suggerieren, dass jeder jederzeit machen kann, was er oder sie will“, sagte Hofmeister. Tatsächlich gebraucht werde aber eine „stringente Steuerung“.
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Vor zusätzlichen Versorgungsangeboten, zum Beispiel in den Apotheken, warnte auch Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner. Dies bedeute eine gefährliche Verschiebung von Kompetenzen, die Risiken für die Patienten und die Wirtschaftlichkeit der Versorgung.
Steiner verwies darauf, dass für Steuerung und Terminmanagement Digitalisierung und Vernetzung unerlässlich seien. Für den Aufbau dieser Infrastruktur bräuchten die Praxen Geld vom Staat. „Die Finanzierung der Weiterentwicklung der 116117 zu einem Instrument der Daseinsvorsorge aus der Vergütung der ärztlichen und psychotherapeutischen Leistungen“, lehnen wir ab, betonte Steiner. (af)






