Beim Elfmeter kann ein Torhüter nicht verlieren

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Von Julia Giertz

Warum kauen Torhüter vor und während des Fußballspiels Kaugummi? Gibt es die in der Literatur verewigte "Angst des Tormanns beim Elfmeter" (Peter Handke)? Sind Torleute zu dick für das Feldspiel? Diesen Fragen ist Christina Laib von der Universität Stuttgart-Hohenheim auf den Grund gegangen. Die 29jährige Soziologin hat sich mit der Typologie des Torwarts beschäftigt und damit eine Forschungslücke geschlossen.

"Mir geht es um das Abenteuer um die Ecke, um die Erforschung von Lebenswelten scheinbar bekannter sozialer Gruppen", erläutert Laib. Sie reiht sich ein in die Gruppe von Kollegen, die die ganz eigenen Verhaltensweisen von Heimwerkern, Saunisten, Polizisten oder Bodybuildern untersucht haben.

"Im Unterschied zu einer quantitativen Sozialforschung, die Phänomene zählbar macht, versuche ich, die Welt aus den Augen meiner Forschungsobjekte zu sehen", beschreibt Laib ihren Forschungsansatz. Diese Richtung ist in den 70er Jahren in den USA entstanden und von dort Mitte der 80er Jahre nach Europa hinübergeschwappt.

Der Tormann spielt in vieler Hinsicht eine Sonderrolle im Team. "Er ist fast die gesamte Zeit untätig, aber in wenigen Momenten hängt alles von ihm ab", sagt Laib. Dazu brauche er große mentale Stärke, hohe Konzentrationsfähigkeit und Reaktionsschnelligkeit. "Die sind durchgeschwitzt, auch wenn sie gar nicht konkret gefordert sind, einfach weil das Aufpassen körperlich und geistig so viel abverlangt." Deshalb setzen sie sich bewußter mit dem Spiel auseinander, machen autogenes Training, lesen spezielle Bücher oder gehen im Vorfeld von Spielen Konflikten aus dem Weg, weiß Laib.

Sie hat zwei Torwart-Typen erkannt: die Extrovertierten wie einst Sepp Maier und die Introvertierten, die oft auch als arrogant gelten - wie Oliver Kahn. "Kahn ist eine starke Persönlichkeit, er nährt aber auch das Vorurteil, daß Torwarte nicht ganz richtig ticken."

Wie wird man Torwart? "Der Mythos, daß Torhüter zu dick für das Feldspiel seien, stimmt nicht. Viele wären auch gute Feldspieler." Für den exponierten Job bewirbt sich kaum jemand von selbst. Es werden, so Laib, jene Kinder ausgewählt, die den weitesten Abschlag schaffen. Zur Einzelgängerposition des Torwarts trägt auch bei, daß er meist von anderen Torhütern ausgebildet wird. Auch der Fan habe eine andere, oft engere Beziehung zum Torwart als zu Feldspielern. "Torwarte haben mehr Zeit, mit den Zuschauern zu kommunizieren, andererseits sind ihnen die Fehler auch leichter zuzuordnen."

Laib ist durch persönliche Kontakte auf das Thema gestoßen: Ihr Freund war Kicker. "Als ich ihn kennenlernte, wurde das auch meine Welt." Fasziniert ist sie von der völkerverbindenden Bedeutung des Fußballs. "Als ich durch Marrakesch bummelte und jemand meinen deutschen Paß sah, kamen wir gleich über Lothar Matthäus in ein wenn auch holpriges Gespräch - beim Fußball öffnen sich die Herzen."

Wie jede soziale Gruppe haben auch die Torwarte ihre Rituale, mehr noch als die Feldspieler. "Manche ziehen grundsätzlich erst den linken, dann den rechten Stutzen, den linken und den rechten Schuh an." Das verschwitzte T-Shirt vom letzten erfolgreichen Spiel wird übergestreift. Das Kaugummikauen hat den Sinn, beim Spucken in den Handschuh den Speichel griffiger zu machen und so den anfliegenden Ball besser halten zu können. Nach dem Ende des Spiels schütteln sich neben den Mannschaftskapitänen nur die Torhüter die Hände.

Wenn dann ein Elfmeter kommt, ist das für den Torwart die lang ersehnte - keinesfalls gefürchtete - Situation. Da ist sich Christina Laib sicher: "Denn er kann nicht verlieren: Der Gegner muß eigentlich treffen, so daß ein Tor dem Torwart nicht übel genommen wird, wenn er den Ball aber hält, ist er der absolute Held." (dpa)

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