Die Traumfabrik der kranken Zeitgenossen

Viele Helden der Leinwand sind im Grunde schwer kranke Menschen, die dringend Hilfe benötigen. In einem Sammelband werden 30 Filmcharaktere analysiert - darunter auch Batman und sein perfider Gegenspieler Joker.

Veröffentlicht:
Einer der brilliantesten, gebrochensten und perfidesten Psychopathen der Filmgeschichte: Der Joker (dargestellt von Heath Ledger) im Batman-Film "The Dark Knight".

Einer der brilliantesten, gebrochensten und perfidesten Psychopathen der Filmgeschichte: Der Joker (dargestellt von Heath Ledger) im Batman-Film "The Dark Knight".

© UPI Photo / imago

Von Pete Smith

Sie sind schizophren, depressiv, sexbesessen oder hysterisch: Die Geschöpfe der Traumfabrik spiegeln die nüchterne Wirklichkeit des Lebens. Ob Carrie Bradshaw alias Sarah Jessica Parker aus "Sex and the City" oder Travis Bickle alias Robert de Niro in "Taxi Driver" - viele Leinwandhelden sind im Grunde schwer kranke Zeitgenossen, die dringend Hilfe benötigten. Psychiater, Psychoanalytiker, Psychosomatiker, Psychologen und Geisteswissenschaftler nehmen sich nun ihrer an und analysieren ihre Pathologien: "Batman und andere himmlische Kreaturen" heißt der Sammelband, herausgegeben bei Springer Medizin, der dreißig Filmcharaktere vorstellt und ihre psychischen Störungen diagnostiziert. In der Verlagsgruppe Springer Medizin erscheint auch die "Ärzte Zeitung".

Professor Stephan Doering, Universität Münster

Professor Stephan Doering, Universität Münster

© smi

Professor Stephan Doering, Facharzt für Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, und Professor Heidi Möller, die an der Universität Kassel einen Lehrauftrag für Theorie und Methodik der Beratung innehat, legen mit "Batman" eine Fortsetzung ihres 2008 erschienenen Bands "Frankenstein und Belle de Jour" vor. Zielgruppe sind Cineasten mit Hang zur Psychoanalytik, denen die Experten im Buch erklären, wie echt die "Film-Irren" tatsächlich sind.

Carrie Bradshaw beispielsweise leidet in der 2008 im Kino gezeigten Spielfilmversion der Erfolgsserie "Sex and the City" unter der Trennung von ihrem Bräutigam "Mr. Big". Sie fühlt eine große Leere, ihre Tränen versiegen, aus der akuten reaktiven Depression entwickelt sich im Laufe der Zeit - so die Diagnose der Autoren - eine schwere depressive Episode (ICD-10: F32.2). "Im Verlauf der Handlung sind es sowohl die Einsicht in den eigenen Anteil an ihrem Unglück als auch die liebevolle Unterstützung ihres Umfeldes, die Carries Depression nach und nach zu heilen vermag", heißt es. Da der Film exemplarisch die konstruktive Überwindung von Kummer und Leid darstelle, wirke er auch auf seine Zuschauer(innen) wie ein Therapeutikum.

Ganz anders stellt sich Travis Bickle dar, Hauptfigur des 1976 entstandenen Kultfilm "Taxi Driver" von Martin Scorsese. Travis ist ein ehemaliger Vietnamsoldat, der aufgrund seiner traumatischen Erfahrungen nachts nicht schlafen kann, Alkohol trinkt und Tabletten schluckt. In seinem Tagebuch bezeichnet er sich selbst als "Gottes einsamster Mann". Als er die junge Prostituierte Iris kennen lernt, schwingt er sich zu ihrem Retter auf und tötet ihren Zuhälter und dessen Kumpel. Die Autoren vermuten bei Travis Bickle eine schizotypische Störung sowie eine Persönlichkeitsveränderung nach Extremtraumatisierung. Am Ende wird der Kranke jedoch als Held gefeiert.

Bei den meisten analysierten Filmen steht die Sexualität oder Intimität im Mittelpunkt. Die Bandbreite reicht vom stummen, beziehungslosen Sex ("Verhängnis") über sadomasochistische Formen ("Verfolgt", "Der freie Wille") bis hin zur sexuellen Misshandlung ("Pretty Baby"). In jedem Kapitel erhält der Leser einen Einblick in die Geschichte, bevor die Autoren ein Portrait des Filmcharakters zeichnen, ihre Diagnose stellen und deren Realitätstreue überprüfen. Oft werden darüber hinaus noch Bezüge zur Wirklichkeit hergestellt, welche die Einordnung des Filmstoffs in den aktuellen Kontext erleichtern.

Fazit: Ein lesenswertes Buch, das nicht nur ausgesprochenen Cineasten Gewinn bringt.

Heidi Möller und Stephan Doering (Hrsg.): Batman und andere himmlische Kreaturen. Springer Medizin, 2010, 350 Seiten, 60 Farb-Abbildungen. 39,95 Euro. ISBN: 978-3-642-12738-0

Schlagworte:
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

© AspctStyle / Generiert mit KI / stock.adobe.com

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Detailansicht eines Windrades: Bringt eine ökologisch nachhaltige Geldanlage auch gute Rendite? Anleger sollten auf jeden Fall genau hinschauen.

© Himmelssturm / stock.adobe.com

Verantwortungsbewusstes Investment

„Nachhaltig – das heißt nicht, weniger Rendite bei der Geldanlage!“

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank)
Protest vor dem Bundestag: Die Aktionsgruppe „NichtGenesen“ positionierte im Juli auf dem Gelände vor dem Reichstagsgebäude Rollstühle und machte darauf aufmerksam, dass es in Deutschland über drei Millionen Menschen gebe, dievon einem Post-COVID-Syndrom oder Post-Vac betroffen sind.

© picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Symposium in Berlin

Post-COVID: Das Rätsel für Ärzte und Forscher

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Krisenkommunikation war Schwachpunkt in der Pandemie

© HL

Herbstsymposium der Paul-Martini-Stiftung

Krisenkommunikation war Schwachpunkt in der Pandemie

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Arzt untersuch das Knie eines Patienten

© gilaxia / Getty Images / iStock

Interview mit Leitlinien-Koordinator

Gonarthrose-Therapie: „Nur wenige Maßnahmen wirken“

Für die Einarbeitung sollten Neulinge eine feste Ansprechpartnerin im Team haben. (Motiv mit Fotomodellen)

© Manu Reyes / Stock.adobe.com

Willkommenskultur

Neu im Team? Was Praxen beim Onboarding beachten sollten