Schnellere Diagnostik

Echtzeit-MRT gibt neue Einblicke

Jens Frahm hat für bahnbrechende Innovationen auf dem Gebiet der Magnetresonanztomografie den Europäischen Erfinderpreis gewonnen. Er und sein Göttinger Forschungsteam erweitern das diagnostische Potenzial der MRT: Ärzte können nun live verfolgen, was im Inneren des Körpers passiert.

Von Heidi Niemann Veröffentlicht:
Der Göttinger Physiker Jens Frahm erhält den Europäischen Erfinderpreis 2018 in der Kategorie Forschung – hier bei der Preisverleihung nahe Paris.

Der Göttinger Physiker Jens Frahm erhält den Europäischen Erfinderpreis 2018 in der Kategorie Forschung – hier bei der Preisverleihung nahe Paris.

© Heidi Niemann

PARIS / GÖTTINGEN. Hohe Auszeichnung für den Göttinger Wissenschaftler Jens Frahm: Das Europäische Patentamt (EPA) hat den 67-jährigen Physiker vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen mit dem Europäischen Erfinderpreis 2018 in der Kategorie Forschung ausgezeichnet.

Frahm erhielt den Preis bei einem Festakt in St. -Germain-en-Laye bei Paris für seine bahnbrechenden Innovationen auf dem Gebiet der Magnetresonanztomografie (MRT).

Der Europäische Erfinderpreis ist einer der renommiertesten Innovationspreise Europas. Mit ihm werden einzelne Erfinder und Teams ausgezeichnet, die mit ihren Erfindungen zum technologischen Fortschritt, zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung sowie zur Schaffung von Arbeitsplätzen beigetragen haben. Eine unabhängige internationale Jury wählte die diesjährigen Gewinner aus mehr als 500 Erfindern und Erfinder-Teams aus.

Wie bei der Oscar-Verleihung

Ähnlich wie bei der Oscar-Verleihung wurden die Gewinner des Europäischen Erfinderpreises erst direkt bei der Preisverleihung im Théâtre Alexandre Dumas bekannt gegeben. Der bereits vielfach ausgezeichnete Göttinger Physiker freute sich über die renommierte Auszeichnung: "Das ist eine große Ehre und eine tolle Anerkennung für die innovative Arbeit unseres Forschungsteams."

Frahm hat die 1973 von dem späteren Nobelpreisträger Paul Lauterbur erfundene Magnetresonanztomografie (MRT) revolutioniert. Das damals neue Verfahren hatte zunächst den Nachteil, dass es für den Einsatz in der Medizin schlicht zu langsam war.

In zwei Schritten ist es Frahm und seinem Team in Göttingen gelungen, die MRT um das bis zu 10.000-fache zu beschleunigen und diese Technologie in der klinischen Praxis zu etablieren. Zunächst entwickelte er in den frühen 1980er-Jahren die FLASH-Technik (Fast Low Angle Shot), welche die Geschwindigkeit der MRT-Bildgebung um den Faktor 100 beschleunigte.

Erst diese Innovation, mit der sich die Messzeiten radikal verkürzten, brachte den Durchbruch für die breite Anwendung der Kernspintomografie in der medizinischen Diagnostik.

Hatte die erste MRT-Aufnahme eines Menschen noch vier Stunden und 45 Minuten gedauert, ließen sich mit FLASH nun innerhalb weniger Sekunden einzelne Schichtbilder herstellen. Führende Hersteller übernahmen die Technik, Magnetresonanztomographen wurden zu einem Standardinstrument in der Diagnostik.

Heute ist die FLASH-MRT eines der bedeutendsten bildgebenden Verfahren in der Medizin. Weltweit kommt die Technik jährlich bei 100 Millionen Untersuchungen zum Einsatz. Die FLASH-Plattform ist zudem das bislang erfolgreichste Patent der Max-Planck-Gesellschaft.

Vier europäische Patente

Jens Frahm ist als Erfinder von vier europäischen Patenten gelistet. Mit den bislang rund 155 Millionen Euro Lizenzeinnahmen wurde unter anderem die gesamte Forschung der 1993 gegründeten gemeinnützigen Biomedizinischen NMR Forschungs GmbH in Göttingen finanziert.

Inzwischen haben die Göttinger Forscher ihre Technik weiterentwickelt und die MRT-Technologie in das Videozeitalter geführt. FLASH2 aus dem Jahr 2010 nutzt moderne Computerbildrekonstruktion, um die weltweit ersten MRT-Filme mit Aufzeichnungsgeschwindigkeiten von bis zu 50 Bildern pro Sekunde zu erzeugen.

Dabei nutzen sie einen Trick: Da die einzelnen Filmbilder nur minimal verschieden sind, werden jeweils nur wenige Aufnahmen mit etwa fünf bis 15 Messungen erstellt. Rekonstruktionsalgorithmen berechnen dann die Unterschiede zwischen den Bildern und füllen die fehlenden Informationen aus, um übergangslos bewegte Aufnahmen zu erzeugen.

Mit diesem neu entwickelten Verfahren hat das Göttinger Forscherteam das diagnostische Potenzial der MRT stark erweitert. "Erstmals kann man direkt beliebige physiologische Vorgänge im Körper abbilden beziehungsweise filmen", sagt Frahm. Mediziner können nun live verfolgen, was im Inneren des Körpers passiert.

Dank der neuen Technologie können sie beispielsweise in Echtzeit Gelenk- oder Sprechbewegungen, Schluckvorgänge oder das schlagende Herz beobachten.

Sie bekommen damit ganz neue Einblicke und können Rückschlüsse darauf ziehen, warum das Knie beim Beugen schmerzt und warum jemand unter Sodbrennen leidet, stottert oder Schmerzen im Brustbereich hat.

Frahm hofft, dass die mediale Aufmerksamkeit, die mit dem Europäischen Erfinderpreis verbunden ist, die klinische Translation der Echtzeit-MRT beschleunigt.

Bislang wird sie erst an einigen Universitätskliniken in Deutschland, Großbritannien und den USA für den routinemäßigen Einsatz am Patienten getestet, demnächst auch in Frankreich und China.

Herzpatienten profitieren

An der Universitätsmedizin Göttingen wurde für den Einsatz der Echtzeit-MRT eigens ein neues Spezialgebäude errichtet. Hier profitieren vor allem Herzpatienten von der neuen Technik.

"Zum Großteil sind es Patienten mit Arrhythmien, die einen völlig unregelmäßigen Herzschlag haben, der mit der konventionellen Technik eigentlich nicht richtig untersucht werden kann", erklärt Frahm.

Die Mediziner können nun per "Live-Übertragung" jeden einzelnen Herzschlag beobachten und so die Herzrhythmusstörung sehr viel genauer analysieren und entsprechend gezielt behandeln.

Die Echtzeit-MRT biete aber auch für viele andere medizinische Bereiche ganz neue Möglichkeiten, sagt Frahm. Deshalb sei es wichtig, sie in weiteren klinischen Studien für möglichst viele unterschiedliche Anwendungen zu erproben.

Die neue Technik könne beispielsweise zur Reflux-Diagnostik oder zur Untersuchung von Darmbewegungen eingesetzt werden. Außerdem könnte man damit minimal-invasive Eingriffe und Behandlungen begleiten, die bislang unter Röntgenkontrolle vorgenommen werden.

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