Pro und Contra GroKo

Ritt auf der Rasierklinge – SPD-Basis entscheidet bis 2. März

Der SPD-Mitgliederentscheid ist die größte Hürde vor der Regierungsbildung. Die "Ärzte Zeitung" zeichnet Pro und Contra-Argumente nach.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Der SPD-Mitgliederentscheid ist die größte Hürde vor der Regierungsbildung.

Der SPD-Mitgliederentscheid ist die größte Hürde vor der Regierungsbildung.

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BERLIN. 9,5 Prozent der Stimmen erhielt die SPD bei einer Leserumfrage der "Ärzte Zeitung" vor der Bundestagswahl 2017. Bei 1545 Teilnehmern war das Ergebnis zwar nicht repräsentativ, zeigt aber einen Trend (28,7 Prozent CDU/CSU; FDP 21,7; Bündnis 90/Grüne 8,9, Linke 10; AfD 13,8). Wie viele Ärzte und Angehörige von Gesundheitsberufen SPD-Mitglieder sind, ist nicht bekannt.

Diese Mitglieder sind derzeit aufgerufen, über den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD abzustimmen. Weil der kein klares Bekenntnis der Koalitionäre in spe zur Einführung einer Bürgerversicherung und zum Ende der grundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen enthält, ist ein im Moment unbekannter Anteil der SPD-Mitglieder auf den Barrikaden. Die Jusos und die Demokratische Linke in der SPD, deren Bundesvorsitzende die Gesundheitspolitikerin und Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis ist, plädieren für ein Nein zur Neuauflage der GroKo. Die Verabredung, in einer Kommission lediglich unverbindlich über Änderungen bei Arzthonoraren zu sprechen, seien zu schwammig, sagt Mattheis.

Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion Professor Karl Lauterbach ist Arzt und kämpft seit Jahren für die Bürgerversicherung. Gleichwohl spricht er sich für eine erneute große Koalition mit den Unionsparteien aus. Grund: In Umfragen sinkt die Zustimmung zur SPD dramatisch. Neuwahlen bergen für die SPD derzeit Risiken.

Juso-Chef Kevin Kühnert hat beim Sonderparteitag am 20. Januar in Bonn Gegner der großen Koalition dazu aufgerufen, in die SPD einzutreten, um das Mitgliedervotum beeinflussen zu können.

Mit Erfolg: Zum Stichtag am 6. Februar, 18 Uhr, zählte die Partei 24.339 Mitglieder mehr als noch am 1. Januar. Damit haben 463.723 Genossinnen und Genossen Gelegenheit, für oder gegen den Koalitionsvertrag zu stimmen.

Die Frage auf den Stimmzetteln lautet: "Soll die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) den mit der Christlich-Demokratischen Union (CDU) und der Christlich-Sozialen Union (CSU) ausgehandelten Koalitionsvertrag vom Februar 2018 abschließen? – Ja oder Nein."

Gezählt werden Stimmzettel, die bis zum 2. März in der Parteizentrale in Berlin eingegangen sind. Die SPD rät dazu, die Wahlunterlagen bis zum 27. Februar abzuschicken. Die etwa 2300 im Ausland lebenden Mitglieder können online abstimmen.

Auch 2013 stellte die SPD-Spitze den Koalitionsvertrag in der Partei zur Abstimmung. Damals erhielt sie 78 Prozent Zustimmung.

Die CSU hat per Vorstandsbeschluss dem Koalitionsvertrag bereits zugestimmt. Die CDU wird am Montag auf einem Parteitag in Berlin ein Votum abgeben. Zwar gibt es in der CDU auch Kritik, gerechnet wird gleichwohl mit einem Ja.

Pro: Das sagt Karl Lauterbach

Will nicht auf Politikgestaltung verzichten: Karl Lauterbach.

Will nicht auf Politikgestaltung verzichten: Karl Lauterbach.

© dpa

GroKo: Machtoption für SPD-Politikinhalte

Einen hohen Erklärungsbedarf sieht Karl Lauterbach für die Inhalte des Koalitionsvertrags, über den nun die SPD-Mitglieder entscheiden müssen. Man argumentiere „sehr intensiv“, wie viel SPD-Programmatik in dem Vertrag stecke und wie desaströs sowohl eine Minderheitsregierung als auch Neuwahlen für die SPD sein würden. In der Gesundheitspolitik sieht Lauterbach Schritte in Richtung Bürgerversicherung: Abbau der Zwei-Klassen-Medizin durch eine mittelfristig einheitliche Vergütungsordnung und gleiche Leistungen für Privat- und Kassen-Patienten, Erschwerung des Neugeschäfts für die PKV, Problematisierung der steigenden Beihilfekosten. Die Stimmung in der SPD schätzt Lauterbach als kritisch ein, besonders in Nordrhein-Westfalen und im Osten. Alles in allem sei etwa ein Drittel gegen die GroKO festgelegt, ein Drittel sei dafür, das letzte Drittel noch unentschieden – „da habe ich den Eindruck, die können wir noch erreichen“. Mit drei Argumenten: Die Minderheitsregierung ist die schlechteste aller Varianten – das würde komplett gegen die SPD-Programmatik laufen, vor allem in der Flüchtlings-, Steuer- und Sozialpolitik. Jenseits der GroKo wäre die SPD programmatisch isoliert. Neuwahlen – ebenfalls ein Desaster für die SPD. Denn tatsächlich habe die SPD bei Wahlen in letzter Zeit immer schlechter abgeschnitten als Umfragen es prognostiziert hätten. Das kann bedeuten: Faktisch liegt die SPD noch unter den 16 Prozent, die aktuell in Umfragen ermittelt werden. Programmatische und personelle Erneuerung – ein berechtigter Anspruch der Parteibasis. Es reiche nicht aus, einen Koalitionsvertrag wie in der vergangenen Legislaturperiode buchstabengetreu abzuarbeiten. Ungeachtet der Tatsache, dass „ich mit Hermann Gröhe sehr vertrauensvoll zusammengearbeitet habe“. (HL)

Contra: Das sagt Hilde Mattheis

Kompromisse reißen nicht vom Hocker: Hilde Mattheis.

Kompromisse reißen nicht vom Hocker: Hilde Mattheis.

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NoGroKo: SPD muss erkennbar bleiben

Gegen eine Fortsetzung der Großen Koalition spricht sich Hilde Mattheis aus, die in der vergangenen Legislatur gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion war. Die SPD müsse klar erkennbar bleiben, macht die Bundesvorsitzende des Forums Demokratische Linke in einem Debattenbeitrag ihren Standpunkt klar. „Wenn wir weiter Kompromisse mit der CDU/CSU als die großen sozialdemokratischen Erfolge preisen, wird das die Menschen nicht vom Hocker reißen“, so Mattheis. Die SPD müsse als Gegenentwurf zum Politik- und Gesellschaftsentwurf der Union wahrgenommen werden. Anderenfalls vermischten sich die demokratischen Parteien zu einem nebulösen Block. Mit den gesundheitspolitischen Ergebnissen im Koalitionsvertrag ist Mattheis ganz und gar nicht zufrieden. „Erreichte Kompromisse wurden nicht ehrlich als das präsentiert, was sie sind, nämlich Kompromisse.“ Vielmehr seien sie als originär sozialdemokratische Politik präsentiert worden. Diese Kommunikationsstrategie wende die SPD an, obwohl die Koalition noch gar nicht zustande gekommen sei. Selbst kleine Punkte würden als „Riesenerfolg“ vorgestellt. Dazu zähle zum Beispiel die vereinbarte Einsetzung einer Kommission für die Reform von Arzthonoraren. Es sei nicht vereinbart, dass von den dort erarbeiteten Vorschlägen jemals etwas umgesetzt werden müsse. „Ehrlich wäre zu sagen, dass wir uns hier nicht durchsetzen konnten, und nicht, dass diese schwammigen Formulierungen ein Einstieg in das Ende der Zwei-Klassen-Medizin sind“, schreibt Mattheis. Mattheis warnt auch aus einem anderen Grund vor einer Regierungsbeteiligung der SPD. Damit machten ausgerechnet die Sozialdemokraten die Alternative für Deutschland zur Oppositionsführerin im Bundestag. Es bestehe die Gefahr, dass sie als solche Hass und Ressentiments schüre. (af)

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