Druck aus der Politik

Korrupte Ärzte in den Knast?

Bestechung von Ärzten: Das neue Jahr hat kaum begonnen - und schon ein brisantes Thema. Manchem Politiker reichen die geltenden Regeln offenbar nicht aus. Sie drohen mit dem Staatsanwalt - und die Kassen mit drei Jahren Haft.

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Sieht so das Ende des Vertragsarztes aus?

Sieht so das Ende des Vertragsarztes aus?

© Liv Friis-larsen / fotolia.com

BERLIN. Korrupte Kollegen allerorten? Die Schlagzeilen vom Tag nach Neujahr lassen Böses ahnen: Von bestechlichen und bestechenden Ärzten war die Rede, und von der Forderung nach mehrjährigen Haftstrafen.

Vorgeprescht waren der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn und AOK-Bundesverbandschefs Jürgen Graalmann - beide in zwei unterschiedlichen Zeitungen, aber gleichzeitig und mit derselben Forderung: "Freiberuflichkeit darf kein Freibrief für Korruption sein" (Graalmann in der "Berliner Zeitung") und "So wie es ist, kann es jedenfalls nicht bleiben" (Spahn in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung").

Ihre Kritik: Kammern und KVen täten zu wenig gegen Korruption. Schwarze Schafe unter den Niedergelassenen müssten notfalls das Strafrecht zu spüren bekommen.

Jens Spahn in der FAZ: "Entweder beginnt die ärztliche Selbstverwaltung endlich eigenständig, die Dinge klar beim Namen zu nennen und aktiv zu bekämpfen, oder wir müssen eine Strafnorm schaffen, damit der Staatsanwalt aktiv wird."

Stein des Anstoßes für diese Offensive ist die seit einem halben Jahr währende Debatte über das Urteil des Bundesgerichtshofs. Im Juni hatten die Strafsenate des obersten deutschen Strafgerichts entschieden, dass, salopp formuliert, niedergelassene Ärzte Geschenke annehmen dürfen.

Sie können deswegen nicht wegen Bestechlichkeit belangt werden. Die einschlägige Vorschrift im Strafrecht greift bei ihnen deshalb nicht, weil sie eben keine Amtsträger oder Beauftragten der Krankenkassen sind.

Der niedergelassene Arzt, so die BGH-Richter, sei weder "verlängerter Arm" noch ein "quasi ausführendes Organ hoheitlicher Gewalt". Der Einzige, der ihn beauftragen könne, sei der Versicherte. Objektiv gesehen werde der Arzt "in erster Linie in dessen Interesse tätig".

Auftrag an den Gesetzgeber

Mit ihrem Urteil hatten die Richter die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts zurechtgerückt, gleichzeitig aber auch der Politik den Ball zugespielt.

Und dort entbrannte schon kurze Zeit später eine Diskussion über mögliche gesetzliche Folgen aus dem Urteil. Die SPD-Fraktion im Bundestag forderte mit einer eigenen Gesetzesinitiative "ergänzende Regelungen im Strafgesetzbuch", mit denen "Korruptionshandlungen niedergelassener Vertragsärzte Straftatbestände darstellen".

Wie erwartbar scheiterte der Antrag im Parlament an der Koalition. Politiker von Union und FDP warfen der SPD vor, Ärzte und Apotheker "grundsätzlich als korrupt" darzustellen und "einen in der Bevölkerung sehr angesehenen Berufsstand" zu verunglimpfen.

Auch die Kassen hatten sich seinerzeit kritisch zu dem BGH-Urteil geäußert. Es sei "ein klarer Auftrag an den Gesetzgeber, die in diesem Rechtsstreit sichtbar gewordenen Lücken im Strafrecht zu schließen", forderte damals Spitzenverbandsvorstand Gernot Kiefer.

Kammern und KVen, sowie ihre Spitzen BÄK und KBV hingegen sahen weder damals die Notwendigkeit für Nachbesserungen, noch heute. Ihr Argument: Schon jetzt gibt es zahlreiche Sanktionsmöglichkeiten. Erst jüngst hatte die KBV an alle Vertragsärzte eine Broschüre verschickt, in der sie die Grenzen von Kooperation erklärt.

Bereits die Berufsordnungen widmen sich in vier Paragrafen (30 bis 33) den "Dos and Don'ts" bei Zuweisung, Kooperation und Co. So verbietet Paragraf 31 eindeutig "Entgelte oder Vorteile" für die Zuweisung von Patienten.

Im nächsten Paragrafen werden selbst Geschenke von "Patienten oder Anderen" verboten, wenn sie die Unabhängigkeit des Arztes gefährden. Die Sanktionsmöglichkeiten des Berufsrechts sind bekannt: Verwarnung, Verweis, Geldbuße, bis hin zur Aberkennung der Approbation wegen Unwürdigkeit, was jedoch nur die zuständige Behörde veranlassen kann.

Im Kassenarztrecht gelten schließlich noch weitere Sanktionsmöglichkeiten, zu finden im Sozialgesetzbuch V.

Paragraf 73 SGB V, sozusagen der Kassenarzt-Paragraf schlechthin, etwa verbietet Vertragsärzten ziemlich eindeutig, "für die Zuweisung von Versicherten ein Entgelt oder sonstige wirtschaftliche Vorteile sich versprechen oder sich gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren".

Kassenidee: Drei Jahre Haft

Und dann gibt es noch den bekannten Paragrafen 128, der in der "Ärzte Zeitung" eine halbe Druckseite füllen würde. In zehn Absätzen erklärt er, bis zu welcher Grenze Vertragsärzte mit anderen Leistungserbringern zusammenarbeiten dürfen.

Alles nur ein zahnloser Tiger? Vielleicht. Selbst die seit zehn Jahren vorgeschriebenen "Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen" leisten offenbar nicht immer das, was von ihnen erwartet wird.

Ein Vertreter dieser Einrichtungen von KVen und Kassen nannte sie jüngst ein "stumpfes Obstmesserchen". Eigenen Ermittlungen seien enge Grenzen gesetzt, klagen die Verantwortlichen. Auch die Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften scheint verbesserungswürdig zu sein.

Unionsgesundheitspolitiker Spahn lässt dieses Argument allerdings nicht durchgehen. "Dann sollten sie uns schnellstens konkrete Vorschläge auf den Tisch legen, was wie geändert oder verschärft werden muss, damit sie ihre Arbeit tun können", sagte er der "FAZ".

Die Kassen hatten sich diese Aufforderung nicht zweimal sagen lassen. Zu einer Expertenanhörung im Oktober im Bundestags-Gesundheitsausschuss hatten sie bereits eine mögliche neue Strafvorschrift formuliert.

In dem reanimierten Paragrafen 308 SGB V würden Vertragsärzten demnach bis zu drei Jahre Haft drohen, wenn sie bestechlich sind oder einen anderen Leistungserbringer bestochen haben.

Konkret schlugen die Kassen als ersten Absatz vor: "Wer als angestellter Arzt, Vertragsarzt oder Leistungserbringer im Gesundheitswesen einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei der Wahrnehmung der ihm übertragenen gesetzlichen Aufgaben eine Handlung vorgenommen hat oder künftig vornehme und dadurch seine Pflichten verletzt hat oder verletzen würde, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

Strafbarkeit im Gesundheitswesen

§ 307a SGB V

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen § 171b Absatz 2 Satz 1 (Insolvenzen von Krankenkassen, Anm. d. Red.) die Zahlungsunfähigkeit oder die Überschuldung nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig anzeigt.

(2) Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

§ 307b SGB V

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen § 291a Absatz 4 Satz 1 oder Absatz 5a Satz 1 (Zugriff auf die Gesundheitskarte, Anm. d. Red.) erster Halbsatz oder Satz 2 auf dort genannte Daten zugreift.

(2) Handelt der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen Anderen zu bereichern oder einen Anderen zu schädigen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.

(3) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt. Antragsberechtigt sind der Betroffene, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz oder die zuständige Aufsichtsbehörde.

Und zahlreiche weitere Gesetze:

Transplantationsgesetz (TPG), Arzneimittelgesetz (AMG), Infektionsschutzgesetz (IfSG), Gentechnikgesetz (GenTG), Gendiagnostikgesetz (GenDG), Embryonenschutzgesetz (ESchG), Chemikaliengesetz (ChemG)

Strafvorschriften im SGB V wären übrigens nichts Neues. Schon heute sehen die Paragrafen 307a und 307b Freiheitsstrafen vor für Insolvenzverschleppung bei Krankenkassen und dem unrechtmäßigen Zugriff auf die Gesundheitskarte (siehe Kasten).

Nun ist die geplante Strafvorschrift bei unerlaubten Zuweisungen nur der fromme Wunsch der Kassenvertreter - und dazumal einer von vielen.

Einige Zeit nachdem das BGH-Urteil im vergangenen Sommer gefällt wurde, fing das Gesundheitsministerium seinerseits an, Stellungnahmen einzuholen - von KBV, BÄK und dem GKV-Spitzenverband.

Polizeiliche Kompetenzen

Die liegen den Fachleuten von Ressortchef Daniel Bahr (FDP) nun vor, müssten allerdings noch ausgewertet werden, wie eine Ministeriumssprecherin am Mittwoch mitteilte. Ihre Einschätzung klingt schon deutlich anders, als die von CDU-Mann Spahn und AOK-Chef Graalmann: "Ich sehe da keinen Druck."

Auch die KBV zählt nicht zu den drängelnden Befürwortern einer neuen Straftatregelung. Ihr Vorstandschef Andreas Köhler nannte die "pauschalen Vorwürfe" am Mittwoch außerdem "nicht zielführend".

Vielmehr würden die KVen schon heute allen Korruptionsvorwürfen nachgehen. "Wenn den Krankenkassen konkrete Verdachtsfälle vorliegen, müssen sie diese auch den KVen melden", spielte Köhler den Ball an die Kassen zurück.

Aber womöglich ist doch etwas dran, an dem "stumpfen Obstmesserchen" und seinem "zahnlosen Tiger". Als Analogie hilft der pünktlich zum Jahresanfang erneut hochkochende Transplantationsskandal.

Auch hier hatten sich Politik und Selbstverwaltung im vergangenen Herbst gegenseitig versucht, den Schwarzen Peter in die Schuhe zu schieben. Während BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery beklagte, Justiz und Behörden hätten zu spät oder gar nicht reagiert, warf die Politik Kammern und Verbänden Versagen bei der Selbstkontrolle vor. Prompt wurden bis heute unüberhörbare Forderungen nach mehr staatlicher Kontrolle laut.

Montgomery waren die mangelnden Möglichkeiten der Selbstverwaltung schließlich ein Dorn im Auge, weswegen er mitten in der Hochphase des Skandals mehr "polizeiliche Kompetenzen" forderte.

In einem Interview mit dem "Deutschen Ärzteblatt" legte er später nach: "Wir würden auch gerne Approbationen erteilen", sagte er und meinte damit sicherlich auch das Recht, sie notfalls berufsrechtlich wieder entziehen zu können.

Für die Bundesärztekammer, die bislang den Status einer Arbeitsgemeinschaft aller Ärztekammern hat, wünschte Montgomery sich einen "Körperschaftsstatus, ähnlich wie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung".

Nach den jetzigen Vorstößen von Graalmann und Spahn erneuerte Montgomery seine Forderung: "Wir wünschen uns sogar eine Verschärfung des Ermittlungs- und Sanktionsinstrumentariums", sagte er in Berlin.

Die Ärzteschaft benötige mehr Ermittlungskompetenzen, um selbst gegen schwarze Schafe vorgehen. Dazu will der BÄK-Chef auch "relevante Dokumente und Beweise sicherstellen" dürfen.

Auch müsse man über die Aberkennung von Kassenzulassungen nachdenken, wenn Ärzte der Korruption überführt werden. Montgomery: "Das hätte im Zweifel mehr Wirkung, als Änderungen im Strafrecht."

Womöglich wäre das Schwert des Berufsrechts dann etwas schärfer. Was aber die Politik von diesem Vorschlag hält, ließ auch CDU-Politiker Jens Spahn am Mittwoch offen. (nös)

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