BGH: Bestechlichkeits-Paragraf gilt bei Ärzten nicht

Dürfen Ärzte Geschenke annehmen? Aus strafrechtlicher Sicht ja, sagen jetzt Richter des Bundesgerichtshofs in einem Grundsatzbeschluss. Sie verwiesen auf das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten.

Martin WortmannVon Martin Wortmann Veröffentlicht:
Das Urteil des Bundesgerichtshofs hat viele überrascht.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs hat viele überrascht.

© Zentrixx/imago

KARLSRUHE. Dürfen Ärzte Geschenke annehmen? Einzelne haben es getan und haben so Antworten des Berufsrechts wie auch des Vertragsarztrechts angestoßen: Nein, dürfen sie nicht.

Strafrechtlich sieht die Sache kniffliger aus, und so haben die Juristen Schlachten geschlagen. Die einen wähnten schon die halbe Ärzteschaft im Gefängnis, die anderen Patienten und Kassen gleichermaßen betrogen.

Ein Jahr lang haben die Strafsenate des Bundesgerichtshofs (BGH) die Frage beraten und nun eine Antwort formuliert, die viele überrascht: Ja, sie dürfen doch - strafrechtlich jedenfalls.

Und, wie auch der BGH selbst betont, nur nach bislang geltendem Recht. So spielen die Karlsruher Richter den Ball geschickt nach Berlin weiter.

Der Fall, den der Bundesgerichtshof zu prüfen hatte, ist drastisch und plastisch - aber, was leicht übersehen wird, lange her: Spätestens ab 1997 hatte ein Arzneimittelhersteller ein Prämiensystem eingeführt, um Ärzte für die Verordnung der eigenen Tabletten zu belohnen.

Unternehmensintern nannte sich dies "Verordnungsmanagement". Dahinter steckte schlicht eine Provision in Höhe von fünf Prozent des Herstellerabgabepreises an verordnende Ärzte.

Einer von ihnen erhielt 16 als Honorar für fiktive wissenschaftliche Vorträge deklarierte Schecks über rund 18.000 Euro. Bestechung?

Pharmareferentin akzeptierte erstes Urteil nicht

Im Wortlaut

Der BGH begründet seinen Beschluss mit dem besonderen Verhältnis zwischen Arzt und Patient: "In diesem Verhältnis steht der Gesichtspunkt der individuell geprägten, auf Vertrauen sowie freier Auswahl und Gestaltung beruhenden persönlichen Beziehung in einem solchen Maß im Vordergrund, dass weder aus der subjektiven Sicht der Beteiligten noch nach objektiven Gesichtspunkten (…) die vertragsärztliche Tätigkeit den Charakter einer hoheitlich gesteuerten Verwaltungsausübung gewinnt."

Das Strafgesetzbuch kennt den Vorwurf der Bestechung bislang nur für zwei Personengruppen: "Amtsträger" der öffentlichen Verwaltung sowie "Beauftragte eines geschäftlichen Betriebs".

Dabei sind mit geschäftlichen Betrieben nicht etwa Unternehmen gemeint, sondern gerade nicht gewinnorientierte gemeinnützige und soziale Einrichtungen - zum Beispiel die Krankenkassen, wie der BGH in seinem Beschluss klarstellt.

Im konkreten Streitfall hatte das Landgericht Hamburg den Arzt als "Beauftragten" der Krankenkasse gesehen und daher ihn wegen Bestechlichkeit und die Pharmareferentin wegen Bestechung zu Geldstrafen verurteilt.

Während der Arzt die Strafe akzeptierte, zog die Pharmareferentin vor den BGH. Dort schloss sich der Generalbundesanwalt der Position der Hamburger Richter an.

Die obersten Strafrichter in Karlsruhe folgten dem Landgericht nicht. Formal muss zwar der Fünfte BGH-Strafsenat noch abschließend über die Revision der Pharmareferentin entscheiden. Doch der aus beiden BGH-Strafsenaten gebildete "Große Senat für Strafsachen" hat nun hierfür die Linie vorgegeben.

Danach sind Vertragsärzte weder "Amtsträger" noch "Beauftragte" der Kassen. Auf insgesamt 22 Seiten prüfen die Karlsruher Richter die Gruppe der "Amtsträger" und die der "Beauftragten" getrennt.

Doch letztlich fußt das Ergebnis bei beiden Gruppen auf der Freiberuflichkeit der Ärzte und mehr noch auf dem besonderen Verhältnis zwischen Arzt und Patient.

Das System der vertragsärztlichen Versorgung sei "so ausgestaltet, dass der einzelne Vertragsarzt keine Aufgabe öffentlicher Verwaltung wahrnimmt", heißt es in den Entscheidungsgründen. Er sei weder "verlängerter Arm" noch ein "quasi ausführendes Organ hoheitlicher Gewalt".

Es seien auch nicht die Kassen, die einen Arzt als "Beauftragten" auswählen und für bestimmte Aufgaben verpflichten. Vielmehr müssten die Krankenkassen akzeptieren, welchen Arzt sich ein Patient wählt.

"Dieser wird vom Versicherten als ‚sein‘ Arzt wahrgenommen, den er beauftragt hat und dem er sein Vertrauen schenkt." Auch objektiv gesehen werde der Arzt "in erster Linie in dessen Interesse tätig".

Richter: Bindung an den Patienten steht im Vordergrund

Dass die ärztlichen Verordnungen in der Summe erhebliche Auswirkungen auf die Kassen haben, ändere daran ebenso wenig wie die gesetzliche Pflicht der Ärzte zu wirtschaftlichem Verhalten.

Trotzdem stehe auch bei der Verordnung von Arznei- und Hilfsmitteln "die Bindung an den Patienten im Vordergrund".

Nach alledem sei den Gerichten nach derzeit geltendem Recht die Anwendung der Bestechungsparagrafen auf Ärzte "versagt", so das Ergebnis des BGH. In einer Art Schlusswort äußern die Karlsruher Richter allerdings deutliches Verständnis für das Ansinnen von SPD, Grünen und Krankenkassen, das bisherige Strafrecht zu ändern.

"Der Große Senat für Strafsachen verkennt nicht die grundsätzliche Berechtigung des Anliegens, Missständen, die - allem Anschein nach - gravierende finanzielle Belastungen des Gesundheitssystems zur Folge haben, mit Mitteln des Strafrechts effektiv entgegenzutreten", heißt es in dem Beschluss.

Entsprechende "Strafwürdigkeitserwägungen" seien allerdings "allein dem Gesetzgeber vorbehalten".

Az.: GSSt 2/11

Lesen Sie dazu auch: Der Standpunkt: Der große Schatz des Vertrauens Ärzte sind keine Kassen-Handlanger

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