Mögliche Nachahmereffekte

Beamte und GKV – Hamburgs Reform prägt

Seit August haben Beamte in Hamburg nicht nur formell die freie Wahl der Krankenversicherung. Sie können einen hälftigen Zuschuss zu ihren GKV-Beiträgen erhalten. Das Modell zieht mittlerweile in anderen Bundesländern Kreise.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Eine Wahl, die bisher meist keine ist: In Hamburg können GKV-versicherte Beamte einen Zuschuss beantragen.

Eine Wahl, die bisher meist keine ist: In Hamburg können GKV-versicherte Beamte einen Zuschuss beantragen.

© Christian Ohde / imageBROKER

HAMBURG/BERLIN. In die ruhigen Ferientage im August 2017 platzte eine Nachricht, die Gesundheitspolitiker elektrisierte. Der Hamburger Senat kündigte ein "Gesetz über die Einführung der pauschalen Beihilfe zur Flexibilisierung der Krankheitsvorsorge" an.

Die Langeweile des Titels konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) mit ihrem Vorhaben ein Coup gelungen ist. Die seit Jahren in der SPD fruchtlos ausgetragene Debatte über die Bürgerversicherung bekommt Rückenwind – ohne, dass dieser Begriff auch nur einmal gefallen ist.

Seit August zahlt das Land Hamburg Neu-Beamten oder Beamten, die bereits GKV-versichert sind, eine "pauschale Beihilfe". Diese wird ausdrücklich als eine "neue Form der Beihilfe" deklariert. Dabei erstattet das Land den Beamten, die ihr Wahlrecht ausüben, 50 Prozent der nachgewiesenen Kosten für eine Krankenvollversicherung, und zwar inklusive der Kosten für den kassenindividuellen Zusatzbetrag in der GKV.

Wettbewerbsneutrales Modell

Der Hamburger Senat betont die strikte Wettbewerbsneutralität des Modells. Ob für den Einzelnen die neue pauschale Beihilfe finanziell vorteilhaft ist, sei "Ergebnis einer eigenständigen freiwilligen Entscheidung". Allerdings zieht der Senat eine harte ordnungspolitische Linie ein: Ein Hopping zwischen neuer und alter Beihilfe ist verboten, die Entscheidung eines Beamten für ein Beihilfesystem gilt unwiderruflich.

Prüfer-Storcks verknüpfte in den folgenden Monaten ihr Vorhaben erfolgreich mit einem Reformvokabular: Modernisierung des Krankenversicherungssystems, mehr Wettbewerb, Schließen einer Gerechtigkeitslücke.

So gibt es beispielsweise allein in Hamburg rund 2400 GKV-versicherte Beamte, die bisher komplett für ihre Krankenversicherungskosten aufkommen mussten. Es gebe reges Interesse an der seit 1. August geltenden Zuschuss-Regelung, erklärte ein Sprecher der Gesundheitssenatorin – für genaue Zahlen sei es noch zu früh.

De facto kappt das Hamburger Modell eine Lebensader der privaten Krankenversicherung. Entsprechend aufgeregt hat die Branche die Gesetzgebung begleitet. "Passt wie Fisch auf Brötchen", heißt es neuerdings in einer PKV-Kampagne, die die enge Verbindung von Beamten und Assekuranz betont. 94 Prozent der Staatsdiener sind bisher privat krankenversichert.

Da nur Neu-Beamte und schon bisher GKV-versicherte Beamte einen Zuschuss zur GKV beantragen können, wird es kurzfristig zu keinen großen Marktverschiebungen kommen.

Oppositionelle CDU stimmt zu

Die viel größere Gefahr des Hamburger Modells geht aus PKV-Sicht vom Nachahmereffekt in anderen Ländern aus. Und hier wagen sich einzelne CDU-Landesverbände auf programmatisches Neuland-Beispiele:

  • Brandenburg: SPD, Linke und Grüne machen Nägel mit Köpfen: Anfang 2020 soll die pauschale Beihilfe für Beamte starten. Die Landesregierung wurde in einer Entschließung aufgefordert, bis Januar 2019 einen Gesetzentwurf vorzulegen. "Man kann das Hamburger Modell nicht einfach kopieren", warnte der Linken-Abgeordnete Hans-Jürgen Scharfenberg. Groß war die Überraschung bei der Debatte im Landtag, als die oppositionelle CDU den Prüfauftrag an die Landesregierung begrüßte. Björn Lakenmacher, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, nannte die Pauschale für Beamte eine "gute Alternative" und führte zur Begründung das Argument der Gerechtigkeit an.
  • Bremen: Die Bürgerschaft beschloss im Juni, "die Ungleichbehandlung von Beamten bei der Krankenversicherung zu beenden". "Vorbild" für die Reform könne das Hamburger Modell sein. Rund 1600 Beamte im kleinsten Bundesland zahlen bislang ihren GKV-Beitrag selbst. Der Senat hat die Mehrkosten dieses Modells für Bremer Verhältnisse kalkuliert und kommt binnen einer Dekade – je nach gewähltem Szenario – auf 47 bis 64 Millionen Euro Mehrausgaben.
  • Thüringen: Als Motor einer pauschalen Beihilfe gilt Finanzministerin Heike Taubert (SPD). Sie wolle "zügig" und noch in dieser Legislaturperiode zu einem Landesgesetz kommen. Eine solche Regelung werde kurzfristig zu steigenden Kosten führen. Sie kalkuliere "grob mit einer Zahl im einstelligen Millionenbereich", sagte Taubert der "Thüringer Allgemeine". Hingegen würden bei älteren Beamten und bei Ruheständlern die Kosten bei gesetzlich krankenversicherten Beamten "spürbar geringer ausfallen", sagte sie.
  • Nordrhein-Westfalen: Programmatisch unangefochten zeigt sich die CDU-FDP-Koalition. Man lehne das Hamburger Modell ab: zusätzliche Kosten und mehr Bürokratie, wurden als Hauptgründe genannt. Trotz weniger Beihilfeanträge würde sich der Verwaltungsaufwand erhöhen, weil für Pflegeaufwendungen weiterhin Beihilfen gezahlt werden müssten. Man stehe zum "Berufsbeamtentum mitsamt seiner hergebrachten Grundsätze", heißt es auf Nachfrage der SPD.

Im Bundestag hat das Thema in der großen Koalition angesichts der eingefrorenen Reformdebatte über GKV und PKV offiziell keinen Platz. Ein Antrag, den das Land Berlin im März 2017 im Bundesrat eingebracht hatte, scheiterte. Unter der Überschrift "erste Schritte in Richtung einer Bürgerversicherung" wurde für Beamte ein "bezahlbarer Zugang zur GKV gefordert.

Die Linken im Bundestag beantragten im April, die Bundesbeihilfeverordnung im Sinne des Hamburger Modells zu reformieren – abgelehnt. Doch in den Ländern ist die Krankenversicherung der Beamten längst zum Eisbrecher für eine neue Reformdebatte geworden.

Wie die pauschale Beihilfe funktioniert

  • Alternativ zur bisherigen "individuellen" Beihilfe wird Beamten in Hamburg auf Antrag eine "pauschale Beihilfe" gewährt.
  • Die Höhe dieser Pauschale beläuft sich auf die Hälfte der anfallenden Kosten einer Krankenvollversicherung – unabhängig davon, ob der Beamte in der PKV oder in der GKV ist. In der PKV wird maximal die Hälfte des Beitrags im Basistarif gezahlt.
  • Ausgezahlt wird die Pauschale in allen Konstellationen monatlich zusammen mit den Bezügen, sie ist steuerfrei.
  • Die Wahl der pauschalen Beihilfe ist unwiderruflich, ein Hin- und Herwechseln zwischen beiden Formen der Beihilfe ist nicht möglich. Leistungen, die über den GKV-Katalog hinausgehen, können nicht mehr bei der Beihilfestelle geltend gemacht werden.
  • Keine Beiträge werden bei der pauschalen Beihilfe zur gesetzlichen oder privaten Pflegeversicherung erstattet. Hier hat der Beamte wie bisher im Fall der Pflegebedürftigkeit einen individuellen Beihilfeanspruch.
  • Wechselt der Beamte das Bundesland, gilt das dortige Beihilferecht.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Beamtenmodell: So geht Polit-Marketing

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