Bangladesch

Geflüchtete Rohingya: Angst vor Epidemien in Lagern

Nach ihrer dramatischen Flucht aus Myanmar suchen über eine halbe Million Rohingya Schutz in Bangladesch. Die Lage in den eilig aufgeschlagenen Lagern ist desolat. Das DRK versucht, zusammen mit anderen Organisationen so schnell wie möglich die nötigste Hilfe zu leisten.

Von Christina Bauer Veröffentlicht:
Nur Ayesha (23) ist seit zwei Tagen auf der Flucht. Sie gehört zur Minderheit der Rohingya.

Nur Ayesha (23) ist seit zwei Tagen auf der Flucht. Sie gehört zur Minderheit der Rohingya.

© Masfiqur Sohan/NurPhoto/dpa

COX'S BAZAR. Bangladeschs Südosten ist binnen Wochen zum Zufluchtsort für Rohingya geworden. Über eine halbe Million Angehörige der muslimischen Minderheit Myanmars sind vor gewaltsamer Verfolgung im westlichen Bundesstaat Rakhine geflohen. In Bangladeschs Region Cox's Bazar sind die bestehenden Flüchtlingslager völlig überfüllt. Das berichtet Andreas Kasseck, DRK-Landeskoordinator für Asien, der "Ärzte Zeitung".

Kasseck ist seit Anfang Oktober wieder in Berlin, nachdem er zwei Wochen in Bangladesch die Lage aus nächster Nähe erlebt hat. Seit einigen Wochen schießen dort neue Lager aus dem Boden, sagt er, etwa ein Lager namens "Rubber Garden" mit 25.000 Bewohnern, oder "Hakimpara" mit 50.000 Plätzen. Es herrschten "katastrophale Bedingungen". Sechs- bis siebenköpfige Familien drängten sich in Bambushütten. Schwüle 30 Grad, Hunger und Lärm setzten ihnen zu.

Wegen des schlimmsten Monsuns seit 30 Jahren benötigten auch viele Bangladeschis Hilfe. Der Boden sei verschlammt, überlaufende Latrinen verschmutzten Trinkwasserquellen. Über allem hinge "lähmende Verzweiflung". Sauberes Wasser und funktionierende Toiletten hätten nun höchste Priorität.

Große Angst vor Epidemien

Rotkreuz- und Rothalbmond-Helfer koordinierten sich mit Behörden, UN-Institutionen und anderen Organisationen. Aber schon die Sicherung der Grundstandards brauche Zeit. So transportierten im neuen Lager "Unchiprang" mit 28.000 Menschen wegen des fehlenden Grundwasserzugangs LKW das Trinkwasser. Alle Beteiligten fürchten Epidemien, die WHO warnt vor Cholera. "Alle arbeiten mit Hochdruck daran, das zu verhindern", betont Kasseck. Durchfall und Masern seien schon vorgekommen, bisher aber nur vereinzelt. Helfer verteilten außer Nahrung auch Hygienekits mit Wasserkanistern und Seife. Bis Mitte September seien knapp 64.000 Kinder gegen Masern und Röteln geimpft worden, über 33.750 gegen Polio.

Kliniken sind völlig überlastet

Die Gesundheitsversorgung sei komplett überlastet, die Kliniken in Cox's Bazar behandelten weit mehr Patienten als vorgesehen. Rotkreuz- und Rothalbmond-Helfer betrieben ein Feldkrankenhaus, ein weiteres mit 60 Betten werde aktuell gebaut. Das DRK koordiniere mobile Gesundheitsteams. "Besonders Ältere oder Schwangere haben Schwierigkeiten, Gesundheitseinrichtungen zu erreichen", sagt Kasseck. Daher gingen die Teams aus Ärzten, Krankenschwestern und Hebammen in die Lager und fragten sich auch zu abgelegenen Plätzen durch. Stabilere Unterkünfte müssten her, ergänzt Kasseck, ab Dezember drohten Zyklone. "Bambushütten und Planen können einem Zyklon nicht standhalten."

Auslöser der Eskalation in Rakhine war ein Angriff militanter Rebellen der "Arakan Rohingya Salvation Army" (ARSA) auf eine Militär- und mehrere Polizeistationen, bei dem Ende August Sicherheitskräfte starben. Seitdem attackieren staatliche Sicherheitskräfte die Rohingya. Es gab Berichte von Militäreinsätzen, niedergebrannten Dörfern und Massenvergewaltigungen. Die UN schätzten die Zahl getöteter Rohingya auf über 1000 und sprechen angesichts der Grausamkeit gegen unbewaffnete Zivilisten von "ethnischer Säuberung". Myanmars Regierung ließ zeitweise weder UN-Beobachter noch Medien ins Land. Als nach massiver internationaler Kritik Ende September doch UN-Vertreter ins Land konnten, fanden sie völlig desolate Zustände vor.

Die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" (MSF) berichtet, dass sie bereits ab Mitte August ebenfalls von dem Verbot betroffen war. Mindestens zwei ihrer Kliniken in Rakhine seien inzwischen zerstört. Auch bei MSF beobachtet man die hygienischen Zustände mit großer Sorge. In der medizinischen Einrichtung von "Ärzte ohne Grenzen" im Flüchtlingslager "Kutupalong" seien allein zwischen dem 6. und 17. September 487 Patienten mit Durchfallerkrankungen behandelt worden, heißt es in einer Mitteilung. "Jeden Tag kommen Erwachsene bei uns an, die kurz vor dem Tod durch Dehydrierung stehen", sagt Kate White, medizinische Koordinatorin von MSF. "Bei Erwachsenen ist das eigentlich sehr selten. Das ist ein absolut alarmierendes Zeichen."

Die Buddhisten Myanmars unterdrücken die muslimische Minderheit der Rohingya seit Langem. Der jahrhundertealte Konflikt wurde nie gelöst. Immer wieder kam es zu Gewalt und Flucht, vor allem 1942 nach dem Abzug der britischen Kolonialherrscher, 1978, Anfang der 1990er Jahre, 2012 und Ende 2016. Seit einer Gesetzesänderung 1982 werden Angehörige der Minderheitengruppe nicht mehr als Staatsbürger anerkannt.

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