Pflege: "Die Note jedes Heims wird veröffentlicht"

Seit über einem Monat überprüfen die Krankenkassen die Qualität von Pflegeheimen. Die Kriterien sollen transparent und nachvollziehbar sein.

Von Rebecca Beerheide Veröffentlicht:
Pflegefachkraft Franziska Schneider spricht mit der Bewohnerin eines Neu-Isenburger Pflegeheimes.

Pflegefachkraft Franziska Schneider spricht mit der Bewohnerin eines Neu-Isenburger Pflegeheimes.

© Foto: Reitz

NEU-ISENBURG. "Bekommen Sie genügend Zwischenmahlzeiten?" fragt Franziska Schneider, Pflegefachkraft beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) in Hessen. Sie ist eine der Prüferinnen, die seit 1. Juli für den MDK die Pflegeheime nach der neuen Notensystematik unter die Lupe nimmt. "Ja, das Essen ist reichlich. Beim Abendessen muss ich oft etwas zurück gehen lassen". Diese - eigentlich positive - Aussage einer Heimbewohnerin in Neu-Isenburg führt zu einer eher negativen Bewertung in der Schulnotensystematik.

"Bei der Bewohnerin sind wir scheinbar nicht auf die individuellen Bedürfnisse eingegangen", sagt Frank Kadereit-Hiesserich, Geschäftsführer von "Mission Leben - Im Alter GmbH", der Träger des Pflegeheimes "Haus am Erlenbach" in Neu-Isenburg. Dorthin hatte der GKV-Spitzenverband Journalisten geladen, um mit einer Musterprüfung die Bewertungskriterien zu erklären.

CSU-Ministerin nennt Benotung Volksverdummung

Seit dem 1. Juli prüft der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) die bundesweit 11 029 Heime und 11 500 Pflegedienste und bewertet sie mit Schulnoten. Dieses System hat im Vorfeld bereits für viel Unmut gesorgt (wir berichteten). Die Kriterien sind "nicht der reine Alkohol", so formulierte es Klaus-Dieter Voß, Vorstand der GKV-Spitzenverbandes. Die immense Kritik kann er aber nicht nachvollziehen. "In den vier Bereichen, die in einem Heim geprüft werden, liegt der Schwerpunkt auf der Pflege", sagt Voß. Von den 49 Einzelbewertungen beschäftigen sich 35 mit der Pflege. Auch die Kritik der bayerischen Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU), die Pflegenoten seien intransparent und "reine Volksverdummung", wiesen Voß und Peter Pick, Geschäftsführer des Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes (MDS), zurück. "Jede einzelne Note wird veröffentlicht und jedes Ergebnis ist überprüfbar", so Pick. Voß ergänzt: "Schlechte Ergebnisse in der Pflege können nicht ausgeglichen werden."

Auch soll eine wissenschaftliche Begleitung des Schulnotensystems Fehler oder methodische Probleme beobachten. Bei einer unangekündigten Heimprüfung erfasst ein Mitarbeiter des MDK zunächst strukturelle Daten des Heimes und wählt eine Stichprobe unter den Bewohnern aus. Pro Haus werden zehn Prozent der Patienten befragt, mindestens fünf, maximal 15, auch die unterschiedlichen Pflegestufen müssen in der Stichprobe enthalten sein. Der MDK rechnet damit, dass bei einer großen Fallzahl eine Heimüberprüfung bis zu zwei Tage dauern kann.

Bewohner werden eine dreiviertel Stunde befragt

Danach befragt eine Pflegefachkraft wie Franziska Schneider die Bewohner: Wie schmeckt ihnen das Essen, wer hilft ihnen bei der Körperpflege, wie sind die Angebote im Haus und nehmen sie daran teil? Über 45 Minuten sind für das Gespräch eingeplant. Ein Teil der Antworten geht in die Bewohnerbefragung ein, die zwar keine Auswirkungen auf die Endnote haben, aber mit ihr veröffentlicht werden.

Damit sollen subjektive von fachlichen Bewertungen getrennt werden. Schneider untersucht nach dem Gespräch die Heimbewohner auf ihren pflegerischen Zustand, besonders soll auf einen Dekubitus geachtet werden. Wenn es im Vorfeld der Heimüberprüfung bereits Probleme gab oder Probleme gemeldet wurden, wird bei dieser Untersuchung ein Arzt hinzugezogen.

Nach dem Besuch im Zimmer des Pflegepatienten kontrolliert Schneider die Pflegedokumentation der Patienten aus der Stichprobe. Sind die Ziele der Pflege klar und individuell dokumentiert? Ist die Sturzprophylaxe ausreichend? Werden auch biografische Daten, wie das Lieblingsessen festgehalten? Gemeinsam mit einer Pflegerin aus dem Heim geht sie die Daten am Computer durch. Danach schaut sich Schneider den Medikamentenschrank an.

Für eine gute Bewertung müssen die Medikamente für jeden Heimbewohner in einem eigenen Fach im Schrank und die ärztlichen Anordnungen in einem separaten Ordner dokumentiert werden. Letzter Punkt der Heim-Prüfung ist die Betreuung von Demenzkranken und das allgemeine Freizeitprogramm, welches das Heim anbietet. Während der Musterprüfung in Neu-Isenburg beobachtet Franziska Schneider das tägliche Erinnerungstraining. Dabei zeigt eine Pflegekraft den fünf Frauen Kohlebügeleisen und Kartoffelstampfer - damit soll die Erinnerung an frühere Zeiten angeregt werden.

Ab 2011 wird jedes Jahr geprüft

Erste Ergebnisse aus dem Pflegeheimtest sollen Ende August von den Landesverbänden der Pflegekassen veröffentlicht werden. Der MDK rechnet damit, dass bis Ende 2010 alle Pflegeheime überprüft sind. Eine Prüfung kostet etwa 4500 Euro, inklusive Vor- und Nachbereitung sind bis zu fünf Mitarbeiter damit beschäftigt. Ab 2011 verlangt der Gesetzgeber eine jährliche Prüfung aller Heime. Dafür hat der MDK seine Mitarbeiterzahl verdoppelt.

Wenn sich das Prüfsystem bewährt, kann sich Klaus-Dieter Voß vom GKV-Spitzenverband vorstellen, dieses Instrument der Qualitätsprüfung auch auf ambulante Pflegedienste, Kliniken und Arztpraxen anzuwenden.

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