Vorschlag des Pflegebevollmächtigten

Mit Pflege-Ko-Pilot Gewalt vermeiden

Etwa 1,5 Millionen Menschen werden zu Hause ohne Hilfe von Profis gepflegt. Überforderung, Vernachlässigung und nicht selten auch Gewalt sind die Folgen. Jetzt wird über Hilfe für die Helfer nachgedacht.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Wundversorgung in den eigenen vier Wänden. Pflege läuft nicht immer konfliktfrei ab.

Wundversorgung in den eigenen vier Wänden. Pflege läuft nicht immer konfliktfrei ab.

© Hans-Jürgen Wiedl / dpa

BERLIN. Mehr als sieben von zehn Pflegebedürftigen werden in den eigenen vier Wänden betreut. Millionenfach geschieht dies hinter verschlossenen Türen.

Nicht selten verbringen Pflegebedürftige und Pflegepersonen zehn Jahre und mehr gemeinsam in dieser Situation. Das birgt Aggressionspotenzial.

Vor allem die Beziehungsgeschichte der Partner oder Familienangehörigen biete Zündstoff für Gewalt in der Pflege, sagte Gabriele Tammen-Parr von der Beratungs-und Beschwerdestelle bei Konflikt und Gewalt in der Pflege älterer Menschen bei einer Veranstaltung des Pflegebevollmächtigten am Mittwoch in Berlin.

Gewalt in der häuslichen Pflege gilt als Tabuthema. Hinreichend belastbare Daten dazu, in welchem Ausmaß dies stattfindet, gibt es ausweislich einer Interdisziplinären Untersuchung zu Rechtsschutzdefiziten und -potenzialen bei Versorgungsmängeln in der häuslichen Pflege alter Menschen (Vera) nicht.

Für den Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung Andreas Westerfellhaus ist aber klar, dass es sich nicht nur um Einzelfälle von Gewalt und Vernachlässigung handelt.

Westerfellhaus bringt "Pflege-Ko-Piloten" ins Spiel

So wie es für die Eltern von Neugeborenen Unterstützung von Hebammen gibt, solle es künftig „Pflege-Ko-Piloten“ für die die Pflegesituation zu Hause geben, hat Westerfellhaus nun vorgeschlagen.

Pflege-Ko-Piloten sollen Haushalte, in denen gepflegt wird, aufsuchen und die Bewohner von Beginn der Pflegesituation an „vertrauensvoll begleiten“.

Mit diesem präventiven Ansatz hofft Westerfellhaus, Kosten auch in der Krankenversicherung einzusparen. Tatsächlich haben Untersuchungen ergeben, dass Pflegepersonen psychisch und physisch deutlich kränker sind als nicht pflegende Menschen.

Um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, eine Betreuung unter Spar-Aspekten organisieren zu wollen, fordert Westerfellhaus für die Pflege-Ko-Piloten Unabhängigkeit von den Pflegekassen und den Medizinischen Diensten der Krankenkassen.

 „Ich würde mir wünschen, dass sich der Begriff Pflege-Ko-Pilot in den kommenden Jahren als Marke etabliert“, sagte Westerfellhaus bei der Vorstellung des Projekts.

Auch der ehemalige SPD-Politiker Franz Müntefering unterstützt als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen die Pläne. Professionelle Hilfe und Begleitung von häuslicher Pflege werde mit der zunehmenden Alterung der Bevölkerung immer wichtiger, sagte Müntefering.

Jeder zweite Pflegebedürftige wird durch Angehörige betreut

Rund die Hälfte der Pflegebedürftigen wird zu Hause von Angehörigen, Partnern oder Freunden versorgt (siehe nachfolgende Grafik).

Berechnungen für den Barmer Pflegereport 2018 zufolge dürfte die Zahl der betroffenen Pflegebedürftigen damit bereits jenseits der 1,5 Millionen-Marke liegen.

Unterstützung von ambulanten Pflegediensten nehmen diese Haushalte nicht in Anspruch. Sie erhalten Pflegegeld.

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Für die Pflegegrade 1 bis 3 beträgt die Spanne zwischen 125 und 545 Euro im Monat. Auf das Pflegegeld entfiel im Jahr 2017 der größte Ausgabenanstieg in der Pflegeversicherung.

Während für Sachleistungen in der häuslichen Pflege 0,7 Milliarden Euro mehr ausgegeben wurden als 2016, fielen für das Pflegegeld 3,2 Milliarden Euro mehr an.

Insgesamt landeten die Ausgaben alleine für die ambulante Pflege damit bei mehr als 20 Milliarden Euro, mehr als die Hälfte davon für die Pflege zu Hause ohne Unterstützung.

Für den Pflegewissenschaftler Professor Heinz Rothgang ist dies eine fragwürdige Situation. „Ist das richtig gewichtet?“, fragte er bei der Vorstellung des Barmer Pflegereports vor wenigen Tagen.

Milliarden Euro flössen in eine Pflege ohne Profis, die zudem noch reihenweise zu „Burn-out“ führe. Hunderttausende haben in einer Umfrage zu verstehen gegeben, dass sie am liebsten die Pflege ihrer Angehörigen aufgeben würden.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Wer will Ko-Pilot werden?

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