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Das Land braucht gute Ärzte, nicht gute Absolventen!

Die Kultusminister erhöhen die Abiturbestenquote für das Medizinstudium und machen den Zugang damit ungerechter, meint unser Bloggers Marcel Schwinger: Denn aus guten Absolventen werden nicht automatisch gute Ärzte.

Von Marcel Schwinger Veröffentlicht:
Bessere Mediziner durch höheren NC? Unser Blogger hält nicht viel davon.

Bessere Mediziner durch höheren NC? Unser Blogger hält nicht viel davon.

© Jan Woitas / dpa

Der Numerus Clausus ist zum Teil nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, urteilte das Bundesverfassungsgericht Ende 2017. Damit zielte es zwar vor allem auf den Teil der Studienplätze ab, die die Hochschulen direkt vergeben. Trotzdem war die Ansage insgesamt deutlich: Ihr dürft nicht nur die Abiturnote zum Kriterium für die Auswahl zum Medizinstudium machen.

Die Kultusministerkonferenz brütet ein Jahr lang darüber, was das bedeutet, und einigt sich auf Folgendes: Die Quote der Abiturbesten soll als Auswahlkriterium fortan nicht mehr nur für 20, sondern für 30 Prozent der Bewerber gelten. Der Numerus Clausus wird also noch wichtiger, als er es ohnehin schon war. Verkehrte Welt?

Ich frage mich, wie man derart an der Wirklichkeit vorbei denken kann. Denn die Kultusminister begründen ihre Entscheidung mit einem altbekannten Mantra: Die Abiturdurchschnittsnote gebe nun einmal am besten Aufschluss über allgemeine kognitive Fähigkeiten von Bewerbern und habe daher die beste Prognosekraft für den Studienerfolg.

Das stimmt sogar, wenn man unterstellt, dass es auf die besten Absolventen ankommt. Aber geht es wirklich darum? Hat die Gesellschaft tatsächlich nur Interesse an guten Absolventen – oder doch eher an guten Ärzten? Ich bin der festen Überzeugung, dass beides nicht zwangsläufig das Gleiche ist.

Es braucht den Sinn fürs Praktische

In einem Forum fand ich unlängst den verzweifelten Hilferuf einer Kommilitonin, 8. Semester Humanmedizin. Sie hinterfrage derzeit ihr ganzes Studium. Und zwar aus folgendem Grund: „Ich habe einfach gemerkt, dass ich total unfähig bin, wenn es um Dinge geht, die man direkt praktisch machen muss. Ich schmeiße Reagenzgläser im Labor um, bekomme keine Blutabnahme in der Famulatur richtig hin, weil ich so zittrig bin, geschweige denn eine Braunüle legen."

Und weiter: "Ich kann nicht richtig nähen und mache sonst auch immer alles falsch…“ Wegen ihrer Schwierigkeiten zweifele sie mittlerweile daran, ob sie später überhaupt im kurativen Bereich arbeiten könne. „Welche Fachrichtungen sind wenig kurativ, aber trotzdem noch einigermaßen mit Patientenkontakt?“ Das war ihre Frage an das Forum.

Ein quasi unlösbares Problem. Denn: Sich waschen, aber dabei nicht nass machen, das funktioniert weder im normalen Leben noch in der Medizin.

Der Fall zeigt, wie falsch es laufen kann. Sich mit Wissen vollpumpen, das reicht eben nicht, um später mal ein guter Arzt zu sein. Dazu braucht es mehr: praktische Fertigkeiten, aber auch Empathie, soziale Kompetenz, ein Blick für die Sorgen der Patienten. Das alles lässt sich lernen, dafür ist es im 8. Semester spät, aber nicht zu spät.

Zu viel Theorie!

Ich denke, das hier geschilderte Problem geht tiefer. Es wirft ein Schlaglicht auf die Schlagseite, die das Medizinstudium in Deutschland hat: Es ist ausgesprochen theorielastig, zumindest im ersten Abschnitt wenig medizinisch, dafür aber sehr naturwissenschaftlich geprägt. Und es orientiert auch im weiteren Studienverlauf mehr am blanken und weniger am anwendungsorientierten medizinischen Wissen.

Wenn ein Studiengang so aufgebaut ist, dann rückt er automatisch die viel beschworenen „allgemeinen kognitiven Fähigkeiten“ eher in den Vordergrund als praktische Vorerfahrungen oder sonstige berufliche Kompetenzen. Logisch: Wer auf ein Studium mit diesem Grundmuster setzt, wird auf die Abiturbesten setzen. Selbst wenn sie ein paar Jahre später nicht Blut abnehmen können. Ich meine: Die Kultusminister hätten es besser wissen können, nein: müssen.

Masterplan Medizinstudium will etwas anderes

Denn der Masterplan Medizinstudium 2020 wird die Struktur des Medizinstudiums grundlegend verändern, und das aus gutem Grund. Arztrelevante Kompetenzen sollen von Anfang an erworben werden. Auf gut Deutsch: die Vorklinik wird es in der bisherigen Form bald nicht mehr geben. Die Studierenden sollen deutlich mehr Patientenkontakt haben und die klinische Praxis früher erfahren.

Der wissenschaftlichen Arbeit und der klinischen Forschung wird ein größerer Stellenwert bereits im Studium eingeräumt. Das alles wird zu einer neuen Ausrichtung von Studien- wie auch Prüfungsinhalten führen. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen: Die Absolventen von morgen werden anders, ja sie werden besser vorbereitet sein als die heutigen. Und das ist auch gut so.

Kultusminister machen zweiten Schritt vor erstem

Aber wenn dem so ist, dann hätte die Reihenfolge eine andere sein müssen: zuerst über die Reform des Studiengangs entscheiden, danach über die Kriterien des Studienzugangs. Das hätte in der Natur der Sache gelegen. Denn nur wer weiß, welches Studium er zukünftig eigentlich anbietet, der kann guten Gewissens sagen, welches Bewerberprofil dafür optimal ist. Die Kultusministerkonferenz hat es genau anders herum gemacht. Und damit den zweiten Schritt vor dem ersten getan.

Wir wissen schon: Das tat die Politik, weil sie Getriebene ist. Die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts lautet, den Studienzugang bis Ende 2019 neu zu regeln. Die Zeit drängt. Aber klar ist schon jetzt: Da man sich erfolgreich davor gedrückt hat, mehr Medizinstudienplätze zu schaffen, bleibt angesichts von 5 Bewerbern pro Platz auch ein geändertes Zugangsverfahren vor allem eines: die Verwaltung des Mangels.

Umso wichtiger ist, dass es halbwegs fair und gerecht zugeht. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Wartezeiten von sieben Jahren sind weder fair noch gerecht. Ebenso nicht die Tatsache, dass der Numerus Clausus das überwiegende Entscheidungskriterium ist.

Keine Frage: Sehr gute Noten müssen ins Gewicht fallen. Aber sie müssen ergänzt werden. Wer ehrlich ist, wird zugeben, dass auch im Auswahlverfahren der Hochschulen weitere Kriterien – wie zum Beispiel Berufserfahrung – bisher nur wenig Niederschlag finden.

Es geht sehr formal zu: Bei den meisten Hochschulen gilt wiederum vor allem der Notenspiegel. Die Arbeit, Bewerbungsgespräche abzuhalten, machen sich nur wenige. Genau diese sollen künftig Pflicht werden, neben einem neu zu entwickelnden Medizinertest.

Jetzt gilt es, diese verbliebene Chance zu nutzen, um wenigstens die Hochschulquote ein Stück gerechter und besser zu machen. Damit wir nicht nur zu guten Absolventen, sondern zu guten Ärzten kommen.

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