Online-Netzwerk mit Nebenwirkung

Online-Netze sind längst Teil des Gesundheitswesens. Doch wieviel Online-Welt und -Netzwerk ist im Sinne der Patienten gut - und wann wird das World Wide Web zum Gift? Darüber stritten IT- und Gesundheits- Experten in Hannover.

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Experten- und Halbwissen sind im Internet beim Thema Gesundheit schwer zu unterscheiden.

Experten- und Halbwissen sind im Internet beim Thema Gesundheit schwer zu unterscheiden.

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HANNOVER (cben). Professor Klaus Kocks goss Wasser in den Wein. "Das Gift liegt in der Dosis", zitierte der Sozialwissenschafter aus Horbach Paracelsus.

Damit wollte Kocks auf der Veranstaltung "Die Macht der Netze - Wie Informationen die Gesundheitswirtschaft verändern" auf die Gefahren des Internets und die Elektronisierung von Informationen hinweisen.

Im Web sei alles gleich nah. Original und Fälschung von Daten und Fakten seien kaum zu unterscheiden und: "Das Netz vergisst nichts. Es kann überall hin."

Als Mittel, dem allgegenwärtigen Web zu entkommen, empfahl Kocks eine der vier Kardinaltugenden: "Maßhalten".

"Die Zukunft ist schon da"

Damit bildete er vor den rund 80 Teilnehmen der Tagung in Hannover den Konterpart zu den folgenden Vorträgen, etwa von Professor Michael Marschollek vom Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik der TU Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).

"Die Zukunft ist schon da", erklärte Marschollek im Hinblick der Beteiligung elektronischer Datenverarbeitung in der Gesundheitsversorgung.

Er sieht unter anderem im Internet die Chance eines "Pervasive Computing", also einer Durchdringung der medizinischen Versorgung durch Computeranwendungen - für ihn ein Gebot des demografischen Wandel.

Gemeint sind "Notfallerkennung und Alarm bei gefährlichen Ereignissen wie Stürzen, Infarkten oder Blutzuckerentgleisungen", so Marschollek, oder auch die Kontrolle chronischer Krankheiten oder die Unterstützung von alten Patienten im Alltag.

Die Akzeptanz bei den Patienten sei allgemein hoch, verwies Marschollek unter anderem auf eigene Studien. Allerdings sähen 30 Prozent der Patienten auch Risiken, zum Beispiel des Datenmissbrauchs, oder sie fürchteten, dass ihre Privatsphäre durch die Allgegenwart der Messinstrumente leide.

Kassen am Ruder

Siegfried Gänsler, Vorstandsvorsitzender der Schwenninger Krankenkasse, ging in seinem Vortrag noch weiter. Er erklärte, ein erfolgreiches Gesundheitssystem müsse die Patienten in Zukunft bewusst steuern.

Dabei seien es die Kassen, die am Ruder stehen. "Eine Krankenversicherung wird perspektivisch nur durch diese prozessorientierte Lotsenfunktion erfolgreich sein", sagte Gänsler.

Möglich werde solche Steuerung nur durch die elektronische Vernetzung der Player im Versorgungsgeschehen. Angesichts der bald sehr vielen Alten und ihrer Gebrechen seien die medizinischen Anforderungen nicht anders zu erfüllen.

Für Professor Axel Haverich, Herzchirurg an der MHH, dient die elektronische Vernetzung auch dazu, die Leistungen der eigenen Klinik bekannter zu machen. "Wir sind einzigartig" und "simply the best", zitierte Haverich aus der MHH-Strategie des Präsidiums.

Klar, dass solches Selbstbewusstsein nach außen drängt und sich über die elektronischen Netze verbreiten will. Bei der webbasierten Suche nach dem richtigen Spezialisten solle deshalb anstelle der Kleinstaaterei die Republik im Fordergrund stehen, so Haverich.

Ein guter Geist im Internet

Für den Niedergelassenen-Bereich sprach sich Mark Barjenbruch, Chef der KV Niedersachsen, für die Kombination von Kollektivnetzen, den KVen und Selektivnetzen, etwa den Genossenschaften aus. Tatsächlich stünden in Deutschland derzeit den 17 KVen rund 600 kleine Netze entgegen.

Das Kollektivnetz sei "Pfeiler und Fundament, das Exklusivnetz dient besonderen Zwecken", erklärte Barjenbruch die Vorstellung der KVN. Dabei funktioniere die KV für die regionalen Netze bei Selektivverträgen als Abrechnungsstelle, Qualitätssicherer und Beraterin.

Das Gift liege in der Dosis, hatte Professor Klaus Kocks eingangs gesagt. Einen anderen Weg, der Gesundheits-Desinformation und Wissens-Verwirrung im Netz zu begegnen, schlug Marketing-Experte Professor Theo Poiesz aus Holland vor: den Virtual-Guardian-Angel, eine Art guten Geist im Internet, den der Nutzer oder Patient mit seinen persönlichen Vorlieben füttern kann und der ihm dann Konsumempfehlungen gibt.

Eine Vision für die Gesundheits-Versorgung? In Holland habe man hier mit virtuellen Engeln gute Erfahrungen gemacht, sagte Poiesz.

Kock dürfte das wohl nicht zufrieden gestellt haben. Für ihn ist und bleibt das Web ein inhaltsloses Instrument, das Begegnung und Echtheit simuliert, wo weder Begegnung noch Echtheit sind und das am Schluss Süchtige hinterlässt. Es sei denn, der User-Patient hält Maß.

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