HINTERGRUND

Bei Diabetes besteht hohe Schlaganfallgefahr, und nach einer TIA wird es brenzlig

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
MR-Angiografie und Spezial-MRT bei Schlaganfall. Irreversibel geschädigtes Areal ist weiß im Diffusions-MRT (mitte links). Viel größer sind die potenziell gefährdeten Areale (blau im Perfusions-MRT). Eine Lyse hat diese Gebiete gerettet.

MR-Angiografie und Spezial-MRT bei Schlaganfall. Irreversibel geschädigtes Areal ist weiß im Diffusions-MRT (mitte links). Viel größer sind die potenziell gefährdeten Areale (blau im Perfusions-MRT). Eine Lyse hat diese Gebiete gerettet.

© Foto: Sartor

Mindestens 20 Prozent aller Schlaganfallpatienten in Deutschland sind zuckerkrank. Generell ist bei Diabetes das Risiko für eine Apoplexie zwei- bis vierfach erhöht. Kommen weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren hinzu wie Rauchen, Bewegungsmangel oder Fettstoffwechselstörungen, potenziert sich die Gefahr.

"So haben Diabetiker mit ausgeprägtem Bluthochdruck schon ein zehnfach erhöhtes Schlaganfallrisiko", sagt Professor Frank Erbguth vom Klinikum Nürnberg. Außer einer guten Blutzuckerkontrolle ist daher eine optimale Behandlung gegen Hypertonie und andere vaskuläre Risikofaktoren bei Diabetikern noch wichtiger als bei Nicht-Diabetikern. Und vor allem gilt es, bei der Vorbeugung keine Zeit zu verlieren, wie der Neurologe beim Diabetes Update in Düsseldorf berichtet hat.

Hohe Schlaganfallgefahr schon bei der Diabetes-Diagnose

Das Schlaganfallrisiko steigt nämlich nicht erst im Verlauf der Stoffwechselkrankheit an, sondern ist bereits bei der Diagnose Diabetes stark erhöht. Das wurde in einer kanadischen Studie belegt (Stroke 38, 2007, 1739). Analysiert wurden darin die Daten von 12 272 Diabetikern, denen erstmals ein orales Antidiabetikum verordnet worden war (wir berichteten). Binnen fünf Jahren mussten etwa 9 Prozent von ihnen wegen eines Schlaganfalls in eine Klinik. Die Schlaganfallrate der Diabetiker war dabei mit 642 pro 100 000 mehr als doppelt so hoch wie in der Normalbevölkerung (313 pro 100 000).

Die Häufigkeit der Ereignisse nahm erwartungsgemäß mit dem Alter zu. Bei einem Prozent der 30- bis 44-Jährigen, zehn Prozent der 60- bis 74-Jährigen und 19 Prozent der Zuckerkranken ab 75 Jahre wurde ein Schlaganfall dokumentiert. Je jünger die Patienten waren, desto ausgeprägter war ihr Schlaganfall-Risiko im Vergleich zur Normalbevölkerung. So war bei den über 75-jährigen Diabetikern das Risiko 1,8-fach höher als bei Menschen gleichen Alters in der Normalbevölkerung.

Prävention von Apoplexie duldet keinen Aufschub.

Die 45- bis 59-Jährigen hatten im Vergleich ein 3,6-mal höheres Risiko. Bei den 30 bis 44 Jahre alten Patienten war das Risiko im Vergleich sogar 5,6-fach erhöht. Bereits in den ersten fünf Jahren der Krankheit hatten die Patienten dabei ein Schlaganfallrisiko, das jeweils einem zehn Jahre älteren Menschen aus der Normalbevölkerung entspricht. "Wahrscheinlich kommt es bereits vor der Hyperglykämie im Rahmen der Insulinresistenz besonders zu zerebrovaskulären Gefäßschädigungen", sagte Erbguth dazu.

Eine frühe konsequente Prävention von Schlaganfall ist daher bei Diabetes äußerst wichtig. Das gilt auch für die Sekundärprävention, wie eine Studie bei Patienten mit transitorischen ischämischen Attacken ergeben hat. "Patienten berichten oft nur beiläufig über eine TIA, trotzdem besteht dringender Handlungsbedarf", sagte Erbguth. Nach seinen Angaben bekommen 10 bis 12 Prozent aller TIA-Patienten - und zwar auch Nicht-Diabetiker - im folgenden Vierteljahr einen Schlaganfall, wobei das Risiko in den ersten 48 Stunden am höchsten ist.

Eine konsequente Sekundärprävention mit Thrombozytenfunktionshemmern, Statinen und einer Blutdrucksenkung ist daher nach einer TIA anzuraten. Den großen Nutzen einer frühen konsequenten Prävention hat die EXPRESS*-Studie in Großbritannien gezeigt (Lancet 370, 2007, 1432). Für die prospektive Studie wurden 91 000 Patienten in 63 Hausarztpraxen erfasst und in den kommenden Jahren bei ihnen alle TIA und leichten Schlaganfälle dokumentiert.

In einer ersten Studienphase von knapp zweieinhalb Jahren schickten die Hausärzte Betroffene in eine Neurologie-Sprechstunde. Die Neurologen gaben den behandelnden Allgemeinmediziner dann per Fax Empfehlungen für die Sekundärprävention. In der Regel gehörten dazu: ASS, Statine, eine antihypertensive Behandlung mit Perindopril und Indapamid und - wenn nötig - weitere Antihypertensiva. Bei kardialen Embolien wurde eine orale Antikoagulation empfohlen und bei symptomatischen Karotis-Stenosen eine Karotisendarterektomie.

In der zweiten ähnlich langen Studien-Phase wurden die Patienten direkt nach TIA oder leichtem Schlaganfall in eine Schlaganfall-Sprechstunde oder Stroke Unit überwiesen. Alle Therapien wurden in dieser Phase schneller und häufiger eingeleitet, einschließlich der oralen Antikoagulation und der Karotisoperation.

Das Ergebnis: In der ersten Phase der Studie erlitten etwa 10 Prozent der Patienten binnen 90 Tagen einen Schlaganfall (32 von 310 Patienten). In der zweiten Phase waren es in den drei Monaten nach dem Ereignis nur noch 2 Prozent (6 von 281). Die Unterschiede im Therapieergebnis waren auch dann signifikant, wenn nur Patienten mit einer TIA oder nur Patienten mit leichtem Schlaganfall analysiert wurden.

Intensive Betreuung binnen drei Monaten nach TIA nötig

"Wichtig ist eine sofortige pathophysiologisch orientierte Diagnostik und Einleitung einer strukturierten Sekundärprävention", betonte Erbguth: "In der Akut- und Postakutphase wäre daher eine integrierte Versorgung der Patienten sinnvoll." Jenseits des dritten Monats sinkt das Risiko eines Schlaganfalls, sodass die Betreuung dann wie bisher mit reduzierter Kraft weitergeführt werden könne.

*Effect of urgent treatment of transient ischaemic attack and minor stroke on early recurrent stroke

FAZIT

Menschen mit Typ-2-Diabetes haben bereits bei der Diagnose ein hohes Schlaganfallrisiko. Die Gefahr wird durch kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Rauchen, Hypertonie und Hyperlipidämie potenziert. Außer einer guten Blutzuckerkontrolle ist daher eine optimale Behandlung gegen Hypertonie und andere vaskuläre Risikofaktoren bei Diabetikern noch wichtiger als bei Nicht-Diabetikern. Patienten nach Transitorischen Ischämischen Attacken sollten drei Monate intensiv betreut werden. (eis)

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