Belgischer Patient lag 23 Jahre lang im vermeintlichen Wachkoma

Eine Geschichte wie aus den schlimmsten Albträumen: Ein Patient soll nach einem Autounfall 23 Jahre lang völlig gelähmt, aber bei vollem Bewusstsein im vermeintlichem Wachkoma im Bett gelegen haben.

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Belgischer Patient lag 23 Jahre lang im vermeintlichen Wachkoma

© Foto: carmakomawww.fotolia.de

Von Angela Speth

Glaubt man den Berichten, dann war Rom Houben doppelt eingeschlossen: in einem komplett gelähmten Körper, bei vollem Bewusstsein, aber weit weg von den Mitmenschen, die nicht ahnten, dass er alles so genau mitbekam wie ein Gesunder - und das 23 Jahre lang. Dieses Kerker-Szenario, das einem Horrorfilm entstammen könnte, hat sich offenbar in einer Klinik in der belgischen Stadt Zolder abgespielt: Als 23-Jähriger hatte der Ingenieurstudent und Kampfsportler Houben 1983 einen schweren Autounfall. Seitdem galt er als Patient im Wachkoma, bei dem das Großhirn (fast) ganz ausgefallen war und nur noch Zwischenhirn, Hirnstamm und Rückenmark funktionierten. "Ich habe geschrien, aber es war nichts zu hören", zitiert ihn "Spiegel online". Machtlos sei er Zeuge geworden, wie Ärzte und Pfleger ihn anzusprechen versuchten, bis sie alle Hoffnungen aufgaben.

Erst eine neuerliche tomografische Untersuchung an der Universität Lüttich brachte offenbar kürzlich zutage, dass bei Houben ein Locked-in-Syndrom vorlag. Diese Patienten sind zwar bewegungsunfähig, haben aber ein intaktes Großhirn. "Nie vergesse ich den Tag, an dem sie mich entdeckten, meine zweite Geburt", habe Houben geschrieben. Geleitet hat die Untersuchung wohl der Neurologe Dr. Steven Laureys, der - Ironie des Schicksals - erst im Sommer eine Studie veröffentlichte, wonach bei Wachkoma-Patienten häufig Fehldiagnosen gestellt würden. Demnach sind bei 40 Prozent jener, die als "permanent vegetative state" eingestuft würden, noch Bewusstseinsreste vorhanden.

"Es ist unglaublich, dass so etwas passiert ist", so Professor Stefan Schwab von der Universität Erlangen zur "Ärzte Zeitung". Die Diagnose "Wachkoma" müsse bei Houben ohne Abklärung mit CT oder NMR gestellt worden sein, wie es sonst eigentlich üblich ist, sagte der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin, die zur Deutschen Gesellschaft für Neurologie gehört. Denn mit diesen bildgebenden Verfahren lasse sich das Ausmaß zerebraler Störungen sicher feststellen. Auch das EEG gebe normalerweise verlässliche Anhaltspunkte. Klinisch sei die Differenzialdiagnose zwischen Wachkoma und Locked-in-Syndrom durch die gerichteten Augenbewegungen möglich.

Wäre es denn denkbar, dass ein Patient im Locked-in-Zustand nicht einmal dazu imstande ist? Schwab verneint: "Die Fähigkeit zu Augenbewegungen gehört zur Definition dieses Syndroms dazu." In Betracht komme allenfalls, dass sich Houben anfangs in einem "minimally conscious state" befunden habe, einer Phase des Komas mit einfachsten bewussten Reaktionen, aus dem er dann im Verlauf von Monaten wieder erwacht sei, ohne dass es bemerkt wurde. "Da sind offenbar viele Dinge schiefgelaufen", stellt Schwab fest. Die Quintessenz könne nur sein, solche Patienten sehr genau von Neurologen untersuchen zu lassen.

Patienten im Wachkoma (Apallischem Syndrom) wirken bloß wach, haben aber aller Wahrscheinlichkeit nach kein Bewusstsein. Ein akzeptierter Begriff ist auch "permanent vegetative state", der sich darauf bezieht, dass das autonome Nervensystem die basalen Funktionen von Atmung, Kreislauf und Verdauung aufrechterhält. Aber die Patienten können weder ihr Verhalten noch die Entleerung von Blase oder Darm willkürlich steuern, auch der Schlaf-Wach-Rhythmus ist gestört, dagegen sind viele Reflexe erhalten geblieben, ebenso schablonenhafte Bewegungen von Gesicht und Mund. Häufigste Ursachen sind Schädel-Hirn-Traumen, Kreislaufstillstand, Schlaganfall, Meningitis, Hirntumoren, neurodegenerative Erkrankungen oder massive Unterzuckerung, etwa nach einem Suizidversuch mit Insulin.

Im Gegensatz dazu ist beim Locked-in-Syndrom das Bewusstsein erhalten, aber die Patienten sind vollständig gelähmt und daher unfähig, sich sprachlich oder durch Bewegungen von Kopf oder Gliedern mitzuteilen. Zugrunde liegen hauptsächlich Läsionen im Pons. Da die Hirnregionen, die vertikale Augenbewegungen steuern - im Gegensatz zu denen für horizontale Bewegungen - oberhalb des Pons liegen, ist Kommunikation durch Lidschlag, somit über Ja-Nein- oder Und-Oder-Fragen möglich, sonst über Brain-Computer-Interfaces. Wohl einer der bekanntesten Locked-in-Patienten, der französische Journalist Jean-Dominique Bauby, hatte sein inzwischen auch verfilmtes Buch über sein hermetisch abgeschlossenes Leben ("Schmetterling und Taucherglocke") per Lidschlag diktiert. Inzwischen, so wird gemeldet, könne auch Rom Houben mit einer Spezialtastatur Botschaften an seine Mitmenschen senden.

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