INTERVIEW

"Das IQWiG hat sich nicht mit Ruhm bekleckert"

Das IQWiG bestreitet den Nutzen einer Stammzelltransplantation bei akuten Leukämien. Es hat allerdings vorhandene wissenschaftliche Erfahrung aus der Bewertung ausgeschlossen, meint der Onkologe Professor Gerhard Ehninger im Gespräch mit Peter Leiner von der "Ärzte Zeitung".

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Ärzte Zeitung: Nach der massiven Kritik am IQWiG-Vorbericht zu Leukämien: Was ist die wichtigste Veränderung im IQWiG-Abschlussbericht, über die Sie sich freuen können?

Professor Gerhard Ehninger: Leider besteht an keiner Stelle des Abschlussberichts Anlass zur Freude. Denn das IQWiG weicht von seinem Fazit des Vorberichts trotz aller vorhandenen Evidenzen nicht ab. Entgegen dieser Evidenzen sagt die IQWiG-Evidenz: Der Nutzen der Stammzelltransplantation ist nicht belegt. Mit diesem Widerspruch muss sich der Gemeinsame Bundesausschuss G-BA nun auseinandersetzen.

Ärzte Zeitung: Was ist Ihre Hauptkritik an dem Abschlussbericht?

Ehninger: Unsere Hauptkritik am Abschlussbericht bezieht sich zum einen auf die verwendeten Methoden und zum anderen darauf, dass das IQWiG bei der Bewertung die Heterogenität der Akuten Leukämien außer Acht gelassen hat. Das Institut hat also nicht berücksichtigt, dass die Leukämien in sehr unterschiedlichen Formen und mit unterschiedlichen Risiken vorliegen. Das Fazit des Abschlussberichts ist bei den angewendeten Methoden auch nicht verwunderlich: Wer nur vergleichende Studien sucht und grundlegende Besonderheiten einer Erkrankung nicht versteht, kann nur zu diesem Ergebnis kommen.

Die vom IQWiG gewählte Methodik beruht nicht auf der kritischen Auseinandersetzung mit der Literatur und dem medizinischen Fachwissen, sondern auf dem Ausschluss der vorhandenen wissenschaftlichen Erfahrung aus der Bewertung aufgrund selbstgemachter Vorgaben. Eine Methodik, die den Betrachtungshorizont in einer solchen Art einengt und etwa den indirekten Vergleich ausschließt, muss mit allem Nachdruck auf die Praxistauglichkeit und Relevanz hinterfragt werden. Das IQWiG zeigt mit seiner Interpretation der Evidenz-basierten Medizin erneut, dass es nicht in der Lage ist, sich mit dem nationalen und internationalen Stand des Wissens und der Krankenversorgung auseinanderzusetzen.

Ärzte Zeitung: Ursprünglich war Ihnen ein zweiter Vorbericht vom IQWiG zugesagt worden, auch eine erneute Anhörung. Gab es diese Anhörung und wenn ja, wie verlief sie?

Ehninger: Das IQWiG hatte uns, wie Sie richtig sagen, eine zweite Anhörung und eine Überarbeitung angekündigt. Diese hat nie stattgefunden. In den Monaten nach der Anhörung hatte Professor Peter Sawicki bei jeder Gelegenheit betont, die Fachgesellschaft hätte die versprochenen Daten nicht eingereicht. Der Vorwurf ist nicht haltbar. Die Studiengruppen haben umfangreiches Material nachgeliefert, das vom IQWiG unsachgemäß zur Seite gewischt wurde.

Ärzte Zeitung: Was könnte der Grund sein, dass nun doch schon ohne einen zweiten Vorbericht der Abschlussbericht vorgelegt wurde?

Ehninger: Wir denken, das IQWiG hat sich in der ganzen Angelegenheit nicht mit Ruhm bekleckert. Ein zweiter Vorbericht wäre einer kompletten Niederlage gleichgekommen. Dies wollte das IQWiG verhindern. Außerdem drängt sich der Verdacht auf, dass man beim IQWiG die Sache schnell vom Tisch haben wollte: Der Bericht wurde am 30. März beim G-BA vorgelegt, seit dem 1. April gelten nach der Gesundheitsreform für die Nutzenbewertung neue Regeln. Internationale Standards müssen berücksichtigt und die Patienten stärker eingebunden werden. Dies hätte beim Bericht zur Stammzelltransplantation umfangreiche Überarbeitungen notwendig gemacht.

Ärzte Zeitung: Im Anhang des Abschlussberichts sind 40 Stellungnahmen zum Vorbericht dokumentiert. Hat das IQWiG nach der Kritik der Onkologen denn noch neue Stellungnahmen und geforderte Studiendaten berücksichtigt?

Ehninger: Die Stellungnahmen und die nachgereichten Daten werden im Abschlussbericht zwar stellenweise zitiert, deren Substanz aber unsachgemäß zur Seite gewischt. Ein Beispiel für den Umgang des IQWiG mit Experten zeigt sich in der Erfahrung von Professor Joachim Kienast von der Uni Münster. Als Studiengruppe zur Akuten Myeloischen Leukämie (AML) hat auch er seine Ergebnisse vorgelegt.

Ärzte Zeitung: Welche Erfahrungen hat Professor Kienast gemacht?

Ehninger: Zum einen wird auf Seite 366 des Abschlussberichts in der Zusammenfassung der Korrespondenz zu den Daten einer Studie bei Hochrisiko-AML - sie wird mit AMLCG bezeichnet - angemerkt, dass auf neuerliche Anfrage des IQWIG vom 11. 1. 2007 keine Rückmeldung erfolgt sei. Richtig ist, dass auf die zweite Anfrage vom 11. 1. 2007 zur weitergehenden Spezifizierung der Daten eine personalintensive Nacherhebung in mehreren Studienzentren erfolgt ist. Deren Ergebnisse wurden mit Datum vom 29. 3. 2007 schriftlich mitgeteilt. Der Eingang der Mitteilung im IQWiG am 2. 4. 2007 wurde schriftlich bestätigt.

Zum anderen wird in der Kommentierung der Ergebnisse vom Institut deren Wertigkeit in Frage gestellt. Es weist darauf hin, dass die Auswertung nicht nach der Spenderverfügbarkeit erfolgt sei, es sich also nicht um eine kontrollierte Studie gehandelt habe. Als eine solche Auswertung waren die Ergebnisse aber weder gedacht noch angekündigt.

Ärzte Zeitung: ... sondern?

Ehninger: In der Studie ging es um die Darstellung der praktisch infausten Prognose von Patienten mit einer Hochrisiko-AML ohne Transplantation. Das Überleben der Patienten mit Transplantation wurde dem der Patienten ohne Transplantation gegenübergestellt. Soweit es keine widersprechenden und methodisch überzeugenderen Daten gibt, gilt es für uns als evidenzbasiert und ethisch geboten, dass Patienten mit Hochrisiko-AML bei Verfügbarkeit eines Spenders die Stammzelltransplantation anzubieten ist. In diesen Fällen ist eine randomisierte Therapieprüfung nicht mehr zu rechtfertigen. In Kenntnis dieser Daten werden Patienten bei Verfügbarkeit eines Spenders kaum auf die Stammzelltransplantation verzichten.

Ärzte Zeitung: Und wie geht es jetzt weiter?

Ehninger: Der IGWiG-Abschlussbericht wurde dem G-BA übergeben, der nun über das weitere Vorgehen beraten und entscheiden muss. Wir würden uns wünschen, dass der Verbotsantrag des Verbands der Angestellten-Krankenkassen vdak wegen mangelnder Qualität des Berichtes und fehlender Berücksichtigung vorhandener Evidenzen zurückgewiesen wird. Bereits am 29. 4. 2004 ist der Antrag des vdak an den G-BA gesandt worden.

Ärzte Zeitung: Was werden Sie und die onkologischen Fachgesellschaften jetzt unternehmen, um die Stammzelltransplantation als Leistung der Krankenkassen zu erhalten?

Ehninger: Außer der wissenschaftlichen Diskussion, die weiter geführt werden muss, möchten wir vermehrt die Öffentlichkeit auf die Problematik aufmerksam machen. Denn dies ist ja nur der Anfang einer Entwicklung, bei der mit pseudowissenschaftlichen Methoden lebenswichtige Leistungen aus dem Katalog der gesetzlichen Krankenkassen genommen werden. Diese Prozesse werden die Tendenz zur Zwei-Klassen-Medizin verstärken.

Wenn der Protest von Ärzten und Patienten sowie die vorhandenen Evidenzen nicht ausreichen, um den G-BA von der Notwendigkeit der weiteren Finanzierung der Stammzelltransplantation zu überzeugen, werden wir einen Solidaritätsfond einrichten, aus dem wir Patienten das Geld für die teuren Transplantationen vorstrecken. Es wird dann eine Klagewelle auf die Gerichte zukommen. Ein Verbot von wirksamen Therapien bei lebensbedrohlichen Erkrankungen ist spätestens seit dem Grundsatzbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 unvorstellbar.



ZUR PERSON

Professor Gerhard Ehninger ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO). Er leitet die Medizinische Klinik und Poliklinik I des Universitätsklinikums "Carl Gustav Carus" in Dresden.



DIE VORGESCHICHTE

Methode des indirekten Vergleichs nicht genutzt

Wie schon der Vorbericht des IQWiG zur Stammzelltransplantation bei Leukämien schlägt jetzt auch der Abschlussbericht des Instituts wieder Wellen. Denn das Urteil des IQWiG ist gleich geblieben - trotz massiver Proteste etwa der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie. Unter anderen hat das IQWiG den Nutzen einer Stammzelltherapie bei AML- und ALL-Patienten geprüft, für die kein geeigneter Spender in der Familie vorhanden ist und bei denen deshalb Stammzellen von einem nicht verwandten Spender verwendet werden. Der Nutzen dieser Fremdspender-Transplantation lasse sich derzeit nicht bewerten, weil aussagekräftige Vergleichsstudien mit Chemotherapie als möglicher Therapie-Alternative fehlten, so das IQWiG. "Seit Jahren ist schon bekannt, dass diese Transplantationsform bei Hochrisiko-Leukämien der Chemotherapie überlegen ist", kritisiert Professor Gerhard Ehninger. Hätte das IQWiG die wichtige statistische Methode des indirekten Vergleichs von Therapien eingesetzt, wäre klar geworden, dass mit der Transplantation von Fremdspender-Stammzellen die gleichen - oder teilweise bessere - Ergebnisse wie mit Zellen eines Familienangehörigen erreicht werden. (eb) 

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