Behandlung von Infekten

Droht bei Makrolidantibiotika der Hörverlust?

Wissenschaftler sehen eher Entzündungen und weniger die dagegen verwendeten Antibiotika als Ursache von Hörschäden.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Neben Aminoglykosiden werden vor allem Makrolidantibiotika verdächtigt, einen Hörverlust zu fördern.

Neben Aminoglykosiden werden vor allem Makrolidantibiotika verdächtigt, einen Hörverlust zu fördern.

© nicolas_ / iStock

VANCOUVER. Neben Aminoglykosiden werden vor allem auch Makrolidantibiotika verdächtigt, einen sensorineuralen Hörverlust zu fördern. So wurde in Studien eine erhöhte Rate von Hörschäden unter solchen Arzneien berichtet. Da allerdings auch diverse Entzündungen Hörschäden verursachen können, ist nicht klar, ob in erster Linie die Infekte oder die Antibiotika eine ototoxische Wirkung entfalten.

In einer Fall-Kontroll-Studie haben HNO-Ärzte um Dr. Mahyar Etminan von der Universität in Vancouver nun Hinweise darauf gefunden, dass wohl doch eher Entzündungen Ursache der Hörschäden sind: Nicht nur Makrolide, sondern auch Antibiotika, die nicht als ototoxisch gelten, wurden bei Patienten mit Hörverlust vermehrt verordnet (Laryngoscope 2016, online 6. August).

Datenbank durchforstet

Das Team um Etminan durchforstete mehr als sechs Millionen Einträge der LifeLink-Datenbank nach Hörverlustdiagnosen. Die Forscher fanden knapp 6000 Patienten im Alter von 15 bis 60 Jahren mit einer per Audiogramm bestätigten Diagnose eines sensorineuralen Hörverlusts.

Für jeden Patienten wählten sie zehn Kontrollpersonen gleichen Alters, aber ohne Hörverlust aus der Datenbank. Nun schauten sie, wie oft die Hörverlustpatienten im Jahr vor dem Ereignis Antibiotika verordnet bekommen hatten. Dasselbe taten sie bei den Kontrollpersonen, wobei sie als Ausgangspunkt für den Einjahreszeitraum ein vergleichbares Kalenderdatum wie bei den Patienten wählten.

Zusammenhang abhängig von der Dosis

Ausgeschlossen waren Personen, bei denen kurz vor dem Bezugsdatum eine Infektion der oberen Atemwege diagnostiziert worden war, da diese das Ergebnis verfälscht haben könnte.

Berücksichtigten die HNO-Ärzte nun eine Reihe weiterer Risikofaktoren wie Hirntumoren, Diabetes, Toxoplasmose oder HIV, so hatten die Hörverlustpatienten im Jahr vor dem Ereignis zu 42 Prozent häufiger ein Rezept mit Makroliden erhalten als die Kontrollen (13,7 versus 10,7 Prozent).

Der Zusammenhang war dosisabhängig: Ein einziges Makrolid-Rezept war bei den Hörverlustpatienten zu 36 Prozent, zwei oder mehr Rezepte waren zu 66 Prozent häufiger anzutreffen als bei den Kontrollen. Ähnliches traf aber auch für Amoxicillin und Fluorochinolone zu: Ein Rezept war bei den Patienten jeweils zu 31 und 20 Prozent, zwei oder mehr Rezepte waren zu 93 und 30 Prozent häufiger ausgestellt worden als bei den Kontrollen.

Patienten häufig immungeschwächt

An den Resultaten änderte sich nur wenig, wenn die Ärzte einen 90Tages-Zeitraum vor dem Hörverlust oder dem Aufnahmedatum in der Kontrollgruppe ausschlossen. Damit wollten sie sichergehen, dass nicht die aktuell behandelte Entzündung Ursache für den Hörverlust war.

Da Patienten unter Antibiotika – egal welchen – generell häufiger einen Hörverlust erleiden, gehen die Ärzte um Etminan davon aus, dass ein solches Ereignis wohl eher mit dem Gesundheitszustand der Patienten und weniger mit der Antibiose zu tun hat. So seien Patienten, die oft Antibiotika benötigen, auch häufiger immungeschwächt und daher anfällig für Entzündungen.

Damit bestehe ein erhöhtes Risiko für metabolische Veränderungen, die den Zelltod in der Cochlea begünstigten, schreiben die Wissenschaftler. Je häufiger jemand ein Antibiotikum benötige, umso schlechter stehe es um sein Immunsystem – damit lasse sich der Dosiseffekt erklären.

Natürlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass sämtliche der untersuchten Antibiotika ototoxisch wirken, aufgrund der verschiedenen Wirkmechanismen ist dies jedoch nicht die wahrscheinlichste Erklärung.

Jetzt abonnieren
Mehr zum Thema

Große Datenbankanalyse

Schwindel als mögliches Warnsignal für Alzheimer

Zwei Injektionen im Jahr

Langwirksamer Antikörper bremst chronische Rhinosinusitis

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Akutes Nierenversagen

Fragwürdige Nierentherapien: Nicht unnötig spülen!

Sie fragen – Experten antworten

Zoster-Impfung keine Hilfe bei Lippenherpes

Lesetipps
Eine Person balanciert auf einem Grad.

© RFBSIP / stock.adobe.com

Große Datenbankanalyse

Schwindel als mögliches Warnsignal für Alzheimer

RSV-Impfung: Was empfiehlt die DEGAM für Pflegeheimbewohner?

© Porträt: Antje Boysen / DEGAM | Spritze: Fied

Sie fragen – Experten antworten

RSV-Impfung: Was empfiehlt die DEGAM für Pflegeheimbewohner?