HINTERGRUND

Eine Checkliste führt weiter, wenn bei chronischen Magen-Darm-Schmerzen keine Ursache gefunden wird

Von Gabriele Wagner Veröffentlicht:

Mutierte daueraktive Mastzellen sind offenbar weit häufiger als bislang vermutet die Ursache von chronischen Magen-Darm-Symptomen. Typisch ist, daß Laboruntersuchungen oder Endoskopien keine faßbaren Befunde ergeben. Patienten mit systemischen Mastzellerkrankungen mit gastrointestinal betonten Symptomen können anhand einer Checkliste identifiziert werden.

Die Checkliste mit 45 Fragen haben Kollegen der Universität Bonn, vom Evangelischen Waldkrankenhaus Bad Godesberg, vom Klinikum Krefeld und der Universität Erlangen zusammengestellt. Die Deutsche Krebshilfe hat das Projekt mit 34  000 Euro gefördert.

Mit der Checkliste wird nach Symptomen gefragt wie episodische Übelkeit, die durch H1-Antihistaminika prompt aufhört, oder nach episodischer vegetativer Dysregulation wie Tachykardien und Flush. Auch die Befunde von Endoskopien, Sonographien oder Laborbefunde (Transaminasen, Bilirubin, Tryptasen) sind wichtig.

Ab elf Punkten steht die Diagnose Mastzellkrankheit

Für die Antworten gibt es je nach krankheitsspezifischer Aussagekraft zwischen einem und zehn Punkten. "Bei einem Summenwert ab elf kann es als gesichert angesehen werden, daß ein Patient eine systemische Mastzellerkrankung hat." Darauf hat Professor Gerhard J. Molderings von der Uni Bonn im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" hingewiesen.

"Die Sensitivität der Checkliste ist 100 Prozent", so Molderings. Die Spezifität hängt davon ab, daß zuvor endokrinologische Ursachen wie Diabetes, gastrointestinale Ursachen wie Helicobacter-Infektion, chronisch-entzündliche Darmkrankheiten, Hepatitis sowie immunologische und neoplastische Krankheiten ausgeschlossen wurden. Das ist aber meist kein Problem: "Fast alle Patienten haben bereits stapelweise Untersuchungsbefunde. Und praktisch alle wurden auch schon zum Psychiater geschickt", so Molderings‘ Erfahrung.

      Daueraktive Mastzellen reizen Magen und Darm.
   

Wie kommt es zu den gastrointestinalen Symptomen? Mutationen in den Tyrosinkinasen "c-Kit" oder "platelet-derived growth factor receptor" bewirken eine Daueraktivität der Kinasen und der betroffenen Mastzellen. Die Zellen sezernieren ständig Mediatoren, die spezifisch etwa H1- und H2-Rezeptoren auf Nervenzellen im Magen-Darm-Trakt aktivieren. Folgen sind etwa eine gestörte Motilität und Schmerzwahrnehmung. Zudem scheinen die mutierten Mastzellen auch gesunde zu aktivieren, erläuterte Molderings.

Wann bricht die Krankheit aus? "Zunächst müssen genügend mutierte Mastzellen im Körper vorhanden sein", sagte Molderings. Und dann kommt ein Auslöser hinzu: "Die Patienten berichten typischerweise, daß ihre gastrointestinalen Probleme nach einem banalen fieberhaften Infekt begannen." Offenbar passiert bei einem solchen auslösenden Infekt etwas besonderes: "Vielleicht aktiviert ein bestimmtes Zytokin die mutierten Mastzellen", nennt Molderings eine der Hypothesen. Doch was genau passiert, ist noch nicht bekannt.

Sind die Mastzellen aktiviert, haben Betroffene episodische gastrointestinale Probleme. Zunächst gibt es noch symptomfreie Intervalle, doch die werden immer kürzer, bis die Symptome schließlich anhaltend sind. Typisch ist auch: Die Krankheit kommt familiär gehäuft vor.

Betroffen können Patienten jeden Lebensalters sein. Zahlen zur Inzidenz gibt es bislang nicht. Offenbar ist die Krankheit aber häufiger als bislang vermutet. Untersuchungen bei Patienten mit primärer Osteoporose haben ergeben, daß zwei Prozent eine Knocheninfiltration mit Mastzellen hatten, so Molderings. Und ihm und seinen Kollegen fiel bei klinischen Untersuchungen auf, daß bei einer bestimmten Form des Reizdarms - Beginn der Symptome nach einer Infektion, Reizdarm mit assoziierter Diarrhoe - offenbar häufiger eine systemische Mastzellerkrankung die Ursache ist. Bis zu 25 Prozent könnten es sein. Das wird zur Zeit in einer Arbeitsgruppe mit den Kollegen aus Krefeld untersucht.

Therapie: Antihistaminika und Mastzellenstabilisatoren

Bei gesicherter Diagnose erhalten die Patienten eine tägliche Therapie mit mindestens dreimal 150 mg Ranitidin, viermal 200 mg Dinatrium-Cromoglicinsäure und 1 bis 2 mg Ketotifen. So sollen die Mastzellen stabilisiert und die Histamin-Rezeptoren blockiert werden. "Man muß drei bis vier Wochen warten, bis sich ein Effekt einstellt", so Molderings. Wirkt die Therapie nicht, gibt es eine Stoßtherapie mit Glukokortikoiden.

Am Evangelischen Waldkrankenhaus in Bad Godesberg wird unter der Leitung von Professor Jürgen Homann, einem der Autoren der Checkliste, ein internistisches Kompetenzzentrum für Mastzellerkrankungen aufgebaut.

Weitere Infos zur Krankheit, zur Checkliste und zur Therapie gibt‘s per E-Mail von Professor Gerhard Molderings: molderings@uni-bonn.de

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Ein neuer Weg zur Diagnose Mastozytose



STICHWORT

Mastzellkrankheit (Mastozytose)

Mastzellen sind Leukozyten mit reichlich Granula, in denen etwa Heparin, Histamin, Serotonin und weitere biologisch aktive Stoffe mit hormonartiger Wirkung (Mediatoren) gespeichert sind. Patienten mit Mastozytose haben Nester von proliferierenden Mastzellen etwa in Haut, Knochen, Milz Leber oder anderen Organen. Bei der indolenten Form ist nur die Haut betroffen (pustulo-makulöser, nodulärer oder diffuser Typ). Sind Organe befallen, können Symptome durch Gewebeverdrängung entstehen. Zu gastrointestinalen Symptomen kommt es, wenn eine große Zahl mutierter Mastzellen daueraktiv ist und ständig Mediatoren sezernieren. (gwa)

 

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